Pöbelangriffe auf Politiker: Auch in Bielefeld wird der Ton rauer

Eine Schlagzeile, ein Facebook-Post – und schon rollt wieder die Empörungswelle: Die Erwartungen an Politiker sind groß. Sie sollen Werte, Einstellungen und Eigenschaften ihrer Wähler verkörpern. Vor allem sollen sie gute Politik machen. Worüber es jedoch verschiedene Auffassungen gibt. Dass der Andersdenkende mit seiner Kritik nicht hinterm Berg hält, war immer schon so. Neu ist die Art und Weise, wie er sie formuliert. Denn das, was Politiker für ihr Engagement ernten, ist immer öfter frustrierend, beleidigend, manchmal sogar beängstigend. Draußen herrscht ein rauer Ton. Ehefrau bekommt regelmäßige Drohanrufe Erst letzte Woche erzählte mir ein Bielefelder Kommunalpolitiker, dass er sich auf der Straße, in Mails oder in sozialen Netzwerken regelmäßig beschimpfen und beleidigen lassen muss. Seltener – aber auch das passiert – würden Drohungen ausgesprochen. Er wolle das nicht an die große Glocke hängen, sagte er. Hatte Sorge, dass es weinerlich klinge, wenn die NW darüber berichten würde. In der gleichen Woche erzählte ein anderer Politiker aus der Stadt, dass inzwischen auch seine Familie verbal angegriffen werde. Seine Frau bekomme regelmäßig Anrufe, in denen Sie beleidigt und ihr Mann diffamiert werde. Das sind nur zwei Beispiele. Viele Bielefelder Politiker berichten von ähnlichen Fällen. Ein Kollege recherchiert aktuell an der Geschichte, dass sich junge Menschen in der Stadt kaum mehr für politische Ämter engagieren wollen, weil ihnen überregionale Meldungen über bedrohte Politiker den Mut und die Lust nehmen, so ein Amt anzustreben. Immer weniger Menschen werden kandidieren Wo führt das hin? Im September ist Kommunalwahl. Dann werden sich wieder viele Menschen zur Wahl stellen, die ihre Aufgabe ehrenamtlich ausführen werden: Sie alle kämpfen monatelang auf der Straße, an den Haustüren und in den Medien um Stimmen. Werden – wenn sie gewählt werden – viele Stunden in den Bezirksvertretungen, Fachausschüssen und Ratssitzungen verbringen. Zur Vorbereitung haben sie fünf zentimeterdicke Vorlagen gewälzt. Dass ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Wenn nun diese politisch Engagierten auch noch angepöbelt oder bedroht werden, wird es bald kaum noch Menschen geben, die diese Aufgaben übernehmen wollen. Schon jetzt fehlt vielen Parteien der Nachwuchs. Noch schlimmer ist die Situation in den höheren Ämtern. Dort, wo Politiker regelmäßig in der Öffentlichkeit stehen und Verantwortung übernehmen müssen. Das höchste Kommunal-Amt ist attraktiv, bietet Ehre und gute Bezahlung. Doch trotzdem will es kaum einer übernehmen. Ernüchternde Erkenntnisse Annähernd ein Jahr lang haben die Spitzen der bürgerlichen Parteien eine Persönlichkeit gesucht, die bereit ist, in Bielefeld als gemeinsamer Oberbürgermeister-Kandidat für CDU und FDP zu kandidieren. Das Ergebnis war ernüchternd. Die beiden Parteichefs Andreas Rüther und Jan Maik Schlifter haben niemanden gefunden. Inzwischen hat Schlifter angekündigt, dass er selbst für die FDP in den Ring steigt. Wer das für die CDU machen wird, ist noch unklar. Das gleiche Problem haben die Bielefelder Grünen. Und auch die Linken sind noch auf der Suche. Warum ist es so schwer, Kandidaten für das Rennen zu finden. Es gibt unterschiedliche Gründe. Natürlich weil jeder weiß, dass der Weg zu so einem Amt außerordentlich anstrengend ist, man sich in die Höhle des Löwen, breite Schultern braucht und sich darauf gefasst machen muss, von jeglicher Seite angegriffen zu werden. Und am Ende muss sich jeder klar machen, dass nichts als eine Niederlage dabei rauskommen könnte. Grüne aus dem Umland suchen per Anzeige Kandidat Wen wundert es also, dass nahezu in jeder Stadt Parteien verzweifelt auf der Suche nach Bürgermeisterkandidaten sind. Die Bad Oeynhausener Grünen haben mit einer Anzeige auf der Internetplattform einer Zeitschrift für alternative Kommunalpolitik nach einem geeigneten Kandidaten für das Bürgermeisteramt in der Kurstadt gesucht. Ergebnis: null. Und auf der anderen Seite steigen die Erwartungen: Je verworrener die Lage erscheint, desto mehr sucht ein Teil der Öffentlichkeit nach dem starken Einzelnen, der Erlöserfigur. Die Chefs der CDU- und FDP haben der erwartungsvollen Öffentlichkeit diesen Zahn bereits gezogen. &bdquo;Eine Erlöserfigur wird nicht kommen“, hieß es. Es wird eher ein Rennen auf Augenhöhe sein. Darauf sollten sich die Bielefelder einstellen – und jedem Respekt zollen, der die Herausforderung annimmt.

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