Kanaren

Insel mit Seele

El Hierro, die kleinste und westlichste der Kanarischen Inseln, ist ein Paradies für Naturfreunde und Ruhesuchende.

Malerische Landschaft: Auf El Hierro kommen Wanderer auf ihre Kosten. | © Ganitta

01.08.2020 | 01.08.2020, 06:00

Als Kolumbus sich 1493 zum zweiten Mal anschickte, die Neue Welt zu entdecken, machte er auf El Hierro Halt. Hier „tankte" er auf, belud sein Schiff noch einmal mit Lebensmitteln, um für die weite Expedition gewappnet zu sein. Nicht ohne Grund, denn die Insel ist die westlichste des kanarischen Archipels. Nach ihr kommt der Atlantik und dann lange nichts. Das Ende Europas sozusagen. Nicht so für Alfredo Hernandez Gutierrez, den Chef der lokalen Winzergenossenschaft. Für ihn ist El Hierro das Gegenteil: der Beginn des europäischen Kontinents. Weit weg aus deutscher Sicht ist es allemal. Man muss eine Tagesreise auf sich nehmen, die in den meisten Fällen über Teneriffa führt. Von hier aus fliegt man oder setzt mit der Fähre über auf das gerade mal 10.000 Einwohner zählende, 270 Quadratkilometer große Eiland, südwestlich von Gomera und La Palma.

Einmal da auf dieser erdgeschichtlich jüngsten der kanarischen Inseln, auf der seit dem Römischen Reich die Bimbaches (Ureinwohner) siedelten, hat der Aufwand gelohnt. Gegensätze bestimmen das landschaftliche Bild. Schroffes Lavagestein im Südwesten wechselt sich ab mit dichten Kiefer- und Lorbeerwäldern in der Inselmitte und dem fruchtbaren Golfo Tal im Norden, wo Ananas und Bananen wachsen und ein guter Wein. „Die Reblaus gab es hier nie", erzählt Alfredo. „Deshalb wachsen hier viele alte Sorten". Außerdem habe es früher keine Trennung zwischen rotem und weißem Wein gegeben. „Bis vor Kurzem wurden hier noch bis zu 28 Rebsorten zusammengemixt", so der Experte. Zu der Weinprobe werden Tapas mit Ziegenkäse, gegrilltem Huhn, Feigen-Mousse und kanarische Kartoffeln serviert, samt der inseltypischen rot-grünen Mojo-Soße. Auch der Papageifisch sowie Peto, ein weißer Thunfisch, zählen hier zu den viel verzehrten Speisen.

Sonnenuntergang am Mirador de la Pena. - © Ganitta
Sonnenuntergang am Mirador de la Pena. | © Ganitta

Ökonomische Einnahmequellen des Biosphärenreservats, zu dem El Hierro seit 2000 zählt, sind neben dem Wein, der Export von Ananas und Bananen. Auf die anderen Kanaren wohlgemerkt. Denn auf dem Kontinent können die ohne Chemie teuer produzierten Bananen von El Hierro mit der Konkurrenz aus Chile nicht mithalten. Dem Tourismus als Wirtschaftszweig indes kommt eine immer größer werdende Bedeutung zu. Als im Oktober 2011 ein unterseeischer Vulkanausbruch rund zwei Kilometer vor der Küste von La Restinga mehrere Beben nach sich zog, verließ nicht nur die Hälfte der Herrineros die Insel. Auch die Urlauber blieben in den Folgejahren aus. Seit der Ernennung zum UNESCO-Geopark 2014 sind die Zahlen mit – für deutsche Verhältnisse paradiesisch niedrigen – 20.000 Insel-Reisenden pro Jahr stabil. Es sollen noch mehr werden, wenngleich man Besuchermassen weder will, noch stemmen könnte.

El Hierro eignet sich hervorragend für den „individuellen Gruppentouristen", den ruhesuchenden Wanderliebhaber und Mountainbike-Freak. Wer hier „was losmachen" möchte, ist fehl am Platz. Es gibt kaum Hotels, keine Clubs und keine Biermeilen. Auch Sonnenanbeter und Badenixen kommen anderswo mehr auf ihre Kosten: 90 Prozent Steilküste erlauben das Baden nur an wenigen Stellen, wie in Las Playas. Immerhin gibt es ein atemberaubendes natürliches Meeresschwimmbecken (La Maceta) und laden Tauchschulen an der Ostküste zum Tiefseetauchen ein. Für weiteren Zeitvertreib sorgen Basen für Gleitschirmsprünge, eine Echsen-Aufzuchtfarm und das Freiluft-Museumsdorf Guinea, das anschaulich zeigt, wie beschwerlich das Leben auf der Insel in früheren Jahrhunderten war.

