Bei vielen Games geht es ums vertraute Gefühl. Bei "Horizon: Forbidden West", dem vor zehn Tagen erschienenen Nachfolger des grandiosen "Horizon: Zero Dawn", wollen wir uns mit der Heldin Aloy genauso altgewohnt ins Abenteuer machen, wie wir seit Jahrzehnten bei Mario Kart und jedem Ableger davon genussvoll Bananen werfen und uns mit Luigi oder Mario in die Kurve legen. Und bei dem für Freitag angekündigten "Gran Turismo 7" wird es nicht weniger um das GT-Gefühl gehen.
Beim neusten Ableger der 14 Jahre alten Arcade-Racer-Serie "Grid" können wir jetzt jedenfalls mit Vollgas behaupten: Das Grid-Gefühl ist zurück! War es je weg? Ja, ein bisschen, und das schon länger. Das - und was uns an "Grid Legends" gefällt und was nicht - erklären wir in unserem Test.
Rund zweieinhalb Jahre nach "Grid" ist nun also "Grid Legends" auf dem Markt. Das von Codemasters und Electronic Arts erstmals gemeinsam entwickelte Racing-Spiel kommt neben dem Erwartbaren (unterschiedliche Strecken und Autos etc.) unter anderem mit einem Story-Modus namens "Driven to Glory". Legenden, Ruhm... das sind die Superlative, die ein Rennspiel braucht, um den Hobbyrennfahrer zu triggern. Aber kann "Grid Legends" die Erwartungen erfüllen? Ja und nein.
Was uns gefallen hat
Der Story-Modus mit dem vollmundigen Titel ist eine von echten Schauspielerinnen und Schauspielern (unter anderem "Sex Education"-Star Ncuti Gatwa) gemimte Geschichte um das fiktive Team "Seneca", das krisengeschüttelt und aufgrund schlechter Rennergebnisse vom Verkauf bedroht ist. Als völlig unbekannter Newbie namens "Driver 22" betreten wir die Bildfläche und bieten unsere Dienste als Underdog-Fahrer an. Egal, ob wir vorher in den Optionen unseren Namen schon geändert haben oder nicht - in der Story heißen wir einfach nur "die 22". Wir haben übrigens auch kein Gesicht. Und keine Stimme.
Und so treten wir in 36 Episoden als "Seneca und die wilde 22" in unterschiedlichen Disziplinen und Autos an und versuchen, nicht nur die Ehre unseres Rennstalls zu retten, sondern auch die Meisterschaft der Grid World Series zu gewinnen. Natürlich gibt es einen erbitterten Widersacher, das Team Ravenwest, dessen erfolgreichster Fahrer Nathan McKane an Arroganz kaum zu überbieten ist.
Die Szenen sollen das Grid-Erlebnis "aufs nächste Level" heben, tatsächlich ist es nur eine ziemlich seichte Geschichte, mit all der Dramatik, wie sie Vorabendserien wie "Köln 50667" auch bieten. Aber, auch das muss man sagen: Wir hatten über die Story die Chance, verschiedene Autos auf unterschiedlich packenden Strecken auszuprobieren. Für Anfänger allemal die beste Einführung, für Profis ein nettes Schmankerl, aber wohl nicht mehr. Und: ein wirkliches Seneca-Team-Gefühl kommt nicht auf - hier lassen Codemasters und EA viel Potenzial liegen.
Wirklich gefallen hat uns, dass die Nemesis-Idee aus dem Vorgänger übernommen worden ist. Der griechischen Sagenwelt nach ist Nemesis die Rachegöttin der ausgleichenden Gerechtigkeit. Unsere KI-Gegner werden also zu unseren erbittertsten Widersachern, wenn wir sie zu oft rammen oder ihnen gegenüber zu ungemütlich werden. Wir bekommen dann die Info, dass wir jenem Auto künftig nicht mehr zu nah kommen sollten, und je nachdem, in welchem Schwierigkeitslevel wir so unterwegs sind, werden unsere Gegner dann wirklich fies. Faires Fahren wechselt plötzlich in den Angriffsmodus und erinnert an den Stephen-King-Roman "Christine". Böses Auto!
Positiv überrascht waren wir von der Menüstruktur. Im Vorgänger hatte uns noch sehr entsetzt, wie schlicht und emotionslos uns die rund 100 Events dort präsentiert wurden (wir haben den Anblick damals "Die Wand der Rennen" getauft). Jetzt ist der Anblick wesentlich freundlicher und übersichtlicher, Story- und Karrieremodus sind einzelne Reiter, die voneinander getrennt sind, und im Karrieremodus können wir erst nach Erfolgen weitere Bereiche aufdecken.
In den meisten Fällen ist das Menü intuitiv aufgebaut, nur wenn wir aus einem Karriere-Rennen aussteigen oder ein Rennen beendet haben (ob erfolgreich oder nicht), landen wir unverständlicherweise immer wieder im obersten Karriere-Menü und nicht in der gerade angespielten Kategorie. Das ist schlecht gelöst und wird hoffentlich noch mit einem Patch gehoben.
