Reise

Voller Geschmack und voller Geschichte: Das „Alte Land“ der Iren

Unweit der Bielefelder Partnerstadt Enniskillen bezaubert die historische Grafschaft Armagh mit Apfelplantagen und kulturellem Reichtum abseits der üblichen touristischen Pfade. Beim „Food & Cider Weekend“ zeigt sich die Region einmal im Jahr von ihrer schmackhaftesten Seite.

Die Apfelplantagen prägen das Landschaftsbild der Grafschaft Armagh, die daher auch als „Orchard County“, als „Obstgarten-Grafschaft“ bekannt ist. | © Eike J. Horstmann

Eike J. Horstmann
29.05.2025 | 03.06.2025, 16:43

Bielefeld/Armagh. Äpfel von höchster Qualität, traditionelle Sorten direkt von der Plantage und Apfelbäume so weit das Auge reicht: In Deutschland hat bei diesen Worten nahezu jeder das Alte Land bei Hamburg vor Augen. Weitaus weniger bekannt ist, dass die Beschreibung auch auf ein rund 1.500 Kilometer nordwestlich gelegenes Pendant zutrifft, das nicht weniger reizvoll ist: Die Grafschaft Armagh.

Die Region ist das Herz des nordirischen Obstanbaus und gleichzeitig das historische Herz des keltischen Irland. Also im wahrsten Sinne des Wortes ein „altes Land“ – und ein Geheimtipp für alle, die echte Aromen, ehrliche Küche und Geschichte zum Anfassen suchen.

Vor allem im Spätsommer lohnt sich die Reise, wenn die ohnehin schon sehr gastfreundlichen Bewohner der Grafschaft und der gleichnamigen Stadt zum „Armagh Food & Cider Weekend“ laden. Denn wenn Liebe tatsächlich durch den Magen geht, hat man dann praktisch keine andere Wahl, als Land und Leuten hoffnungslos zu verfallen.

Nordirlands hartnäckiges Erbe

Eine Schwäche für Irland gehört bei vielen Deutschen inzwischen zum guten Ton. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren direkt nach Mallorca und Sylt zu einer der Lieblingsinseln gemausert, die touristischen Hotspots sind allseits bekannt: Dublin, Cork und auch das unlängst europäischen Kulturhauptstadt gekürte Galway gehören zu den populären Zielen.

Entsprechend begeistert sind dann auch die Reaktionen, wenn man anmerkt, auf die grüne Insel zu fliegen. „Ach, Du fährst nach Irland? Herrlich! Wie schön! Wohin geht’s denn?“ Wenn man dann den Norden der Insel nennt, ist die Euphorie schlagartig etwas gedämpft. „Nordirland? Echt?“ – es ist, als ob man gebeichtet hätte, dass man ein Rendezvous nicht mit der allseits begehrten Dorfschönheit, sondern mit deren etwas sonderbaren, mit zweifelhaftem Ruf beleumundeten Schwester hätte. Was allerdings nicht sonderlich fair und ganz sicher nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.

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Denn inzwischen ist es mehr als ein Vierteljahrhundert her, dass mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 der – von den Einheimischen etwas beschönigend „The Troubles“ bezeichnete – Bürgerkrieg beigelegt wurde. Das Image des von Spaltung und Gewalt geschüttelten Landes hängt Nordirland aber noch immer nach, obwohl die Zeichen der Friedenszeit inzwischen mehr als deutlich sichtbar neben die durchaus noch beklemmenden Spuren der Zeit des Konfliktes getreten sind. Auch Armagh hat in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Und das in vielerlei Hinsicht.

Wo der Bramley-Apfel regiert

Die Grafschaft liegt eine knappe Autostunde westlich von der Hauptstadt Belfast und etwa ebenso weit östlich von Bielefelds Partnerstadt Enniskillen. Während der „Troubles“ war die Region aufgrund ihrer direkten Nähe zur irischen Grenze besonders berüchtigt. Inzwischen hat sich ein anderer Ruf herausgebildet: Mit gleich zwei dem Heiligen Patrick geweihten Kathedralen und zwei dazugehörigen Erzbischöfen – der eine katholisch, der andere anglikanisch – hat Armagh Strahlkraft bis weit über die Grenzen der Stadt hinaus, auch in Sachen Kultur und Bildung hat die Stadt deutlich mehr Gewicht, als man es für eine knapp 15.000 Einwohner zählende Kommune vermuten möchte.

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Das "Alte Land" der Iren: Äpfel kelternde Kelten im Norden der grünen Insel

Und nicht zuletzt ist Armagh das Herz vom „Orchard County“, der Apfelgrafschaft: Mehr als 4.000 Hektar Land werden hier für den Anbau genutzt, vor allem für den Armagh Bramley-Apfel, der seit dem frühen 19. Jahrhundert im milden und feuchten Klima der Region kultiviert wird und vor dem Brexit als geografische Angabe von der Europäischen Union Schutz genießt. Mit dem Apfel selbst ist es ein wenig so wie mit dem Image von Nordirland: Wer es beim ersten Eindruck belässt und in den rohen Apfel hinein beißt, wird zwangsläufig sein Gesicht verziehen und sich schütteln – es sei denn, man steht auf ausgesprochen saures Obst.

Wer aber dem Bramley eine echte Chance gibt und ihn für Apfelkuchen, Mus oder auch für Soßen nutzt, wird nicht mehr von ihm lassen wollen: Nicht umsonst ist der Apfel die Sorte der Wahl bei zahlreichen britischen und irischen Gerichten, etwa der „Bramley Apple & Black Pudding Tart“, einer angelsächsischen Version des rheinischen Klassikers „Himmel und Ääd“.

