Bielefelder Legionellen-Opfer greift die Arbeiterwohlfahrt an

Bielefeld. Judith Kaloga sammelt Kräfte. Denn sie will kämpfen, und das um jeden Preis. Erst gegen die Spätfolgen ihrer schweren Legionellen-Infektion, an der jüngst eine Kollegin und ein Bewohner des AWO-Seniorenzentrums in Baumheide starben, dann für Gerechtigkeit. Die all jenen widerfahren soll, die in diesem Frühjahr und Sommer unwissentlich ihr Leben dort riskierten. Die drahtige Frau mit den roten Haaren bekommt wieder Luft, schafft es wieder allein die Treppen hinauf in den dritten Stock zu ihrer Mietwohnung und sitzt jetzt vor einem Berg von Papieren. Daneben liegen die Beipackzettel ihrer zehn Medikamente, die sie seit der Rückkehr aus dem Krankenhaus am 9. August nun jeden Morgen nehmen muss. Bis auf Weiteres, denn der Verlauf ihrer Krankheit sei noch lange nicht geklärt: &bdquo;Vor ein paar Tagen bekam ich ein Lungen-Ödem und musste wieder in die Klinik. Als ich dann nach der Entlassung in der NW las, wie mein Arbeitgeber dort erklärte, er stünde mit mir in engem Kontakt und ich sei auf dem Wege der Besserung – da war es mir einfach zuviel." Besuch in Klinik ausgeblieben Niemand von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) habe sich bei ihr in der kritischen Zeit gemeldet. Weder in den 14 Tagen auf der Intensivstation des Krankenhauses Mitte, als sie beatmet und künstlich ernährt werden musste, noch danach zu Hause. Fragen dazu ließ die AWO gegenüber der NW unbeantwortet. Vor kurzem erhielt Judith Kaloga dagegen Post von der Berufsgenossenschaft. Sie füllte den 22-seitigen Antrag aus – und erhielt eine Absage. Die Institution will ihre Erkrankung vorerst nicht als Arbeitsunfall einstufen. Denn theoretisch hätte sie sich ja auch daheim mit Legionellen anstecken können – eine positive Probe in ihrem Haushalt gebe Anlass zu dem Verdacht. Auffällige Werte in Privatwohnung Während sie im Krankenhaus mit dem Tode rang, veranlasste das Bielefelder Gesundheitsamt eine Beprobung der Wasserstellen in ihrer Wohnung. Das entspricht der gesetzlichen Vorschrift. Das Ergebnis soll nach Aussage eines Haustechnikers eine Kontamination mit 300 KBE (Kolonienbildende Einheit) der Legionellen auf 100 Millimeter Wasser ergeben haben. Ab 100 KBE muss der Vermieter der Wohnung reagieren. Wie der erhöhte Wert zustande gekommen ist, dazu herrscht Ratlosigkeit bei Judith Kaloga und ihrem Mann sowie bei den Nachbarn. Denn erst im April hatte es in dem Mehrfamilienhaus in Baumheide die routinemäßigen Messungen gegeben, und die seien alle negativ ausgefallen, sagen die Mitbewohner. &bdquo;Der Mitarbeiter, der bei uns die Probe nahm, war sehr angetan von unserer Therme, weil die über 70 Grad heißes Wasser lieferte", erinnert sich Kaloga. Denn Temperaturen ab dem Wert töten Legionellen. Gefährlicher Wasserdampf Doch mit Zorn denkt sie an den Tag zurück, als sie am Arbeitsplatz im AWO-Seniorenzentrum Baumheide die Spülmaschine öffnete. Ihre Brille beschlug in dem Schwall heißen Dampfes, und die Wahrscheinlichkeit besteht, dass beim Atmen in dem Nebel die gefährlichen Keime in ihre Lunge gelangten. Das war am 8. Juli. Ihrem ersten Arbeitstag nach einer Woche häuslichen Urlaubs. Von morgens bis mittags kümmerte sich die im Sozialen Dienst tätige 52-Jährige um ihre dementen Patienten und holte dabei auch frische Gläser aus der Maschine. Eine Aufgabe, die sie und ihre Kolleginnen so nebenbei mit erledigen. Nachmittags besuchte sie die Hausärztin, die ihr optimale Blutwerte bestätigte. Die Freude darüber währte bis zum 12. Juli – dann kam das Fieber. Eine erfolglose Antibiotika-Kur später lag Judith Kaloga schon auf der Intensivstation des Krankenhauses Mitte und erhielt Luft durch einen Tubus. Duschverbot erst am 8. Juli Am besagten 8. Juli hat die AWO nach eigenen Angaben ein Duschverbot im ganzen Seniorenzentrum Baumheide erlassen, als Reaktion auf die Nachricht des Gesundheitsamtes, dass am 4. Juli ein Bewohner der Einrichtung im Krankenhaus positiv auf Legionellen getestet worden war. Am 5. Juli folgte eine Beprobung von Seiten des Gesundheitsamtes, und dessen Ergebnis stand laut Behörde am 15. Juli fest: mit dem Ergebnis von 16.000 KBE. Sofort veranlasste das Gesundheitsamt das obligatorische Duschverbot, das sich das Heim ja bereits selbst verordnet hatte. Und an dem Tag soll der erste Infizierte gestorben sein. So jedenfalls dokumentieren AWO-Mitarbeiter die Vorgänge im Heim, die der NW in Form von Mails und Kurznachrichten vorliegen. Die dort gemachten Angaben decken sich wiederum mit Informationen, die Angehörige von Bewohnern der NW haben zukommen lassen. Infektionsrisiko heruntergespielt? Darin ist auch von einer Personalversammlung am 30. Juli die Rede, wo laut Protokoll eine Mitarbeiterin der Küche gefragt haben soll, ob das Abspritzen der Essenswagen und das Öffnen besagter Spülmaschinen ein Infektionsrisiko darstelle. Das soll mit dem Hinweis auf die hohen Temperaturen verneint worden sein, die in den Profi-Geräten herrschen würden. Im Verlauf der Diskussion sei man dann jedoch darauf gekommen, dass in den Küchen der Wohnbereiche normale Haushalts-Spülmaschinen im Betrieb seien, die auf Anweisung der Heimleitung auch nur im sogenannten Eco-Modus gearbeitet hätten. Dieser Energiespar-Modus aber spüle mit Temperaturen von unter 60 Grad. Bei den Temperaturen vermehren sich die Legionellen nach Lust und Laune. Beim Öffnen einer Spülmaschine habe sich Judith Kaloga nach ihrer und Vermutung von Kollegen mit Legionellen kontaminiertem Wasserdampf ausgesetzt. Denn noch am gleichen Tag verschickte die Heimleitung eine Mail (liegt der Redaktion vor), die alle Mitarbeiter anwies, ab sofort nur noch das Spülprogramm &bdquo;Maxi" mit 65 Grad Wassertemperatur zu verwenden. Warum aber die Arbeiterwohlfahrt die Infizierung von Judith Kaloga nicht als möglichen Arbeitsunfall anerkennt, diese Frage ließ der Heimbetreiber bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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