
Bielefeld. Gleich zweimal in nur einer Woche sind in Bielefeld Stadtbahnunfälle mit Fußgängern passiert. Was die Fälle gemeinsam haben: Beide Opfer trugen Kopfhörer und waren mit ihrem Smartphone beschäftigt.
Ein Opfer ist eine 22-Jährige, die an der Universität über einen Bahnübergang lief. Dabei wurde sie von der Bahn erfasst und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Sie kam mit Prellungen und Schürfwunden davon.
Ablenkungsmöglichkeiten bieten technische Geräte genug. Spotify, Instagram oder eine WhatsApp-Nachricht - der Blick wandert schnell vom Straßenverkehr aufs Smartphone. Und Musik ist ein ständiger Begleiter. "Smombie" ist das Kunstwort, das extra für diese Menschen erfunden wurde: Leute, die wie Zombies durch die Straßen laufen, den Blick immer auf dem Smartphone.
Keiner geht mehr ohne Smartphone raus

Auch in Bielefeld laufen einige dieser "Smombies" umher. Die Häufigkeit der tatsächlichen Unfälle mit Fußgängern und Stadtbahnen ist jedoch gering, sagt Manfred Martens, Fahrschulleiter von MoBiel. "Die Zahl der Fast-Unfälle, die von unseren Fahrern verhindert werden, sind hingegen enorm hoch." Mindestens zweimal pro Woche müssten Bahnfahrer durch Hupen oder Bremsen einschreiten, um Unfälle zu vermeiden, sagt er. Tendenz steigend. Unfälle, bei denen Passanten mit Kopfhörern oder Smartphone in der Hand involviert sind, werden von der Polizei nach eigenen Angaben allerdings statistisch nicht erfasst, da es sich erst mal um keine Straftat handelt. Rein rechtlich müssen Menschen, die mit zu lauter Musik auf den Ohren durch die Straßen laufen, aber mit einem Verwarngeld in Höhe von zehn Euro rechnen, schreibt die Polizei Bielefeld auf ihrer Internetseite. Das Tragen von Kopfhörern sei grundsätzlich erlaubt, von Bedeutung sei allerdings die Lautstärke.
Auch der ADAC führt dazu keine Statistiken. "Das gibt die Unfallstatistik einfach nicht her", sagt Ralf Collatz, Pressesprecher des ADAC OWL. "In vielen Fällen ist einfach unklar, wodurch Unfälle verursacht wurden." In den beiden Fällen der vergangenen Woche sei der Grund für den Zusammenstoß zwar eindeutig, bei vielen Unfällen sei es aber nicht nachvollziehbar. "Das ist eine zu große Unschärfe für Statistiken", sagt Collatz. Der Bielefelder Verkehrspsychologe Horst Joneleit glaubt, dass die Gefahr unterschätzt wird. "Vor allem für die Jugend ist es reine Gewohnheit, ständig auf ihr Smartphone zu schauen oder Musik zu hören", sagt er. "Die Kopfhörer stecken sich viele schon gleich morgens in die Ohren."
In vielen Fällen sei das Musikhören im Straßenverkehr gut gegangen, das führe aber dazu, dass die Gefahr falsch eingeschätzt werde. "Die meisten vermuten nicht, dass etwas passieren könnte."
Laut Josef Krems, Professor für Psychologie an der TU Chemnitz, ist Ablenkung der größte Faktor bei Unfällen allgemein. Rund 80 Prozent aller Unfälle seien darauf zurückzuführen. Experten unterscheiden zwischen drei Arten von Ablenkung: Visuelle Ablenkung passiert durch den Blick aufs Handy. Methodische Ablenkung heißt, dass eine Person ihre körperliche Position ändert, weil ihr zum Beispiel etwas heruntergefallen ist. Dann gibt es noch die kognitive Ablenkung, zu der auch Musikhören zählt. Hier lenken andere Inhalte ab. "Im Verkehr brauchen wir vor allem das Visuelle, aber auch unser Gehör ist sehr wichtig", sagt Krems. Fällt einer dieser Informationskanäle weg, kann es gefährlich werden. Wer durch Musik abgelenkt wird, hat es schwieriger, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Mit hoher Lautstärke sei es noch schlimmer.
Abgelenkte Menschen fordern auch die Stadtbahnfahrer
Auch für Stadtbahnfahrer ist die Situation nicht leicht, sagt MoBiel. Abgelenkte Menschen sorgen dafür, dass sich die Fahrer noch stärker konzentrieren müssen. "Wir müssen ohnehin schon enorm bei Passanten aufpassen", sagt Manfred Martens. "Smartphones sorgen dafür, dass es doppelt gefährlich ist." Die Fahrer seien angehalten, Blickkontakt mit Passanten aufzunehmen, in Schrittgeschwindigkeit zu fahren und lieber einmal mehr zu bremsen. Zweimal im Jahr bekommen die Fahrer Schulungen, bei denen auch solche Gefahrensituationen besprochen werden. "Die Angst, es könne etwas passieren, fährt immer mit", sagt Martens.
Am Alter könne man die "Täter" aber nicht festmachen. "Sowohl Jung als auch Alt laufen so durch die Stadt."
Wenige Tage vor dem Unfall der 22-Jährigen passierte ein ähnliches Unglück. Ein Elfjähriger war an der Haltestelle "Bültmannshof" vor die Stadtbahn gelaufen. Dass der Bahnfahrer die Warnklingel auslöste, bemerkte er nicht. Er erlitt leichte Kopfverletzungen.