Santander. Urlauber aus Madrid und anderen spanischen Großstädten schätzen die Region am Golf von Biskaya schon lange. Sie entfliehen nur zu gern der sommerlichen Hitze ihrer Metropolen, fahren hinauf in den Norden. Hinauf ins grüne Spanien, so vermarktet sich Kantabrien. Dort ist es im Hochsommer angenehme 25, maximal 30 Grad warm. Und die Landschaft ist so abwechslungsreich wie kaum eine andere. Man ist hin- und hergerissen zwischen den Gipfeln der Picos de Europa und den herrlichen Sandstränden am Atlantik – beides gerade mal 20 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Bei deutschen Urlaubern hat sich die Region bisher kaum herum gesprochen, schade eigentlich. Wir nennen Ihnen fünf Gründe Kantabrien zu entdecken:
Alpine Wanderungen
An der Bergstation auf 1.834 Meter Höhe fühlt man sich in die Dolomiten versetzt. Beeindruckend steile Kalksteingebirge türmen sich auf. Die Picos de Europa, die „Spitzen Europas“, waren das erste Gebirge, das die Seeleute vom Meer aus entdecken konnten, daher der Name. Denn schon wenige Kilometer nach der Küste erheben sich die Gipfel bis auf 2.500 Meter Höhe. Für den Aufstieg haben wir den bequemen Weg gewählt. Die ersten 800 Höhenmeter kann man nämlich mit der Seilbahn von Funte De aus erklimmen. Es ist die einzige Seilbahn in den Picos de Europa, von Asturien und Kastilien-Leon, ebenfalls Anrainer des Gebirgsmassivs, führt gar kein Lift hinauf. Die Picos sind als Nationalpark geschützt. Viele Greifvögel, etwa Steinadler und Bartgeier, leben hier, relativ ungestört, auch vom Skirummel, den gibts nicht. Auf dem Weg zum Refugio de Aliva, einer der wenigen Hütten im Gebiet, begegnet uns eine Horde von Wildpferden. Sie grasen auf den grünen Almen, die zwischen den Felsen eingebettet sind – ein schönes Leben in den Alpen am Atlantik. Am Fuße der Picos wachsen dichte Wälder, nach einem Regenguss steigt der Nebel zwischen den Stieleichen und Kastanien auf. 18 Bären sollen in der Region leben, gesehen haben wir keinen. Aber die Bewohner des kleinen Dorfes Avellanedo sollen öfter schon einen Bären, der im Dorf nachts nach Nahrung suchte, mit einer Schreckschusspistole verscheucht haben. Passiert ist noch niemandem etwas, die Hunde schlagen immer rechtzeitig an.
Feiner Sandstrand und ungestüme Wellen
Der Atlantik ist nie weit entfernt in Kantabrien. Man hat die Wahl zwischen feinem Sandstrand, etwa in der Nähe von San Vicente de Barquera und auch in Comillas einerseits und der Steilküste, zum Beispiel an der Costa Quebrada, andererseits. „Die gebrochene Küste“ zeigt sich wild und ungestüm. Ein Strand, der mehr zum Gucken als zum Baden einlädt. Auf die steilen Klippen westlich von Santander rollen unaufhörlich Wellenberge zu. Bei Sturmfluten sollen sich diese Wellen bis zu neun Metern Höhe auftürmen, im Vergleich dazu kann man heute von einem leisen Plätschern sprechen. Die Meeres-Skyline an der Costa Quebrada hat sich vor 40 Millionen Jahren geformt. Die vorgelagerten Felsmonolithe, die man aus dem Wasser herausragen sieht, bieten der Wasserkraft seitdem Paroli. Andere sind längst in den Fluten versunken. Hier und auch an der Küste von Acantilados de Bolao, die ein bisschen an Cornwall erinnert, kann man schöne Panoramawanderungen unternehmen. Zum Baden perfekt geeignet sind die Strände von Santander. Neun herrliche Buchten mit feinen Sandstränden stehen zur Auswahl.
