Bielefelder blicken in Krisenregion: Mit halbem Herzen in Italien

Bielefeld. Eigentlich geht es Gianni Cuccaro so wie vielen zurzeit: Der italienische Tanzpädagoge und ehemalige Tänzer am Theater Bielefeld arbeitet im Homeoffice. Da kann er immer mal ein Auge auf die beiden Kinder haben, die wegen der Schul- und Kitaschließung ebenfalls daheim sind. Sie wüssten sich gut zu beschäftigen, lobt er. Auch seine schwedische Ehefrau Anna, ehemalige Tänzerin und heute bei Hörmann in Steinhagen beschäftigt, hat frei. Und dann hat die Familie von ihrem Appartment aus Zugang zu einem Innenhof, wo die Kinder nachmittags in der Frühjahrssonne spielen können. &bdquo;Ein Privileg“, meint Cuccaro nachdenklich, denn er weiß, dass dies seinen Angehörigen aus der Nähe von Neapel nicht möglich ist. &bdquo;Die Kinder meiner Schwester können höchstens mal raus auf den Balkon. Nach über drei Wochen sind sie wirklich gestresst von der Situation“, schildert er. Jeden Tag habe er Telefonkontakt zu seinen Eltern, oft auch mit Tanten, Onkeln und Geschwistern. Was er da hört, stimmt ihn sorgenvoll: &bdquo;Inzwischen kontrolliert die Polizei sehr streng die Ausgangssperre. Lebensmittel können nicht selbst besorgt werden, sie werden gebracht. Und jeden Tag werden die Vorschriften strenger.“ Je mehr die Beschränkungen anzögen, sinke die Laune der Bevölkerung. &bdquo;Die sind echt sauer“, so der 40-Jährige. Wenngleich die meisten einsehen würden, dass die Auflagen angesichts der hohen Infektions- und Todesraten in Italien sein müssten, hätten viele längst einen &bdquo;Lagerkoller“. Die Zahlen (Stand: 5. April) stimmen ihn sehr besorgt: Rund 124.000 Menschen seien in Italien als mit dem Coronavirus Infizierte bestätigt, Dunkelziffer unbekannt. Mehr als 15.000 Menschen seien bereits gestorben in dem Land mit seinen rund 60 Millionen Einwohnern. Demgegenüber stehe Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern und zurzeit rund 91.000 registrierten Infizierten, 1.342 Toten (Stand ebenfalls 5. April). Cuccaro führt diesen &bdquo;großen Unterschied“ vor allem bei den Todesfällen auf die unterschiedliche Qualität der Gesundheitssysteme zurück. Auch habe Deutschland viel früher reagiert und Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung zu verlangsamen. &bdquo;Das Risiko, sich in meiner Heimat anzustecken, ist echt groß“, sagt der Wahl-Bielefelder. Besonders um seine Mutter, Mitte 60 und gesundheitlich vorbelastet, mache er sich Sorgen. Sie müsse regelmäßig mit Cortison behandelt werden: &bdquo;Es wäre wirklich schlimm, wenn sie sich infizieren würde.“ Sie sei so eine richtige italienische Mamma, immer besorgt um die Familie, gastfreundlich und gern unter Leuten. Das falle nun aber flach. Die Vorschriften seien gerade nochmals verschärft worden, die Ausgangssperre wurde bis zum 14. April verlängert. Wie es danach weitergeht: Unsicher. &bdquo;Die Menschen sind verunsichert und haben Angst“, berichtet Cuccaro. Und wie es gute italienische Sitte sei, suche man sich Nischen, um trotz allem Gemeinschaft zu erleben: &bdquo;Zurzeit treten alle in der Straße meiner Eltern um die gleiche Uhrzeit auf ihre Balkone und beten um die Gesundheit.“ Das Gemeinschaftsgefühl habe im katholischen Süden Italiens einen wichtigen Stellenwert. Und dann ging am vorvergangenen Wochenende &bdquo;etwas ziemlich Großes“ über die Bühne: Der Papst habe im Rom eine &bdquo;indulgenza plenaria“ gehalten, was so viel bedeute wie &bdquo;allgemeine Sündenvergebung“. Das sei eine ganz große Sache, sagt Cuccaro, die seine Eltern noch nie erlebt hätten. Angesichts des Ausmaßes der Pandemie in Italien wolle das katholische Kirchenoberhaupt wohl dieses rituelle Zeichen setzen. &bdquo;Ganz Italien hat vor dem Fernseher gehockt und sich das angeschaut.“ Egal, welchen Glauben man habe und ob überhaupt einen: &bdquo;Das gibt den Menschen Zuversicht und ist gut für die Psyche“, findet der Tanzpädagoge. Derweil warten er und seine Familie auf das Ende der Beschränkungen hier in Bielefeld. Bis es soweit ist, bereitet Cuccaro im Homeoffice seine Arbeit an den nächsten Community Dance Projekten vor. Er hofft, die vom 27. März verschobene &bdquo;Schrittmacher“-Premiere im Mai nachholen zu können. Sein kleiner Sohn Niklas (5) jedenfalls weiß die Zeit auch gut zu nutzen – gerade hat er im Hof das Fahrradfahren gelernt.

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