Wissenschaftlerin der Uni Bielefeld: "Hate Speech ist extrem gefährlich"

Bielefeld. Monika Hübscher forscht und lehrt an der Universität von Haifa in Israel. Mit der Uni Bielefeld hat sie eine Forschungskooperation. Dort hat sich die &bdquo;Working Group Hate Speech and Disinformation on Social Media“ gegründet. Hübscher wird außerdem ab Mai mit Wissenschaftler Marc Grimm an der Laborschule zu Social-Media-Benutzung und Umgang mit Hass und Fake News bei Schülern und Lehrern forschen. Hübscher im Gespräch. Frau Hübscher, &bdquo;Hate Speech“ – also Hass-Sprache und Hass-Kommentare – in den sozialen Medien hat schon zu scharfen politische Auseinandersetzungen und Gerichtsurteilen geführt, weil eine allgemeingültige Definition nicht existiert. Wie beschreiben Sie es?Monika Hübscher: Hate Speech wird eingesetzt, um Gruppen oder Individuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ihrem Aussehen, sexueller Orientierung, ethnischer Zugehörigkeit, sozioökonomischem Status oder Lebensstil anzugreifen. Diese Angriffe werden durch die den sozialen Medien eigenen Tools wie Liken, Teilen und Kommentieren ermöglicht und verstärkt. Gilt das für alle Social-Media-Plattformen? Hübscher: Vor allem für Facebook, Twitter, Instagram und Tiktok. Snapchat und WhatsApp gehört eher nicht dazu, weil es da nur Kontakte über Telefonnummern gibt zu Menschen, die man kennt. Auf Facebook und den anderen hingegen kann man &bdquo;Freunde“ oder &bdquo;Follower“ auf der ganzen Welt haben, ohne sie zu kennen. »Hate Speech hat mit Kritik überhaupt nichts zu tun« Wo fängt Hate Speech an, wo hört legitime Kritik, etwa an Politik, Wirtschaft oder anderen Gruppen oder Institutionen auf? Hübscher: Hate Speech hat mit Kritik überhaupt nichts zu tun. Sie ist auch etwas anders als Cybermobbing. Beides wird oft verwechselt. Beim Cybermobbing wird gezielt eine Person angegriffen für irgendetwas Individuelles. Bei Hate Speech spielt die Gruppenzugehörigkeit immer eine Rolle. Sehen Sie einen Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Hate Speech? Hübscher: Hass fällt nicht unter Meinung. Es geht wirklich um Hass, nicht um Aussagen wie &bdquo;der oder der Politiker ist blöd“. Aber wer legt fest, was Hate Speech ist und was nicht? Hübscher: Das Gesetz. Wenn über Politiker zum Beispiel geschrieben wird, sie brächten nur Unglück über das Land oder Ähnliches: Ist das noch unproblematisch? Hübscher: Ja. Aber wenn Sie sagen würden ... ich will solche Sachen eigentlich gar nicht sagen ... ... die gehören beseitigt oder Ähnliches ... Hübscher: Ja, das wäre etwa ein schwieriges Wort. Das klingt nach Gewaltaufforderung. So etwas hat bereits nachgewiesen gewalttätige Folgen gehabt. Hate Speech in den sozialen Medien ist wirklich unglaublich gefährlich, weil sie sich so weit verteilt und anstiftend wirken kann. Meiner Meinung nach wird das komplett unterschätzt. Steck dahinter stets auch ein Aufruf zu einer Handlung gegen die Gruppe? Hübscher: Nicht unbedingt, das Problem liegt bei der Vermehrung des Hasses durch die Tools über die wir schon gesprochen haben. Das kann Konsequenzen im realen Leben haben, wie unter anderem der weltweite Antisemitismus klar zeigt. Gibt es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse? Hübscher: Ja. Es gab 2018 eine europaweite Studie. In 13 Ländern wurden Juden gefragt, wo ihnen Antisemitismus begegnet. Sie gaben an, dass sie ihn am meisten und schlimmsten in den sozialen Medien wahrnehmen. Twitter wurde dabei sehr herausgestellt. Wie kann es passieren, dass antisemitische Inhalte auf dem eigenen Social-Media-Feed auftauchen? Hübscher: Algorithmen organisieren Social Media. Algorithmen reagieren auf das, womit der User am meisten interagiert. Wenn ich mich etwa für den Holocaust interessiere und darüber lese, sorgt der Algorithmus dafür, dass mehr zu diesem Thema auf meinem Profil erscheint. Darunter können natürlich auch negative Inhalte sein. Wenn zum Beispiel ein Artikel über den Holocaust-Gedenktag gelikt oder geteilt wird, kann es sein, dass der User daraufhin auch mit antisemitischen Inhalten in Form von Holocaustleugnung konfrontiert wird. Warum wurde Twitter besonders hervorgehoben? Hübscher: Da gibt es viele Troll-Attacken, also organisierte Angriffe, zum Beispiel mit falschen Profilen. Damit lässt sich sehr viel Aufruhr erzeugen. Was passiert da genau? Hübscher: Jeder Hass-Kommentar