Santander: Eine Stadt mit neun Stränden
Neun Strände – kein Wunder, dass es die Stadt in den Club of the Most Beautiful Bays in the World geschafft hat. Ob die Bewohner von Santander eigentlich ihr Glück zu schätzen wissen, in einer solchen Stadt zu wohnen? „Man lebt recht gut hier“, antwortet eine Señora, die wir in einem Straßencafé treffen, mit fast britischem Understatement. Santander ist eine lebendige Stadt, mit einer Promenade, die sich an der gesamten Küstenlinie entlang schlängelt. Mit herrschaftlichen Villen, gepflegten Parks, die alle frei zugänglich sind. Sogar im Park auf der Halbinsel Magdalena, wo der königliche Palast von Alfons XIII. steht, der heute als internationale Sommeruniversität genutzt wird, darf sich jedermann vergnügen. Bis spät in den Abend flanieren die Leute auf der Promenade entlang, am Strand spielen Studenten Volleyball, andere surfen, ältere Männer werfen die Angel aus, oder man trifft sich in den zahlreichen Bars in der Innenstadt. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen. Es lohnt sich, ein paar Tage in Santander zu bleiben. Auch wenn das historische Zentrum bei einem Brand 1941 zum großen Teil zerstört wurde, ist das Stadtbild schön, vor allem im Villenviertel Sardinero, das von großbürgerlichen Häusern geprägt ist. Man kann zudem wunderbare Wanderungen unternehmen, etwa auf dem Panoramaweg hinauf zum Leuchtturm am Cabo Mayor. Ein Ausflugsziel, wenns mal regnet, ist das 2017 eröffnete Kunstmuseum, die Fundación Botín. Finanziert wurde es von der Stiftung der Santander Bank, die einst in der Stadt gegründet wurde und inzwischen in vierter Generation von der Familie Botín geführt wird. Das Kulturzentrum, entworfen vom Stararchitekten Renzo Piano, steht direkt am Wasser. Selbst wer sich nicht für moderne Kunst interessiert, genießt das von außen zugängige Museumscafé oder die Panoramaterrasse.
Schöne Dörfer mit blumengeschmückten Holzbalkonen
Abseits von Santander und dem Industriezentrum Torrelavega ist Kantabrien dünn besiedelt. Bei der Fahrt durchs Hinterland sieht man Dörfer – authentisch und so unspektakulär, dass sie in keinem Reiseführer erwähnt werden. Viele können mit schönen Blicken in die Landschaft punkten, auf grüne Wälder, auf Schluchten und Bäche. Mit ein bisschen Glück findet man auch noch ein Dorfgasthaus, das die Zeit überdauert hat. Einige Ortschaften haben es auf die touristische Landkarte geschafft: Potes zum Beispiel, im Liébana-Tal gelegen und von einer spektakulären Landschaft umgeben. Mit alten Bruchsteinbauten und Brücken, die aus der Römerzeit stammen. Und das Allerschönste ist der Ausblick: Im Hintergrund von Potes erheben sich die Picos de Europa. Santillana del Mar hat Jean Paul Sartre in einem seiner Bücher als schönsten Ort in Spanien tituliert. Der Name täuscht übrigens, das Städtchen liegt gar nicht am Meer, sondern einige Kilometer landeinwärts. Die alten Häuser mit den blumengeschmückten Holzbalkonen, die Paläste mit den Wappen der ehemaligen Besucher in der verkehrsberuhigten Altstadt ziehen Touristen scharenweise an – gut, wer in der Nebensaison unterwegs ist. Sehenswert ist auch Comillas mit Gaudis Traumschlösschen „El Capricho“ und San Vincente de la Barquera, ein Fischerdorf nahe der Grenze zu Asturien.
Faszinierende Unterwelt
Altamira ist die berühmteste. Allerdings wurde der Weltstar unter den Höhlen, gelegen in Santillana del Mar, schon vor Jahrzehnten fürs Publikum geschlossen. Die Besucher hatten die Luftfeuchtigkeit so stark in die Höhe getrieben, dass die Farben der berühmten Höhlenmalereien aus der Steinzeit zu verblassen drohten. Die Bisons und Pferde dürfen seitdem nur Forscher zu wissenschaftlichen Zwecken betrachten. Den Besuchern steht dafür die Neocueva unmittelbar nebenan offen. Zwei Kunstprofessoren haben drei Jahre lang die Tierdarstellungen akribisch kopiert. Um eine möglichst originalgetreue Abbildung zu erreichen, haben sie Malwerkzeuge und Farben verwendet, wie sie die Menschen vor vielen Jahrtausenden wohl auch benutzt haben dürften. Weniger bekannt und nicht ganz so spektakulär, dafür aber im Original zu besichtigen, sind die Höhlen von Castillo bei Puente Viesgo im schönen Tal des Rio Pas im Hinterland von Santander. Auch hier sind Höhlenmalereien zu sehen, ebenfalls rund 14.000 Jahre alt wie die in Altamira. Einzigartig sind 25 Handabdrücke. Dazu haben die Steinzeitmenschen ihre Hand an die Höhlenwand gelegt und Pigmente darüber gepustet. Mit fantastischen Gesteinsformationen beeindruckt die Cueva El Soplao südlich von San Vicente de la Barquera. Bis 1978 wurden hier Zink und Blei abgebaut, seit 2005 ist die Höhle für Besucher geöffnet. Eine Wunderwelt aus Stalaktiten, Stalagmiten, Lavaströmen und Hundzahn-Kristallen, zum Teil effektvoll beleuchtet. Die einstündige Standardtour führt über befestigte Wege. Wer die Adventure-Variante wählt, dringt in unzugänglichere Bereiche der insgesamt 30 Kilometer langen Höhle vor und darf sich dabei zwischendurch auch abseilen. Es gibt also viel zu entdecken in Kantabrien, in 2.000 Meter Höhe, auf Meeresniveau und auch im Untergrund.