
Spätgeborene kennen Rudolf Scharping wahrscheinlich nicht mehr. Der ehemalige SPD-Chef und Bundesverteidigungsminister galt zur Zeit seiner politischen Karriere als äußerst gemächlich sprechend. Laaaaangsaaaaam! Er selbst hat dazu mal gesagt: „Den Vorwurf, ich redete zu langsam, halte ich für einen vertretbaren Vorwurf, solange er nicht mit dem Vorwurf verbunden ist, ich dächte zu langsam.“ Was aber hat Rudolf Scharping nun mit einem Videospiel über einen fremden Planeten zu tun?
Zumindest so viel, dass Rudolf Scharping ein Synonym für Langsamkeit ist. Laaaangsaaaam! Und das ist genau die Stimmung, in die wir uns begeben müssen, wenn wir das so lange erwartete „The Invincible“ anfangen. Ob Langsamkeit der Schlüssel zu einem fantastischen Spiel ist? Wir werden sehen! Für das letzte Spiel, das wir mit dem Rudolf-Scharping-Gütesiegel auszeichneten („Twin Mirror“, lesen Sie hier die Rezension), galt das jedenfalls nicht.
Worum geht’s?

Das Videospiel basiert auf dem gleichnamigen Roman (Deutsch: „Der Unbesiegbare“, 1964) von Stanislaw Lem, es spielt das Buch aber nicht gänzlich nach, sondern erschafft eine neue Erzählung. Manche sprechen auch von einer Ergänzung der Roman-Vorlage. Aus anfangs unerfindlichen Gründen verschlägt es uns auf den unerforschten Planeten „Regis III“. Wir erwachen in der Rolle der Astrobiologin Yasna und stellen schnell fest: Unsere Crew ist weg – wir sind ganz allein. Wir haben furchtbare Kopfschmerzen, kaum Nahrungsmittel in unserem Rucksack und sehr brüchige Erinnerungen an die Vergangenheit.
Nur unser dürftig ausgefülltes Notizbuch gibt erste Hinweise: Mit zwei Landern hatte die Crew auf dem Planeten aufgesetzt („Das machen wir eigentlich nicht ...“) und dann zwei unterschiedliche Routen genommen. Die eine Abteilung schlug ein Lager auf, die andere erkundete den Ozean des Planeten („Ohne einen Biologen? Seltsam ...“). Ja, seltsam ist die richtige Umschreibung. Hier auf „Regis III“ ist so einiges seltsam, und nicht minder seltsam ist, was mit unserer Crew geschehen ist.
Wir machen uns auf, um das Lager zu finden und wollen natürlich auch das gesamte Mysterium aufdecken, denn wir sind ja schließlich eine wissbegierige Forscherin. Auch wenn der Planet auf den ersten Blick wenig Erforschenswertes bietet, denn die Landschaft ist zunächst ausgesprochen karg und ocker-braun-gelb-orange-artig gefärbt. Das bleibt aber nicht so. Es wird faszinierend. Und furchteinflößend.
Was uns gefallen hat

Die Entwickler vom polnischen Studio Starward Industries haben ihr Spiel in eine Retro-Optik gepackt, die dem Alter der Vorlage gerecht wird, die Lem zur Zeit des Kalten Krieges geschrieben hat. „Atompunk“ nennen die Entwickler das, und es sieht wirklich gut aus (zwischenzeitlich hat es uns auch ein bisschen an die „Fallout“-Spiele erinnert). Wir haben reichlich Gelegenheiten, uns diese raffinierte und stimmungsvolle Optik anzusehen, denn „The Invicible“ ist zunächst einmal ein Walking-Simulator. Mit allen Stärken und Schwächen, die so etwas haben kann. Im Verlauf finden wir auch einen Rover, mit dem wir schneller unterwegs sein können.
Zunächst aber entdecken wir nach und nach nützliche Gegenstände, die uns helfen, voranzukommen: ein Fernrohr, einen Metalldetektor oder einen Radarempfänger. Und mit jedem Atompunk-Gadget erweitern sich auch unsere Fähigkeiten, mehr über den ungewöhnlichen Ort herauszufinden, an dem wir uns befinden. Alle Flecken von „Regis III“ entdecken zu wollen, diese Motivation kitzelt das Spiel nicht nur schnell in uns hervor, sondern es hält unsere Neugier auch auf hohem Niveau. Möglich macht das eine ausgesprochen intuitive Nutzerführung, wie wir sie nicht erwartet haben. Das macht „The Invicible“ wirklich hervorragend.
Die Rätsel, die wir unterwegs lösen müssen, sind meist wenig anspruchsvoll, machen aber dennoch ungeheuren Spaß und füttern die Story, die wir auf „Regis III“ erleben. Tipp: Möglichst alle Abzweigungen auf dem Planeten erkunden, denn das Spiel warnt uns nicht, wenn wir an etwas vorbeilaufen oder es einfach übersehen.
So richtig allein sind wir übrigens nicht, und wir spoilern auch nicht, wenn wir verraten, dass wir später über Funk mit jemandem von unserer Crew sprechen werden können. Die grandios passende Sprachausgabe ist allerdings leider nur auf Englisch verfügbar, wir können aber immerhin Untertitel hinzuschalten. In spielbaren Flashbacks erfahren wir nach und nach die Vorgeschichte unseres Zwischenstopps auf „Regis III“ sowie den philosophischen Unterbau. Da geht es dann um Künstliche Intelligenz und die Koexistenz von Menschen und Außerirdischen. Und: Auch für Kenner der Roman-Vorlage bleibt die Story spannend – das muss einem Spiel erst einmal gelingen.
Was uns nicht gefallen hat
Ein Spiel, das wir mit dem Rudolf-Scharping-Gütesiegel auszeichnen, muss natürlich langsam sein. Laaaangsaaaaam! Und „The Invincible“ ist vor allem zu Beginn lähmend langsam. Wir schultern unseren hübschen Atompunk-Rucksack und haben eine weite, sandige Fläche vor uns. Was machen Gamerinnen und Gamer da ganz automatisch? Sie drücken die Taste, die unsere Spielfigur sprinten lässt. Oder zumindest rennen. Um schnell voranzukommen.
Unsere Figur rennt aber nicht. Vermutlich ist der Raumanzug zu schwer. So ist der Unterschied zwischen Gehen und Rennen kaum spürbar. Und dann beschlägt auch noch der Helm. Laut keuchend müssen wir stehenbleiben. Vermutlich haben wir auch Seitenstiche. Oder der Raumanzug ist zu eng genäht. Wer weiß das schon.

