Diese großen Seuchen grassierten einst in Bielefeld

Bielefeld. Seitdem es Menschen gibt, grassierten auch ansteckende Krankheiten. Sie entwickelten sich in Wellen und überzogen ganze Kontinente. Besonders gefürchtet war die Pest, der &bdquo;Schwarze Tod", die ab 1348 immer wieder Europa heimsuchte. Die Zeitgenossen fühlten sich dem gegenüber zumeist hilflos ausgeliefert. RUHR Im 19. Jahrhundert spielten die großen epidemischen Krankheiten eine Rolle. So berichtete die Schildescher Amtschronik zum Jahre 1818: &bdquo;Die rote Ruhr wurde epidemisch." Dem &bdquo;Neuwohner Niekamp zu Theesen" starben beispielsweise drei Kinder daran. Auch die beinahe 80-jährige Ehefrau des jungen Müllers Horstmann auf dem Meyerhofe zu Drewer &bdquo;gab daran ihren Geist auf". Typhus und Diphterie Die &bdquo;Frieseln" oder Masern suchten die Kinder des Ortes in den Jahres 1811, 1821, 1826, 1836 und 1843 verstärkt heim. Ferner findet man als weitere &bdquo;Seuchenumzüge": das &bdquo;Scharlachfieber", das &bdquo;Entzündungsfieber", das &bdquo;Nervenfieber", die &bdquo;Bräune", ein damals gebräuchliches Wort für Diphtherie, die Pocken, das &bdquo;Faul-Fieber", was den Typhus bezeichnet. Das um 1875 entstandene &bdquo;Vierlingsgrab" auf dem Alten Friedhof am Jahnplatz erinnert die an die vier kleinen Söhne der Familie Dreinhöfer. Die Jungen starben höchstwahrscheinlich während einer Typhus-Epidemie. Die dortige Grabsäule des lutherischen Pfarrers und Superintendenten Johann Heinrich Arnold Scherr, der 1779 in Bielefeld geboren wurde, hängt ebenfalls mit den Folgen einer Typhus-Epidemie zusammen. Scherr starb am ersten Weihnachtstag 1844 auch an dieser Krankheit – nachdem er drei Tage zuvor einen Kranken im Kantensiek besucht hatte. CHOLERA Im Jahre 1831 tauchte in unserer Region erstmalig die Cholera auf. Sie kam – wie man heute weiß – aus dem indischen Kalkutta. Der Cholera-Tod war schrecklich und grausam. Die Symptome: &bdquo;Der Ergriffene war kurz vorher noch ganz gesund, ging seinem Geschäfte nach, aß und trank mit Appetit. Ein paar Stunden später fühlt er sich plötzlich todkrank, die Glieder versagen, das Herz stockt, der Kopf wird von heftigem Schwindel ergriffen, dabei rot und heiß, während Hände und Füße erkalten; sogleich auch beginnt ein heftiges Erbrechen und ein starker Durchfall und ein unstillbarer Durst im Innern. Sechs oder zwölf oder spätestens 24 Stunden nach Beginn des Leidens geschieht unter voller Empfindung des Sterbens der letzte tiefe Atemzug. Eine Genesung ist selten." Die Schildescher Amts-Chronik notierte 1831 zur Cholera lapidar: &bdquo;Das Nervenfieber grassierte in der hiesigen Gemeinde stark und hat viele Menschen weggerafft." Die Behörden erließen eine &bdquo;Amtsverordnung", die in der Stiftskirche öffentlich verlesen wurde: &bdquo;Da die Erfahrungen ergeben, dass die Cholera-Krankheit vorzüglich durch ausschweifende Lebensart, mithin auch durch Nachtschwärmereien befördert wird und der Ausbruch derselben herbeyführt, so wird ein jeder dafür gewarnt." Der Landrat von Borries verbot deshalb &bdquo;nächtliche Tänzereyen" und verfügte ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Aus Angst vor den &bdquo;fürchterlichen Erfolgen der asiatischen Cholera" wurde eine Ortskommission eingerichtet, bestehend aus 26 Personen, wie den Pfarrern, dem Apotheker, dem Chirurgen. Sie sollte Abwehrmaßnahmen