Nahariya: Die Nachfahren der Partnerstadt

Bielefeld/Nahariya. Auf der Straße, die zum Haus von Yigael Meyer führt, wird man im alten Jeep ordentlich durchgeschüttelt. Steine fliegen zur Seite, es staubt. Vor den Autofenstern: Olivenhaine, ein kleiner Gemüsegarten. Eine Frau schiebt einen Kinderwagen über den unbefestigten Pfad. Aus dem Autoradio dröhnt eine israelische Rock-’n’-Roll-Band. Ziel der Fahrt ist ein Lehmhaus, illegal gebaut im Dorf Klil, rund 20 Autominuten von Nahariya entfernt. Es ist das Zuhause von Yigael Meyer, Sohn von Andreas Meyer, einem der Gründer der Städtepartnerschaft zwischen Nahariya und Bielefeld. Der Vater pflegte die Beziehung zu seiner alten Heimat in Deutschland, die er auf der Flucht vor den Nazis hatte verlassen müssen. Der Sohn führt, eine grüne Filzdecke um die Schultern gewickelt, über sein Grundstück und in sein Atelier. Mit seiner Geburtsstadt Nahariya hat er, ebenso wie mit Bielefeld und der Partnerschaft wenig am Hut. Der 65-Jährige ist Maler, raucht wie ein Schlot, im Ohrläppchen blitzt ein Ohrring, und wenn Yigael Meyer lacht, dann tief aus dem Inneren mit rauer Stimme. Und er hat sich seine eigene Heimat geschaffen. Sein Atelier in einer Kommune teilt er sich mit einer Schlange Meyer, der Jüngere, spricht noch Deutsch. &bdquo;Meine Eltern waren, wie viele in Nahariya, Jeckes." Eine spöttische Bezeichnung für eingewanderte, deutschstämmige Juden in Israel, die weder gläubig waren, noch Hebräisch sprachen. &bdquo;Auch meine Mutter hat praktisch nie Hebräisch gelernt." Vom Vater übernahm Yigael Meyer die Andreas-Meyer-Glaswerke. Er entwarf auch das Bielefelder Nahariya-Fenster, das heute im Neuen Rathaus zu sehen ist. Alles Vergangenheit. Das Unternehmen ist seit 2005 verkauft. Der Künstler hat eigene Pläne, schlägt eigene Wurzeln. Und die bedeuten immer wieder Ärger mit israelischen Behörden. Denn Meyer ist nicht Haus-, sondern Landbesetzer. Aber nicht als Siedler in palästinensischen Grenzgebieten. Das Dorf Klil ist eine Art linke Kommune auf einem Hügel mitten in der Region Westgaliläa. Die Bewohner sind nicht ans israelische Stromnetz angeschlossen. Sie haben Solarzellen auf dem Dach und versuchen sich an einem Leben als Selbstversorger. &bdquo;Die Leute hier wollen mit dem Staat Israel so wenig wie möglich zu tun haben", sagt Meyer. Land und Verwaltung sind in privater Hand. Die Häuser werden oft in schnellen Aktionen hochgezogen – ohne Baugenehmigung auf Land, das nicht als Bauland ausgewiesen ist. Das Haus, in dem Yigael Meyer sein Atelier eingerichtet hat, ist halbfertig. Ihm sei ein Baustopp verhängt worden. Jetzt teilt er sich sein Atelier mit einer Schlange, die durch eine Lücke im Mauerwerk mit eingezogen ist. Eine Besetzerin aus eigenem Recht. Wer wissen will, was den 65-Jährigen bewegt, muss nur einen Blick auf die Bilder werfen, die in seinem Atelier stehen. Sie zeigen israelische Landschaften. Und eine tiefe Verbundenheit. Meyer kennt jede Blume, jeden Strauch in der Region Westgaliläa, jede Steineiche, jeden Johannisbrotbaum. Er studiert sie, er malt sie, bei wechselndem Licht zu wechselnden Jahreszeiten. Deutschland ist für ihn Familienhistorie, Israel die Heimat. Und die ist nicht selbstverständlich. Von Hand klaubt Meyer Steine und Felsbrocken aus der Erde seines Grundstücks, um Oliven-, Avocado- und Obstbäume anpflanzen zu können. &bdquo;Die Arbeit mit den Händen genieße ich." Auch in der zweiten Generation der deutschen Einwanderer bleibt das Gefühl, sich das Land, sich sein Zuhause erst erarbeiten zu müssen. Das ist wichtiger als die deutsche Vergangenheit. Andere sind gegangen. Ein Bruder lebt in Kanada. Der Onkel, Justus Meyer, ebenfalls Pionier der Städtepartnerschaft, zog mit Familie nach Deutschland zurück. Nach Bielefeld. Kontakt gibt es kaum, sagt Yigael Meyer. Man gratuliert sich zum Geburtstag. Ortswechsel: ein beigefarbenes Klinkerhaus in einem Wohngebiet am Bohnenbach in Bethel in Bielefeld. Hier öffnen zwei Frauen in Rollkragenpullovern die Tür. Die ältere ist Edith Meyer (84), die jüngere Tochter Dinah (46). Justus Meyer ist, ebenso wie sein Bruder Andreas, bereits verstorben. Dinah Meyer ist die Cousine des Landschaftsmalers in Klil. Sie gibt Hebräischunterricht an der Volkshochschule in Bielefeld. Sechsmal die Woche unterricht die gelernte Logopädin die Sprache ihrer Kindheit, die in ihrem Alltag kaum noch eine Rolle spielt. &bdquo;Aber es gibt Worte, die auf Israelisch einfach besser und passender klingen", sagt sie. Wie das Wort für Meer – &bdquo;jam". Israel und Nahariya, die Stadt, in der sie geboren wurde, sind für die 46-Jährige vor allem Kindheitserinnerungen: &bdquo;An Erdbeeren, die in Israel ganz anders schmecken als die in Deutschland." Und an ein Leben, in dem man selten mehr als ein paar Sandalen, kurze Hosen und ein T-Shirt hastig anzog, bevor es an den Strand ging. &bdquo;Wir sind fast jeden Mittag schwimmen gegangen." Bis sie zehn Jahre alt war. Dann bekam Mutter Edith Meyer ein Jobangebot aus Bethel. Die Familie zog 1981 aus Nahariya zurück in die Region, aus der die Meyer-Brüder einst geflohen waren. Fremd habe sie sich in Deutschland nie gefühlt, sagt Dinah Meyer. &bdquo;Wir haben zu Hause ohnehin nur deutsch gesprochen, die Umstellung war kein Problem." Auch die Schule habe ihr in Deutschland viel besser gefallen. &bdquo;Wegen der kleineren Klassen. In Nahariya waren wir 40 Kinder." Nur ein Kind sei aus Marokko gewesen. &bdquo;Israel ist eine geteilte Gesellschaft und alles ist politisch: Was du isst, wie du dich kleidest." Zuhause fühle sie sich dort nicht mehr. Deutschland sei viel freier. &bdquo;Hier kann jeder sein, wie er will." Nur &bdquo;jam" – das Meer – das fehlt.

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