Auch beim Wandern durch die Pampa wird uns das vor Augen geführt. Über weite Strecken nichts als hügelige Lavamasse, was durchaus seinen Reiz hat, vor allem weil man hier im Inselsüden mit grandiosen Aussichten belohnt wird. Ganz anders die Landschaft im Norden und Westen der Insel, die von Lorbeer- und Kiefernwäldern durchzogen ist und nicht selten an die sagenumwobene Welt von J. R. R. Tolkien erinnert. „Lorbeerbäume brauchen die Passatwolke zum Wachsen. Deshalb wachsen sie auf der Nordostseite der Insel", erklärt unsere deutsche Reiseleiterin Johanna Söhner, die seit über 30 Jahren auf Teneriffa wohnt und von Inselführungen lebt. „Kiefern hingegen wachsen auf der westlichen und südwestlichen Seite. Die brauchen keine Wolken, da sie die Trockenheit gut vertragen können". Im völligen Gegensatz dazu erleben wir die bizarr gebeugten Bäume im Wacholderhain El Sabinar, die durch den ständigen Einfluss starker Winde entstanden sind und zu den Wahrzeichen der Insel gehören.

Auch hier sind Spuren von César Manrique sichtbar. Der spanische Künstler, der vor allem auf Lanzarote viel Einfluss auf die architektonische Gestaltung der Insel nahm, hat sich mit seinem Panorama-Restaurant Mirador de la Peña auf El Hierro ein weiteres Denkmal gesetzt. Das aus Naturstein gebaute Haus auf dem gleichnamigen Bergplateau, passt sich seiner Umgebung an. Hier genießen wir ein letztes Mal den Sonnenuntergang mit einem spektakulären Blick auf das Golfo-Tal, das mit seinen Bananenplantagen zur Rechten an das Meer grenzt, zur Linken an die unbezwingbare, fast 1.000 Meter hohe Steilküste. Ein guter Ort, um der Seele von El Hierro nahe zu sein.

INFORMATION


Gut zu wissen

Anreise
Flüge zum Beispiel mit Iberia ab Düsseldorf, Frankfurt oder München über Madrid und Teneriffa/Nord. Ab Teneriffa kann man auch mit der Fähre nach El Hierro übersetzen.

Übernachten
Aufgrund der Infrastruktur und vergleichsweise wenigen Unterkünfte, empfiehlt sich eine Gruppenreise. Aktuell hat „Wikinger" mehrere im Angebot. www.wikinger-reisen.de

Für Individualreisende

Wer bei Meeresgetöse nächtigen möchte, kommt im vermeintlich „kleinsten Hotel der Welt" am Pier von Puntagrande (Las Puntas) mit gerade mal vier Zimmern auf seine Kosten: 250 Euro kostet das Doppelzimmer, zwischen 420 und 480 Euro die Suite (2019) mit Terrasse zum Meer. www.hotelpuntagrande.com. Günstiger geht’s im Hotel Ida Inés. www.hotelidaines.com

Essen und Trinken
Das La Peña am Aussichtspunkt Mirador im Norden der Insel (Guarazoca) bietet einen grandiosen Blick über das Golfo-Tal. 2019 für ihre Tapas ausgezeichnet: die Köchin der Bar Joapira in Frontera (Plaza Candelaria 8). Ebenfalls in Frontera: Restaurante Casa Pucho Don Din 2 (Calle Corredera 5). Empfehlenswert hier der Papageienfisch auf Herreño-Art oder Lammkeule. Fangfrischen Fisch gibt es auch in mehreren Restaurants im Fischerort La Restinga.

Sehenswert
Neben den im Text beschriebenen Zielen kann man zum Leuchtturm Faro de Orchilla am westlichsten Zipfel der Insel wandern oder fahren. Bis vor wenigen Jahren war hier der Punkt, durch den der Null-Meridian verlief. Die Sonnenuntergänge, heißt es, erscheinen hier besonders orange, die Umgebung besonders still und der nächtliche Sternenhimmel besonders sternenreich. Auch die Teilnahme an der Prozession Bajada de la Virgen de Los Reyes empfiehlt sich. Das vielleicht wichtigste Ereignis der Insel lockt im Normalfall bis zu 30.000 Teilnehmende und findet alle vier Jahre am 1. Juli-Wochenende statt. Der Besuch der Wallfahrtskapelle Virgen de los Reyes hingegen ist permanent möglich.

Reisezeit
Grundsätzlich ist die Zeit zwischen Oktober und März klimatisch am besten. Aber auch im November noch erreichen die Temperaturen „Ü20"-Werte. Bezüglich einer blühenden Vegetation empfehlen sich Februar und März.

Infos
elhierro.travel/de