Bis heute hat der Suez-Kanal nichts von seiner Bedeutung verloren. Denn er erspart den Schiffen auf der Fahrt zwischen dem Nordatlantik und dem Indischen Ozean den Weg um Afrika. Noch immer fasziniert er selbst erfahrene Seeleute und erst recht Passagiere großer Kreuzfahrtschiffe während der 162,25 Kilometer langen Reise auf einer der ungewöhnlichsten Wasserstraßen der Welt.
Peter Schade hat die Suezkanal-Passage schon viermal erlebt. Als Staff-Kapitän – das ist auf Kreuzfahrtschiffen der Stellvertreter des Kapitäns – stand er auf der Brücke von Kreuzfahrtschiffen der AIDA-Flotte. Die Fahrt durch die Wüste ist deshalb für ihn fast schon Routine. Und doch bedeutet Schades fünfte Fahrt etwas Besonderes. Diesmal ist er selbst der Kapitän, hat zum ersten Mal die volle Verantwortung für das Schiff und die rund 3.300 Menschen an Bord. Der „Dampfer", wie er in alter Seemannstradition das Schiff nennt, ist die AIDAblu. Ihre Ausmaße: 253,33 Meter Länge und 32,20 Meter Breite – kein Problem für die Reise durch den Suez-Kanal. „Der Kanal ist ungefähr doppelt so breit wie der Nord-Ostsee-Kanal, etwa eine Schiffslänge", rechnet Schade vor. „Auch die Tiefe ist keine Herausforderung: Wir haben 7,30 Meter Tiefgang, die Wassertiefe des Kanals beträgt etwa 24 Meter – also Platz genug."
Haifa ist die letzte Station vor der Suez-Passage der AIDAblu. Gut 170 Seemeilen (etwa 320 Kilometer) liegen zwischen dem Hafen im Norden Israels und dem ägyptischen Port Said am Eingang der Wüsten-Wasserstraße. Stunden bevor das Kreuzfahrtschiff kurz nach Mitternacht Haifa verlässt, erklärt Kapitän Schade den Passagieren den Verlauf der Passage: „Bereits ein halbes Jahr vorher muss die Fahrt bei der ägyptischen Hafenverwaltung angemeldet werden", erklärt der Hamburger. „Drei Monate vorher ist eine weitere Anmeldung nötig, vom zehnten Tag an vor der Durchfahrt muss es eine tägliche Information geben, in der alle Schiffsdetails mitgeteilt werden – Höhe, Länge, Breite, Tiefgang, Gewicht und einiges mehr."
Aus den Daten errechnet die ägyptische Behörde später auch den Preis. Wie hoch der genau ist, bleibt für die Passagiere allerdings ein wohlgehütetes Geheimnis. Mutmaßungen über eine möglicherweise dreistellige Summe werden jedoch nicht dementiert. Um 22.30 Uhr wirft die AIDAblu im Gebiet vor Port Said den Anker – eine halbe Stunde sogar vor dem ursprünglich angemeldeten Termin. „Ich gehe da lieber auf Nummer sicher", erläutert der Kapitän. Die Passage durch den Suez-Kanal erfordert ein strenges Einhalten der Vorgaben, weil die Durchfahrt nur im Konvoi mit weiteren Schiffen möglich ist. Der Grund: Der Suez-Kanal ist – bis auf einen 32 Kilometer langen ausgebauten „zweispurigen" Abschnitt – eine Einbahnstraße, die nach einem ausgeklügelten Zeitplan jeweils nur in einer Richtung passiert werden kann.
Während der Wartezeit erfahren Kapitän Schade und sein Team, dass die AIDAblu an achter Stelle in dem aus 20 Schiffen bestehenden Konvoi fahren wird. Vornweg die wendigen Schiffe hinten die behäbigeren „Pötte". Gegen 4 Uhr kommt über UKW-Funk das Startsignal. Mit niedriger Geschwindigkeit steuert der Kapitän das Schiff in Richtung Kanaleinfahrt.
Nacheinander legen kleine Motorboote an – erst geht der Lotse an Bord, nach ihm der Hafenagent, um auf der Brücke mit dem Kapitän den weiteren Verlauf abzustimmen. Danach betreten Vertreter der Einwanderungsbehörde das Schiff, andere Boote bringen den Suezkanal-Inspektor und einen Quarantäne-Inspektor. Und auch zwei externe Elektriker werden empfangen – wohl mehr in Wahrung einer alten Tradition, wie später zu erfahren ist. Ihre einzige Aufgabe ist es, für die nächtliche Fahrt Scheinwerfer an Steckdosen anzuschließen – ein Brauch, der wegen der heute gebräuchlichen Navigationshilfen eigentlich überflüssig wäre. Doch Tradition hat auch Gutes: Die Elektriker nutzen den Aufenthalt, um kleine Souvenirs zu verkaufen.
Als die Lichter von Port Said allmählich kleiner werden, beginnt schon die Morgendämmerung. An den beiden Ufern gibt es nur wenig Spektakuläres zu sehen – links die Sinai-Halbinsel mit vorwiegend Wüstenlandschaft, rechts hin und wieder ein kleines Dorf, Moscheen und Militärposten, gelegentlich rattert ein Zug der ägyptischen Eisenbahn mit Diesellok vorbei. Nach sechs Stunden dann einer der wenigen optischen Höhepunkte: die 70 Meter hohe Friedensbrücke, die zwischen dem höchsten Punkt des Schiffes und ihrer Unterseite immerhin noch elf Meter Platz lässt. Außer ihr führt nur noch 80 Kilometer weiter südlich bei der 360.000-Einwohner-Stadt Ismailia die mit 640 Meter längste Schwenkbrücke der Welt, die El Ferdan-Brücke, über den Kanal.
Dort, etwa auf der Hälfte des Kanals vor dem Kleinen Bittersee, löst ein neuer Lotse seinen Kollegen ab und begleitet das Schiff bis zum Kanalende bei Suez. Begehrte Fotomotive für die Touristen sind im weiteren, zweispurigen Abschnitt bis zum Großen Bittersee die Schiffe des entgegenkommenden Konvois. Hinter den hohen Sanddünen, die beide Fahrrinnen trennen, sind oft nur ihre Aufbauten und Schornsteine sichtbar – sie wirken wie Wüstenschiffe.