Kelternde Kelten und überraschende Kulinarik

Eine wichtige Rolle spielt der Bramley auch beim Cider, dem traditionellen Apfelwein, auch wenn er hier vorwiegend als spritzige Beimischung zu süßeren Früchten gewählt wird. Der inzwischen vermehrt auch in deutschen Supermarktregalen auftauchende Cider ist hier nicht bloß ein Trendgetränk, sondern ein Handwerk, auf das man in Armagh stolz ist. Lokale Produzenten wie Mac Ivors oder die Armagh Cider Company setzen auf Qualität, Sortenvielfalt und regionale Identität. Die Cider werden zudem im Gegensatz zu industriell gefertigten Sorten meist in kleinen Chargen hergestellt, oft mit wilden Hefen vergoren, manchmal in Eichenfässern gereift – und schmecken entsprechend charaktervoll.

Die wohl beste Gelegenheit, um sich einen Überblick über die Bandbreite der nordirischen Apfelweine zu verschaffen, ist – wenig überraschend – zur Erntezeit im Spätsommer und Frühherbst. Denn dann wird seit inzwischen zehn Jahren der prickelnde Stolz der Region mit einem besonderen Festival gefeiert, dem „Food & Cider Weekend“. 2025 findet es vom 4. bis 7. September statt. Im Mittelpunkt steht naturgemäß Cider in jeglicher Form und Variation. Allerdings zeigen die Nordiren bei dieser Gelegenheit auch nur zu gerne, was sie sonst noch alles kulinarisch auf dem Kasten haben: Nämlich eine Menge mehr als nur Irish Stew oder Bohnen mit Speck zum Frühstück.

Dabei wird gerne auch auf hohem Niveau aufgetischt, etwa beim lauschigen „Courtyard Dinner“ in Crannageal House, einem Herrenhaus, in dessen weitläufigem Garten eine exakte Replik des ersten Bramley-Apfelbaumes steht. Oder bei einer klassischen britischen Tea-Time im Blackwell House, wo Gastgeberin Edele Rampa neben Scones mit Clotted Cream auch raffinierte Köstlichkeiten auf die Etageren bringt. Herzhaft-Bodenständig ist es wiederum beim „BBQ and Beats“ im „On the Hoof“, bei dem es neben Gegrillten auch ein Live-Set vom DJ gibt – und der Cider aus einem umgebauten Doppeldecker-Bus heraus serviert wird. Insgesamt 50 Veranstaltungen gibt es am „Food & Cider Weekend“, von der Verkostung über Kochdemonstrationen bis zu Live-Musik in der festlich geschmückten Innenstadt von Armagh.

Gargoyles, Engel und ein keltischer Königssitz

In dieser lohnt es sich übrigens, sich die Häuser, Winkel und Ecken auch zwei Mal und etwas genauer anzuschauen: In Anlehnung an die historischen Wasserspeier an den Kathedralen hat der deutsch-irische Künstler Holger Christian Lönze eine Vielzahl kleiner Bronze-Plastiken in Form von „Gargoyles“, kleinen Monstern im Stadtbild versteckt – eine liebevolle Anspielung auf die Historie der Gegend, die inzwischen bis weit in die vorchristliche Zeit zurückdatiert werden kann.

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Denn Armagh war im fünften Jahrhundert als angebliche Gründung des Nationalheiligen Patrick nicht nur die erste Kirchenhauptstadt des Landes: Nach archäologischen Ausgrabungen und Forschungen wird inzwischen auch der einstige Sitz der Könige von Ulster, Emain Macha, hier vermutet: Spuren aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit legen den Schluss nahe, dass die großen Legenden des Ulster-Zyklus genau hier ihren Ursprung gefunden haben. Das Museum von Navan Fort, das unweit der Ausgrabungsstätten errichtet wurde, gibt einen Einblick in die archaische Zeit der Kelten und ihrer Kultstätte. Armagh ist also nicht nur was die Äpfel betrifft das „alte Land“ Nordirlands.

Als Kontrast dazu hat sich Nordirland und die Grafschaft Armagh seit dem „Good Friday Agreement“ von 1998 einen frischen, oftmals jugendlich wirkenden Anstrich gegeben, womit sie durchaus etwas von ihrem Nationalgetränk hat: Überraschend, spritzig und möglichst nicht zu unterschätzen.

INFORMATION


Gut zu wissen

Anreise

Armagh ist gut über die internationalen Airports von Belfast und Dublin erreichbar, die unter anderem von Aer Lingus von mehreren deutschen Flughäfen aus bedient werden. Da es keine direkten Bahnverbindungen gibt, geht es mit Linienbussen oder Mietwagen weiter – bei letzterem ist der Linksverkehr zu beachten. Ebenfalls wichtig: Da Nordirland zu Großbritannien gehört, benötigen Reisende aus Deutschland einen Reisepass.

Unterkunft

Im Herzen der Stadt liegt das komfortable Armagh City Hotel mit Zimmern ab 125 £ pro Nacht. Weiter außerhalb und deutlich mondäner ist das Killeavy Castle Estate, das in einem rund 200 Jahre alten und liebevoll renovierten Schloss und dem dazugehörigen und weitläufigen Park untergebracht ist.

Programm

Das „Armagh Food & Cider Weekend“ findet in diesem Jahr vom 4. bis zum 7. September statt und verbindet zahlreiche kulturelle Events mit kulinarischen Genüssen. Details zum Programm gibt es auf der Website. www.visitarmagh.com/foodandcider