Bielefeld

Jugendämter sind gegen Kontrollen

Verordnung zum Kindeswohl unverhältnismäßig

Sorge um Kindesgesundheit: Eine Ärztin untersucht einen kleinen Jungen. | © Foto: picture alliance / dpa

Hubertus Gärtner
25.03.2015 | 25.03.2015, 18:19

Bielefeld. Mit einer Verordnung wollte die schwarz-gelbe Landesregierung 2008 die Gesundheitsvorsorge bei Kindern stärken und gleichzeitig Fälle von Kindeswohlgefährdung aufdecken. Das Regelwerk, das auf einem umfangreichen Datenaustausch basiert, erschien manchen Experten von Beginn an verfassungsrechtlich bedenklich und vom Aufwand unverhältnismäßig.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Kritik gerechtfertigt war. Mehr noch: Viele tausend Eltern in NRW fühlen sich bis heute zu Unrecht unter einen Generalverdacht gestellt. Etliche Jugendämter spielen deshalb nicht mehr mit.

Dreh- und Angelpunkt der kontroversen Debatte ist das Meldeverfahren über die Teilnahme an freiwilligen Früherkennungsuntersuchungen. Mit diesen Untersuchungen, genannt U 1 bis U 9, soll die Entwicklung der Kinder von der Geburt bis zum Schulbeginn regelmäßig ärztlich begleitet werden.

Seit September 2008 in Kraft

Weil viele Eltern diese Termine nicht wahrnehmen und es andererseits einige spektakuläre Fälle von Kindesmisshandlung gegeben hatte, setzte die NRW-Landesregierung im September 2008 die "Verordnung zur Teilnahme an Kinderfrüherkennungsuntersuchungen" in Kraft.

Seither wird ein großes Rad gedreht. Im Landeszentrum Gesundheit (LZG) laufen dabei die meisten Fäden zusammen. Die Einwohnermeldeämter wurden verpflichtet, die Daten aller Kinder dorthin zu schicken. Den Kinderärzten wurde gleichzeitig zur Auflage gemacht, für jedes Kind, das bei ihnen an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen hat, eine Bestätigung an das LZG zu schicken.

Dort nimmt man einen Abgleich vor und schreibt in einem ersten Schritt alle Erziehungsberechtigten an, für deren Kinder noch keine Teilnahmebestätigungen vorliegen. Fruchten die "Erinnerungsschreiben" nicht, dann werden diese Eltern den Jugendämtern gemeldet. Laut einer LZG-Sprecherin geschah das allein 2014 in fast 33.000 Fällen. Betroffen waren je nach Untersuchung bis zu 15 Prozent der Eltern.

Auch OWL-Jugendämter unter Zugzwang

Die Jugendämter sind unter Zugzwang. Sie müssen Kontakt mit den Erziehungsberechtigten aufnehmen und nach den Gründen für die ausgebliebene Untersuchung forschen. In all den Jahren habe man allerdings bei Hausbesuchen "keine einzige Kindeswohlgefährdung" feststellen können, sagt der Bielefelder Jugendamtsleiter Georg Epp.

Ähnlich sei es in fast allen Jugendämtern in OWL. Fast immer habe es für die versäumten Untersuchungen nachvollziehbare Gründe gegeben, oft seien die Meldungen des LZG an die Jugendämter schon überholt gewesen. Man werde das Prozedere ändern und keine Hausbesuche mehr ankündigen, sondern Eltern nur noch auf die Untersuchungen hinweisen, so Epp.

Auch aus Sicht des Landesjugendamtes in Münster hat die Verordnung in Bezug auf das Kindeswohl "nichts gebracht außer Arbeit". Es sei zudem fragwürdig, eine freiwillige Untersuchung mit einem solchen Kontrollsystem zu überziehen und derart viele Eltern unter Generalverdacht zu stellen, sagte Sprecher Thomas Fink.