Bielefeld

Verdrängt: Eine Vogelart verschwindet aus Bielefeld

Natur im Fokus (22): Die Lerche ist zum zweiten Mal "Vogel des Jahres" - als gewaltige Mahnung. Die Feldlerche stirbt langsam aus, und auch die Heidelerche wird seltener. Die Haubenlerche ist schon ausgestorben

Singt "trieh" oder "trlie": Die Feldlerche kommt auf 18 bis 19 Zentimeter Körpergröße - und ist in Bielefeld zur Rarität geworden. | © Andreas Schäfferling

06.02.2019 | 06.02.2019, 05:00

Bielefeld. Ein Frühlingsspaziergang auf dem Lande ohne bezaubernden Lerchengesang, das war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Um 1990 war Bielefeld mit Ausnahme der Innenstadt und der Waldflächen durchgehend besiedelt. Man schätzte den Bestand auf etwa 500 Brutpaare, die wie selbstverständlich in der Kulturlandschaft der Außenbezirke sangen. In letzter Zeit bleibt es am Himmel weitgehend stumm - und allmählich geraten die fliegenden Sänger in Vergessenheit.

Haubenlerchen auf dem Kesselbrink:

Noch ist die Feldlerche als "Lerche" vielen Menschen zumindest von Namen her bekannt, aber wer erinnert sich an die Haubenlerchen, die noch Anfang der 70er Jahre am Kesselbrink, damals noch Busbahnhof, zwischen den Passanten herumtrippelten und an den Bordsteinkanten nach Insekten suchten? Auch die Heidelerche war früher in der Sennelandschaft regelmäßig zu sehen und zu hören, heute ist sie dort eine Rarität.

Feldlerche erneut Vogel des Jahres:

Nun steht auch die einst häufige Feldlerche auf der Roten Liste der bedrohten Arten in NRW. Bereits 1998 war sie der Vogel des Jahres, allerdings hat das den Rückgang der Bestände nicht stoppen können. Die Anzahl der Brutpaare in NRW hat sich seither etwa halbiert. Jetzt ist die Feldlerche erneut Vogel des Jahres, um auf die fortschreitende Zerstörung der Felder, Wiesen und Weiden aufmerksam zu machen.

Singt "trüdritri-eh": Die Haubenlerche ist in NRW ausgestorben, noch 1990 trippelte sie am Kesselbrink herum. - © Andreas Schäfferling
Singt "trüdritri-eh": Die Haubenlerche ist in NRW ausgestorben, noch 1990 trippelte sie am Kesselbrink herum. | © Andreas Schäfferling

Heute wirkt es paradox: Denn wie kaum eine andere Vogelart hat die Feldlerche einst von der Entwicklung der Landwirtschaft profitiert. Ursprünglich in Steppengebieten beheimatet, ist sie seit vielen Jahrhunderten ein Charaktervogel der bäuerlichen Kulturlandschaft. Folgerichtig gaben ihr die Menschen den passenden Namen: Feldlerche.

Auch viele andere Tier- und Pflanzenarten fanden in den offenen Landschaften neuen Lebensraum auf Brachflächen, an Acker- und Wegrändern, in Wallhecken und Feldgehölzen. Bodenbrüter wie Rebhühner und Kiebitze waren früher so zahlreich, dass Menschen ihre Eier sammeln konnten, ohne die Bestände wesentlich zu schwächen. Immerhin noch 150 Kiebitzpärchen und 50 Brutreviere des Rebhuhns gab es 1990 in Bielefeld, heute sind Bruten eine ornithologische Kostbarkeit.

Johannisbachaue als seltenes Refugium:

Ebenso dramatisch sind die Feldlerchen im gleichen Zeitraum von einigen 100 auf wenige Paare zurückgegangen. Einer ihrer letzten Lebensräume ist die Johannisbachaue am Obersee. Eine artenreiche Kulturlandschaft zeichnet sich aus durch blütenreiche Wiesen und Wegränder, in denen Heuschrecken, Schmetterlinge und viele andere Insekten Zuflucht und Nahrung finden. Saubere Bäche schlängeln sich durch Feuchtwiesen, an tieferen Stellen nutzen Libellen, Wasserkäfer und Amphibien klare Tümpel zur Eiablage.

Landwirtschaft als Feinstaub-Verteiler:

Seit dem Ausbau der industriellen Landwirtschaft, mit Steuermitteln milliardenschwer unterstützt, ändert sich das Bild: Massentierhaltung belastet die Umwelt mit jährlich 200 Millionen Tonnen Gülle. Unser Grundwasser ist dadurch so stark mit Nitrat belastet, dass sogar der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik jetzt verurteilt hat, es drohen hohe Strafen. Außerdem führt durch Gülle freigesetztes Ammoniak zur Entstehung von gesundheitsschädlichem Feinstaub. Nach einer aktuellen Studie des renommierten Max-Planck-Institutes für Chemie in Mainz ist die Landwirtschaft für 45 Prozent der Gesamtfeinstaubbelastung in Deutschland verantwortlich - ein Punkt, von dem in der Autodebatte selten zu hören ist.

Agrargifte als Feind der Insekten:

Umstrittene Agrargifte wie Neonikotinoide gegen Insekten und Glyphosat gegen Wildkräuter werden tonnenweise in die Umwelt gebracht. Sie gelten für viele Wissenschaftler als hauptverantwortlich für das zu beobachtende Insektensterben.

Was können wir tun?

Und was können wir tun, um der Feldlerche und ihren Mitbewohnern der Kulturlandschaft eine Zukunft zu geben? Auf jeden Fall viel weniger Fleisch essen, regional einkaufen und viel mehr Mahlzeiten selbst zubereiten. Und wir müssen, dafür wirbt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), unseren Kindern zeigen, wie erlebnisreich und erholsam ein Spaziergang oder ein Picknick in der Natur sein kann, wenn noch die Lerche singt oder ein Schwalbenschwanz von Blüte zu Blüte segelt.

Singt "lüre-lüre-lüre": Die Heidelerche ist mit nur 15 Zentimetern Größe die kleinste der drei seltenen Lerchenarten in Bielefeld. - © Andreas Schäfferling
Singt "lüre-lüre-lüre": Die Heidelerche ist mit nur 15 Zentimetern Größe die kleinste der drei seltenen Lerchenarten in Bielefeld. | © Andreas Schäfferling

Es gibt viele Warnsignale, eines: In einer aktuellen Untersuchung konnten lediglich 14 Prozent der befragten Kinder einen Buchfinken richtig benennen. Allerhöchste Zeit also, so der Nabu, die eigenen Artenkenntnisse aufzufrischen, damit wir unseren Kindern und Enkeln helfen, das zu schützen, was sonst schon bald für immer verloren ist. Die Lerche ist Mahnung genug.