kann über Social Media global verbreitet werden. Oft werden dafür so genannte Memes genutzt, eine Kombination aus Bildern, Videos, Blogs, Texten oder ganzen Webseiten, die sich wie Lauffeuer über das Internet verbreiten. Es gibt zum Beispiel weltweit verbreitete antisemitische Memes wie den &bdquo;fröhlichen Kaufmann“, der in allen Sprachen verschickt wurde. Es ist wirklich ein globales Phänomen. Was kann dagegen getan werden? Hübscher: Kein Land allein kann das bewältigen. Und eine einfache Lösung gibt es nicht. Überhaupt kann man besser von Problemmanagement statt Lösung sprechen. Wie könnte das aussehen? Hübscher: Ein Beispiel aus Israel: Dort werden Konferenzen veranstaltet, bei denen Social-Media- und NGO-Vertreter sowie Teilnehmer der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem diskutieren und überlegen, was man machen kann. Instagram probiert gerade etwas Neues und zeigt den Usern, wenn ein Post schon mal als problematisch gemeldet wurde. Wäre eine Klarnamen-Pflicht hilfreich? Hübscher: Nein. Das ist erstens total unrealistisch. Wie soll das überprüft werden? Und zweitens kann es die User in Gefahr bringen. Wieso? Hübscher: Wenn der User mit Klarnamen dasteht und sich gegen Hass äußert, indem er einen Kommentar unter einem solche Post schreibt, kann er selbst angegriffen werden. Unter Hasspostings Kommentare zu posten, die dagegen sind, nennt man Counterspeech, also Gegenrede. Diesen Ansatz gegen Hate Speech finde ich besonders gefährlich und kontraproduktiv. Er wird von vielen NGOs sehr unterstützt dadurch, dass sie bereits vorgefertigte Antworten bereitstellen, die sich einfach kopieren und als Gegenkommentar nutzen lassen. Der problematische Effekt dabei ist, dass dadurch die Sichtbarkeit der Hass-Post erst richtig befeuert wird, weil mit ihm interagiert wird. Es gab schon Hate-Speech-Posts, die erst dadurch weit verbreitet wurden, weil Menschen versucht haben, etwas dagegen zu tun. Aber dieser Zusammenhang wird leider komplett ignoriert. Und wenn nun eine organisierte Hate-Attacke etwa von einer Troll-Farm kommt, dann können die großen Schaden anrichten und durch ihr technisches Wissen Menschen auch privat angreifen. Ist Nichtreagieren besser? Hübscher: Wir sprechen über ein Dilemma, weil man natürlich reagieren will und sich das nicht gefallen lassen möchte. Die Lösung dieses Konflikts muss von den Plattformen kommen. Am besten wäre es, wenn sie ihren Service ändern würden, aber das ist unrealistisch. Kann der Staat nichts tun? Hübscher: Doch, auf verschiedenen Ebenen. Das Recht sollte sich mehr Richtung Digitalisierung richten, wie in Israel und den USA, wo es deutlich besser gemacht wird. In Israel kennt man sich sowieso auf diesem Gebiet besser aus. In der Schule lernen die Kinder schon programmieren. Auch bei der Armee kommen sie damit oft in Berührung. »Social-Media-Studien müssen an den Unis etabliert werden« Welche Rolle könnten Schulen und Hochschulen spielen?Hübscher: Auf jeden Fall sollten sie sich diesem Thema dringend widmen. Manchmal ist Hate Speech sehr schwer zu entschlüsseln. Fake News und Hate Speech kommen oft zusammen vor. Sie vermischen sich. Schon Jugendliche sollten lernen, falsche Informationen zu erkennen und Hate Speech zu entschlüsseln. Aber den Anfang müssen die Universitäten machen und Social Media dort etablieren, etwa als Studienfach, weil die Plattformen eine immer größere Rolle in unserem Leben spielen werden. Ein Blick in die Patentämter der USA weist darauf hin, dass ihre Rolle weiter wachsen wird. Welche Kompetenzen sind gefragt? Hübscher: Alle sollten wissen, wie man vertrauensvolle Quellen auf Social Media erkennt und unseriöse Quellen entlarvt, welchen Einfluss Algorithmen haben und was mit den Daten passiert, die man auf sein Profil eingibt. Man ändert sofort sein Verhalten in den sozialen Medien, wenn man dieses Wissen hat. Das sind Fähigkeiten, die wir alle wirklich lernen müssen. Jetzt haben wir viel über die negativen Seiten von Social Media gesprochen. Aber es gibt auch die guten, oder? Hübscher: Ja, natürlich. es gibt sehr gute Seiten. Die Plattformen geben etwa denen eine Stimme, die bisher keine hatten. Aber wie bei allen neuen Errungenschaften ist es unerlässlich, sich auch mit den negativen Seiten ehrlich auseinanderzusetzen, damit sie die guten Seiten nicht überlagern.

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