Bielefelder erforscht, warum junge Menschen sich radikalisieren

Bielefeld. Andreas Zick ist Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Uni Bielefeld. Seit Jahren ist er als Interviewpartner bundesweit gefragt. Inwieweit seine Forschung auch der Terrorabwehr unter die Arme greift, erklärte er jetzt dem Uni-Kolloquium "Bildungsforschung made in Bielefeld" der "Bielefeld School of Education". "Radikalisierungsprozesse bei jungen Menschen sind sehr komplex. Wir sind da noch am Anfang der Erforschung", sagt der Professor bescheiden. Dabei begleiten Wissenschaftler seines Instituts eine ganze Reihe von Forschungsprojekten zur Radikalisierung, dschihadistischer Jugendszenen, sie analysieren Soziale Netzwerke und Gerichtsakten, salafistische Karrieren, planen Deradikalisierung und Prävention. Ideologisch motivierte Gefährder weisen deutlich seltener eine psychiatrische Besonderheit auf als Mörder. Dafür haben sie aber doppelt so oft "regelmäßigen Kontakt ins kriminelle Milieu". "Anis Amri war zum Beispiel lange kokainabhängig. Als diese kriminelle Welt wegbricht, wird sie von der Ideologie ersetzt." Islamistische Handy-Apps für Drei- bis Vierjährige Das Prinzip, auf das sich aktuell die Behörden berufen, um Gefährder zu kategorisieren, folge auch neuesten Ergebnissen seines Instituts, sagt Zick nicht ohne Stolz. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind manchmal schwer zu glauben. Laut Zick werden die Radikalisierten aktuell deutlich jünger. Das zeige sich nicht nur, wenn man sich das Alter der zum Teil minderjährigen Attentäter vor Augen führe. Die Anwerber und Unterstützer haben längst verstanden, dass die Terrortat schon viel früher in der Entwicklung der Jugendlichen angelegt wird: "Neuerdings gibt es eine Handy-App der Islamisten, die Drei- bis Vierjährigen spielerisch islamistische Begriffe und Bilder beibringe - etwa die Bedeutung des Schwertes oder der Scharia." Der Dschihad (der Heilige Krieg) werde als Lifestyle vermarktet. "Der Islamistische Terror hat Züge einer Jugend-Subkultur" Im Westen habe der islamistische Terror in manchen Kreisen Züge einer Jugend-Subkultur. Der IS vermarkte T-Shirts, Mode, spiele mit der Symbolwelt der Jugendlichen, aufgeladenen Emotionen und narrativen Mythen. "Medien spielen dabei eine größere Rolle, als wir uns das vorstellen können", sagt Zick. "Sie fungieren als Sozialisationshelfer." Was allen 17- bis 19-Jährigen gemeinsam war: "Keiner von ihnen war ohne ein kritisches Lebensereignis. Etwa den Verlust eines Elternteils." Er frage sich deshalb: "Was passiert eigentlich in Schulen, nachdem ein Schüler ein Elternteil verloren hat. Wird da nach einiger Zeit nachgefragt, ob der Tod verarbeitet wurde?" Die jungen Menschen, dessen Gerichtsakten seine Wissenschaftler auswerten, hatten ihre Krise alle nicht verarbeitet. Zick glaubt, dass eine Anschlagstat schon mit 13 Jahren kognitiv angelegt worden sein kann. Er fordert deshalb: "Es reicht nicht, die Terrorzellen anzusehen. Wir müssen die Hinwendung zur radikalen Ideologie verstehen. Bei eigentlich allen Tätern gab es frühe Anzeichen einer Hinwendung." "Meine Botschaft: Das Ganze müsste zum Erziehungsthema werden" Seine Botschaft lautet deshalb: "Man müsste das Ganze zum Erziehungsthema machen. Aber gefördert werden fast ausschließlich Sicherheitskonzepte." Doch die wenigen pädagogischen Ansätze haben Akzeptanzprobleme. Zusammen mit dem Wegweiser-Projekt (gegen gewaltbereiten Salafismus) und Projektleiter Michael Kiefer aus Düsseldorf bietet das Institut betroffenen Schulen ein wissenschaftlich begleitetes Clearing-Verfahren an, das Radikalisierungsprozesse bei Schülern unterbrechen soll. "Wir haben mit solchen Verfahren schon manche Radikalisierung verhindert." Dafür bauten sie in den Schulen Rechercheteams auf - bestehend aus Lehrern, Schulsozialarbeitern und Wissenschaftlern, sagt Zick. Um möglichst früh einzugreifen. Lehrer wünschen Clearing-Verfahren, Direktoren haben Angst um ihren Ruf "Wir wollen verhindern, dass die Betroffenen offen stigmatisiert werden. Der normale Weg der Schulen aber geht direkt zur Schulkonferenz. Wird der Schüler dort zum Thema gemacht, ist er quasi ein öffentlicher Fall." Das aber fördere die Radikalisierung des Jugendlichen eher. Zick klagt: "Während viele Lehrer das Verfahren an ihrer Schule haben wollen, sagen die Schulleiter oft ?Nein?. Das ist teilweise abenteuerlich." Statt schlimme Karrieren zu stoppen, habe man Angst um den Ruf der Schule.

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