erarbeiten. Besondere Sorge verursachte der Bereich um das Gut Milse, wo eine große Zahl armer Familien wohnten. Hier verlief die Chaussee nach Herford, &bdquo;wo eine Ansteckung leichter zu befürchten stand als in solchen Orten, die entfernt vom Verkehr mit Reisenden" lagen. &bdquo;Es würde daher sehr zu wünschen sein, auf diesem Gute ein Local zur Aufnahme einzelner Kranker zu haben, um dieselben von den Gesunden zu trennen und so die Gefahr der Ansteckung zu vermindern." So entstand eine Quarantänestation. Neue technische Errungenschaften begünstigten die Verbreitung dieser Infektionskrankheit. Dies zeigte sich nach der Fertigstellung der Köln-Mindener Eisenbahnlinie im Jahre 1849. Da drohte nämlich die Cholera entlang &bdquo;der Eisenbahnlinie sowohl von Norden als Süden." Manche kennen sie noch – die Bahnsteigkarte. In früheren Zeiten musste man eine Karte kaufen und vom Schaffner abknipsen lassen, wenn man auf den Bahnsteig gehen wollte. 10 bis 20 Pfennige kostete dieses &bdquo;Vergnügen". Dem russischen Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt &bdquo;Lenin" (1870–1924), wird folgendes geflügeltes Wort zugeschrieben: &bdquo;Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte!" Diese Tickets sollten die Bahnsteige von Schaulustigen, aber auch &bdquo;Herumlungernden" befreien. Der Herforder Historiker Dieter Begemann ergänzt, dass 1892 – als in Hamburg die Cholera massiv grassierte – besonders auf die Bahnsteigkarten geachtet wurde, um die Bahnsteige von allen möglichen potenziell Infizierten frei zu halten. ASIATISCHE GRIPPE Im Februar 1837 zeigte sich erstmals die asiatische Grippe in der Region, fast ein jeder Bielefelder laborierte daran und an den daraus entstandenen Brustkrankheiten. Vorher kannte man diese Infektion hier nicht. SPANISCHE GRIPPE Besonders todbringend war die &bdquo;Spanische Grippe", die sich ab September 1918 in Europa ausbreitete und schätzungsweise 50 Millionen Tote forderte. Wie drastisch die grippalen Folgen sein konnten, zeigen Berichte aus dem Jahre 1933 in Bielefeld. In einem Zeitungsbericht vom 7. Februar war folgende Schlagzeile zu lesen: &bdquo;Die Grippe flaut ab – aber Samstag und Sonntag starben noch 28 Bielefelder." An den Tagen vorher wurden täglich 10 Grippetote beklagt. HONGKONG-GRIPPE Auch in den Jahren 1957 und 1968 zog die &bdquo;Asia- oder Hongkong-Grippe" über den Kontinent hinweg und forderte jeweils gut eine Million Tote. HYGIENE UND VORSORGE Im 19. Jahrhundert gab es bereits Ideen, für die Erhaltung der Gesundheit aktiv zu werden. 1802 wurde auf Initiative des Jöllenbecker Pfarrers Johann Moritz Schwager die Impfung gegen Pocken in Schildesche eingeführt. Einen ganz bedeutsamen Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung von Epidemien stellte die Einrichtung einer kommunalen Wasserversorgung und der Bau einer Kanalisation Ende des 19. Jahrhunderts dar. Ein auf den ersten Blick recht kurios wirkendes &bdquo;Arzneimittel" wurde in den 1950er Jahren von Ärzten den Bielefelder Müttern empfohlen, deren Kinder an starkem Husten oder Atemschwierigkeiten litten, nämlich ein Besuch im Städtischen Gaswerk an der Schildescher Straße. Bei der Stadtgasdestillierung waren &bdquo;Reinigerkästen" im Betrieb, die mit Erde gefüllt waren. Das Einatmen ihrer Dämpfe sollte die Beschwerden lindern.

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