Bielefelds Rettungsdienst völlig unterbesetzt - Revolution soll Kollaps verhindern

Bielefeld. Der Gesetzgeber geht von einem &bdquo;funktionierenden Rettungsdienst" aus, wenn die Helfer in 90 Prozent aller Notfalleinsätze spätestens acht Minuten nach dem Notruf beim Patienten eintreffen. Das war in Bielefeld jahrelang nicht mehr der Fall. Vorläufiger Tiefpunkt im Herbst 2017 und Frühjahr 2018: Damals hielt der Rettungsdienst die sogenannte Hilfsfrist in Bielefeld in nur noch in 68,4 Prozent der Fälle ein. Ständig steigende Einsatzzahlen bei anhaltender Personalunterbesetzung sowie fehlenden Rettungswagen und Fahrzeugstandorten – es drohte der Kollaps. Die Feuerwehr musste umgehend eingreifen, um dem Abwärtstrend ein Ende zu setzen. Gleichzeitig kam Bewegung in die jahrelang festgefahrenen Verhandlungen zwischen der Stadt und den Krankenkassen als Kostenträger des Rettungsdienstes. Nun endlich kann Feuerwehrchef Hans-Dieter Mühlenweg dem Rat der Stadt am 26. September den neuen Rettungsdienstbedarfsplan vorlegen – mit fünf Jahren Verspätung. REVOLUTION Der Plan sieht nicht weniger als eine personelle Revolution für das bisherige Bielefelder Rettungswesen vor. Demnach soll die Zahl der Rettungswagen (RTW) in der Stadt von 10 auf 20 verdoppelt werden, drei neue Rettungswachen sollen in den am schwersten zu erreichenden Außenbezirken entstehen, zwei Notarzt-Standorte sollen verlegt werden und das Personal muss um etwa 90 Prozent aufgestockt werden. In den kommenden fünf Jahren bedeutet das einen Zuwachs um 94 Stellen. Weil der Arbeitsmarkt aber lange schon völlig leer gefegt ist, kommen 33 neue Ausbildungsstellen und 15 Fortbildungsmöglichkeiten für Brandmeister hinzu, über die in den kommenden drei Jahren neue Notfallsanitäter ausgebildet werden sollen. FÜNF JAHRE ZU SPÄT Der letzte Rettungsdienstbedarfsplan wurde am 14. Mai 2009 vom Rat der Stadt verabschiedet. Eigentlich hätte nach fünf Jahren wieder ein neuer Plan vorgelegt und beschlossen werden müssen. Doch es kam aus mehreren Gründen zu Verzögerungen. So wollte die Amtsleitung zunächst die Novellierung des Rettungsgesetzes NRW mit der Einführung des neuen Notfallsanitäters abwarten. &bdquo;Die Novellierung trat 2015 in Kraft", heißt es in der Verwaltungsvorlage für den Rat. Der erste Entwurf des Bedarfsplans 2016 wurde von den Kostenträgern abgelehnt, auch nach zahlreichen Nachbesserungen sei er 2017 noch &bdquo;nicht konsensfähig" gewesen. BEZIRKSREGIERUNG MUSS BEI STREIT EINGREIFEN Schließlich musste die Bezirksregierung eingreifen und einen neutralen Gutachter beauftragen. Die Ergebnisse dieser Analyse wurden 2018 mit den Kostenträgern abgestimmt. In der Verwaltungsvorlage heißt es: &bdquo;Die Ergebnisse des Gutachtens entsprachen im Wesentlichen den Erwartungen der Stadt Bielefeld." Ende Mai 2019 erklärten die Kostenträger im Beisein der Bezirksregierung ihre Zustimmung zum nun vorliegenden Bedarfsplan. EXPLOSION DER EINSÄTZE Die Zahl der Notfalleinsätze steigt seit Jahren kontinuierlich. Zählte die Feuerwehr 2008 noch 27.800 Notfälle (ohne Fehleinsätze), so waren es zehn Jahre später knapp 38 Prozent mehr: 38.100. Aber nicht nur die Menge der Einsätze habe sich verändert. Sie dauern auch immer länger. Es werden laut Feuerwehramt immer mehr Patienten vor Ort behandelt, die Übergabezeiten in den Kliniken sind gestiegen und auch die Fahrten in Nachbarkreise sorgen dafür, dass die Retter nicht mehr so schnell wieder einsatzbereit sind wie früher. SOFORTMASSNAHMEN Der damalige