Mitte. Nur wenige werden sie noch kennen - die Linke Baracke an der Melanchthonstraße im Bielefelder Westen. Doch über Jahrzehnte war sie ein Treffpunkt für die Jugend in diesen Bereich. Die politische Zuordnung "links" traf überwiegend zu - doch auch die Hitlerjugend traf sich hier.
Vom Pferdestall zum Jugendheim
Um 1900 hatte die "Bauhütte Teutoburg", ein genossenschaftliches Bauunternehmen der Arbeiterbewegung, vom Deutschen Reich eine Militärbaracke an der Melanchthonstraße erworben, die zuvor als Pferdestall gedient hatte. Die "Bauhütte" richtete nun darin ihre Geschäftsräume ein. Sie überließ 1925 dem Verein Arbeiterjugend die Holzbaracke - in Eigenleistung errichtete die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) damals das Heim praktisch neu.
Ein Jahr dauerten die Arbeiten, am 17. Oktober 1926 konnte das "Eigenheim der Arbeiterjugend" - wie es die damalige sozialdemokratische Zeitung Volkswacht bezeichnete - übergeben werden.
Sozialistischer Versammlungsort

Carl Schreck, Bezirksvorsitzender der SAJ, nahm während einer Bezirkskonferenz die Einweihung vor. Die Baracke hatte eine Grundfläche von 400 Quadratmetern. Durch zwei Aufgänge an der Melanchthonstraße gelangte man in einen langen Gang, von dem rechts und links verschiedene Räume abgingen: Spielzimmer, Lesezimmer, Küche. Am Ende des Ganges befand sich ein Saal mit 300 Sitzplätzen und einer Bühne. Das Heim wurde von der Sozialistischen Arbeiterjugend und den Kinderfreunden als Treffpunkt für vielfältige Aktivitäten genutzt. 1933 wurde die Baracke von den Nationalsozialisten besetzt.

Zwei Jahre später verkaufte der preußische Staat die Baracke für 2.000 Reichsmark an die Stadt. Diese stellte die Baracke der Hitlerjugend zur Verfügung, die das Gebäude schnell in Baldur-von-Schirach-Heim umbenannte. Er war der damalige Reichsführer der Hitlerjugend.
Wiederaufbau der Linken Baracke
Gleich nach Kriegsende bemühte sich Carl Schreck um die Rückgabe des Hauses. Sie erfolgte 1947 - an die sozialistische Jugend Deutschlands, die Falken. Sie hatten sich als Nachfolgeorganisation der ehemaligen SAJ und der Kinderfreunde gegründet. Sie setzten die durch die Nazizeit unterbrochene Kinder- und Jugendarbeit fort. Gleich nach der Rückgabe füllte sich das Jugendheim wieder mit Leben. Kinder- und Jugendgruppen kamen zu regelmäßigen Treffen zusammen. Der Saal bot sich an für Tagungen und Konferenzen; aber auch für Theater. Nach dem Tode von Carl Schreck im April 1956 erhielt das Haus seinen Namen. Ab 1968 tauchte dann vermehrt der Name "Linke Baracke" auf. Er war als ironische Anspielung auf das damalige provisorische Hauptquartier der SPD in Bonn gemeint, das ebenfalls Baracke genannt wurde.
Neue Zeiten
Ab 1969 änderten die Falken die Struktur ihrer Jugendarbeit, so dass die Linke Baracke zum Zentrum der außerparlamentarischen Opposition, der APO, in Bielefeld wurde. Etliche politische Aktionen und Demonstrationen der APO wurden mit Unterstützung der Falken aus der Linken Baracke heraus organisiert, wie zum Beispiel die Ostermärsche, Demos gegen Notstandsgesetze und gegen den Vietnamkrieg. Der Begriff "Linke Baracke" prägte sich immer mehr ein.
Das Ende
Im März 1978 kündigte die Stadt den Mietvertrag für das Grundstück, da es für den Bau einer Turnhalle benötigt wurde.
Intensive Gespräche mit Kommunalpolitikern und Verwaltung führten schließlich dazu, dass die Falken ein Ersatzgebäude an der Meller Straße 77 erhielten - den spätere "Falkendom". Die "Linke Baracke" wurde im Februar 1980 abgerissen.
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