Vielleicht wäre das Spiel mit rund acht bis zehn Spielstunden schneller vorbei, wenn wir richtig flink unterwegs sein könnten. So aber zwingt uns das Spiel zur Langsamkeit, und es erinnert uns an die aufgezwungene Langsamkeit bei „Red Dead Redemption 2“, wo wir herrlich sprinten konnten – bis wir unser eigenes Lager aufsuchten. Dort konnten wir immer nur lässig westernmäßig voranschreiten. Und so gilt auch auf „Regis III“: nur Schrittgeschwindigkeit. Es sei denn, man hat irgendwas, was fliegt oder fährt. Aber selbst das, was fährt, ist in der Steuerung leider sehr hakelig. Geht’s nur geradeaus, ist das kein Problem, aber sobald wir in die Kurve wollen oder uns vielleicht mal umschauen, wird es knifflig. Unschön knifflig.
Da wir schon beim Thema „Zwang“ sind: Was uns auch ziemlich genervt hat, ist das Problem, dass wir nur an vorgegebenen Kanten herunterspringen oder hinaufklettern können. Ein Symbol zeigt uns zwar die Punkte an, wir hätten uns hier aber mehr Freiheiten gewünscht. Auch die Interaktionspunkte auf „Regis III“ sind leider ziemlich überschaubar.
Unser Fazit
Angesichts der Größe des Weltalls sind wir Menschen völlig unbedeutend. Diese Erkenntnis vermittelte nicht nur Lems Roman, sondern die können wir sogar in der Spiel-Umsetzung gewinnen. Optisch und soundtechnisch hat uns „The Invincible“ sehr gefallen, die nachdenklich stimmende Sci-Fi-Geschichte ist über weite Strecken faszinierend, und irgendwann hatten wir auch das Gefühl, dass unsere Entscheidungen das Ende, das wir gesehen haben, erheblich beeinflusst haben.
Vermisst haben wir ein ausgefeiltes Gameplay, das über einen Walking-Simulator hinausgeht; hier hatten wir einfach mehr erwartet. Wer jedoch mit interaktiven Erzählweisen klarkommt, ohne dass zu viel von einem selbst gefordert wird, sollte sich davon nicht abschrecken lassen.
Größtes Manko ist und bleibt die Langsamkeit, mit der wir immer wieder durch große Gebiete streifen müssen. Wir verstehen den erzählerischen Sinn dahinter, dass wir auf „Regis III“ nicht im Affentempo durch die Wüste hechten können. „The Invincible“ muss aber damit rechnen, dass mancher Spieler entnervt den Helm vom Kopf reißt, wenn Yasna zum x-ten Mal keuchend durchschnaufen will.
Dass die Entwickler die Rückmeldungen aus der Gamer-Community ernst nehmen, zeigt der erste Patch im Dezember 2023: jetzt kann man zum Beispiel zu vorherigen Kapiteln zurückkehren und das Spiel an einem ausgewählten Punkt fortsetzen. Die Ladezeiten wurden verbessert, und der Rover fühlt sich nicht mehr so schwergängig an. Aber der Helm beschlägt noch immer. Laaaaangsaaaam, Yasna, laaaaangsaaam.
Dennoch: Science-Fiction-Fans sollten sich das Spiel mal ansehen, denn die Geschichte selbst bleibt ungeheuer eindringlich und nachhallend.
„The Invincible“ ist seit dem 6. November 2023 erhältlich für PS5, Xbox Series X|S und PC und kostet rund 30 Euro.