Feuerwehrchef Rainer Kleibrink reagierte 2017 sofort. Zwei bis dreimal pro Tag mussten Ersatz-Rettungswagen mit Feuerwehrleuten besetzt werden, um den Bedarf zu Spitzenzeiten noch decken zu können. Eine Risikoabwägung zulasten der Brand-Sicherheit in der Stadt. Auch halfen seitdem regelmäßig Retter aus den Kreisen Lippe und Gütersloh in den Randgebieten aus. Teilweise mussten auch Krankentransportwagen, die nicht für die Notfallrettung vorgesehen sind, umbesetzt und eingesetzt werden. Letztlich gelang es damit, den &bdquo;Erreichungsgrad der Hilfsfrist" von 68 Prozent Ende 2017 auf 78 Prozent im Folgejahr anzuheben. Um wieder 90 Prozent erreichen zu können, sind folgende Veränderungen in den kommenden fünf Jahren geplant. NEUE RETTUNGSWAGEN Als 2018 auch das neutrale Gutachten deutlich machte, wie unterversorgt die Stadt ist, genehmigten die Krankenkassen schon vor Abschluss der Verhandlungen zwei zusätzliche RTW samt Personal. Dass das nur der Anfang war, zeigt der nun vorliegende Plan. Inzwischen herrscht Konsens darüber, dass die Stadt die Zahl der Rettungswagen bis 2024 von 10 auf 20 verdoppeln muss, um die gesetzlichen Vorgaben wieder erreichen zu können. NEUE WACHEN Dazu gehört auch eine bessere Verteilung der Standorte. Bisher gab es neun Rettungswachen in der Stadt, von denen aus die Blaulichtfahrzeuge zu ihren Patienten ausrückten. Trotzdem waren von diesen neun Wachen aus die Wege zu weit, um abgelegene Bereiche in Sennestadt und im hohen Norden sowie Nordwesten rechtzeitig zu erreichen. Deshalb sieht der Bedarfsplan die Errichtung drei neuer Rettungswachen vor: In Sennestadt wurde bereits im Juli eine provisorische Station für ein Fahrzeug an der Industriestraße eröffnet, 2020 soll ein Neubau an der Altmühlstraße dann Heimat zwei neuer Rettungswagen sein. Noch unklar ist, wo die beiden anderen Rettungswachen mit je einem Fahrzeug entstehen sollen. Die Feuerwehr sucht einen geeigneten Standort in Theesen-Nord, um von dort Jöllenbeck, Theesen und Vilsendorf schneller zu erreichen. Und sie sucht in Gellershagen/Dornberg, um von dort die Stadtteile Babenhausen, Dornberg, Großdornberg, Hoberge-Uerentrup, Kirchdornberg, Niederdornberg-Deppendorf und Schröttinghausen besser versorgen zu können. Beide sind ab 2022 im Bedarfsplan vorgesehen. NOTÄRZTE-VERLEGUNG Auch die Verteilung der Notärzte in der Stadt soll neu geregelt werden. Bisher stehen die sogenannten Notarzt-Einsatzfahrzeuge (NEF) in direkter Nähe zu Krankenhäusern. Doch diese liegen zu zentral. So soll der Standort am Klinikum Mitte aufgegeben werden, so dass künftig zwei NEF an der Hauptfeuerwache Am Stadtholz in Bereitschaft stehen. Der Standort am Evangelischen Klinikum Gilead I in Bethel wird noch weiter verlegt – in diesem Fall zur Feuer- und Rettungswache West an der Ecke Jöllenbecker / Babenhauser Straße. Das dritte NEF am Luftrettungszentrum Rosenhöhe, das bisher als Alternative zu Rettungshubschrauber Christoph 13 zur Verfügung stand, soll künftig zusätzlich und rund um die Uhr vorgehalten werden. Dadurch erhöht sich auch die Zahl der eingesetzten Notärzte im Stadtgebiet von drei auf vier. DIE KOSTEN Der zusätzliche Personalbedarf und die nötigen Investitionen führen zu Kosten von gut 30 Millionen Euro, die übrigens nicht die Stadt zu tragen hat. Die Mehrkosten werden über Rettungsdienstgebühren refinanziert. Kostenträger sind die Krankenkassen, die nun mit einer schrittweisen Anpassung der Gebühren zu rechnen haben.

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