Tja, und das Gefühl? Das hat auch viel mit dem Karriere-Modus und den Multiplayer-Möglichkeiten zu tun. Das alte "Grid"-Gefühl, das 2008 begründet wurde, ist wieder da. Wir sind Feuer und Flamme, haben sofort das Gefühl, unsere Boliden zu beherrschen und die nächste Kurve sicher zu nehmen - das ist Arcade Racing par excellence. Im Karriere-Modus gibt's das sogenannte Hop-in-Feature, bei dem Freunde angezeigt bekommen, in welchem Rennen wir gerade sind. Sie können dann "reinhoppen" und die Rolle eines KI-Fahrers übernehmen. So wird aus einem Singleplayer ein Multiplayer. Das macht schon Laune.
Insgesamt warten rund 250 Events auf uns - EA Games verspricht uns allein damit mindestens 20 Stunden Spielzeit. Wir haben mehr als 100 Autos aus rund neun Fahrzeug-Klassen und neun unterschiedliche Spiel-Modi und eine ganz gute Auswahl an Strecken, sowohl an Rundkursen und bekannten Rennstrecken, als auch an Straßenrennen durch die Landschaften.
Die Motivation bleibt hoch, weil wir nicht wie beim Vorgänger direkt die ganze Latte der Events zum Abhaken präsentiert bekommen, sondern scheibchenweise. Wer Erfolg hat, sieht mehr. Wer Erfolg hat, will ohnehin noch mehr. Wie wir eingangs schon sagten: Legenden, Ruhm... das sind die Wörter, die uns triggern.
Da wir "Grid Legends" auf einer PS5 getestet haben, müssen wir noch was zur Optik sagen. Die ist sehr gut. Nicht schlecht, aber auch nicht so hervorragend, wie sie vermutlich beim Primus "Gran Turismo" sein wird. Aber "Grid Legends" muss sich nicht verstecken, sondern glänzt (im wahrsten Sinne des Wortes) mit in der tiefstehenden Sonne strahlenden Karosserien, sich spiegelnden Pfützen und einer guten Wetterdynamik.
Am Streckenrand dagegen bewegen sich wie eh und je eindimensional stehende, an Menschen erinnernde zusammengedrängte Pixelpunkte. Manche jubeln wie alternde Männer mit Hüftschaden, die an einer unsichtbaren Klimmstange hängen - achtet mal drauf! Aber vom Sound her, sowohl vom Jubel des Publikums, als auch vom Motorengeräusch her, gibt's nichts zu Meckern. Und während des Rennens sollte man die Augen sowieso mehr auf der Strecke als beim Publikum haben.
Was uns nicht gefallen hat
Diese Drift-Rennen, ne... Die kosten uns noch den letzten Nerv. Und hier merkt man am deutlichsten den Unterschied zwischen einem reinen Arcade-Racer und einem Spiel wie etwa "Forza Horizon", wo es auch darum geht, immer bessere Punkte in einer Kurve zu finden, um noch mehr Drift-Punkte zu ergattern. Bei "Grid Legends" fühlt sich das in diesem Modus so an, als wäre es eher eine Glückssache.
Wir haben oben den Karrieremodus gelobt und schon dabei eine negative Auswirkung im Menü erwähnt, die sich leicht wegpatchen lässt. Schwieriger dagegen wird wohl abzustellen sein, dass wir für spezielle Upgrades an unseren Autos alte Events noch einmal zu spielen. Weil's so schön war gleich nochmal? Nee, das ist wirklich kein Spaß, und es macht auch keinen.
Ebenso wenig Freude hatten wir daran, die Aufträge unserer Sponsoren abzuarbeiten oder auch noch Spielgeld dafür auszugeben, dass sich die Höhe der Ziele um fünf, zehn oder 15 Prozent verringern. Das fühlte sich eher an wie echte Arbeit und wenig wie das motivierende Ergattern von Erfolgen, um den Sponsor glücklich zu machen.
Und dann ist da noch das Schadensmodell zu nennen. Kein "Grid"-Spiel hatte bisher ein nennenswertes Schadensmodell, aber wir hatten gehofft, es zumindest in dieser Version einstellen zu können. Ja, wir können technische und optische Schäden ein- oder ausschalten, aber das geht uns nicht tief genug und sieht auch eher nach 2008 aus.
Unser Fazit
Eines der größten Mankos des Vorgängers, der Umfang, der keiner war, haben Codemasters und EA hier mit Engagement behoben. Wir hatten jedenfalls einige angenehme Spielstunden, und vor allem der Multiplayer ist mit seinem Race-Creator-Modus ein toller Fundus für kreative Rennen unter Freunden.
"Grid Legends" bietet uns ein Renn-Erlebnis, das richtig Laune macht und uns auch ordentlich fordern kann, wenn wir alle Assistenzsysteme ausschalten, beziehungsweise den höchsten der vier Schwierigkeitsgrade auswählen. Der einfachste Grad ist nicht zu empfehlen, es sei denn Ihr wollt bei einem Rennen von drei Runden zweieineinhalb komplett alleine vorne an der Spitze fahren.
Die KI ist auf den normalen und schwierigen Leveln jedoch hervorragend eingestellt. Es gibt keine Gummiband-Technik, bei der die Gegner plötzlich von hinten uneinholbar an einem vorbeischießen, um künstlich Dramatik aufzubauen. Die KI ist so eingestellt, dass sie uns fordert, aber auch Fehler macht und mit ihrem geschrotteten Auto plötzlich mitten auf der Strecke steht oder in die Leitplanke donnert. Das sorgt für schön arcadige Rennen - unser heißer Tipp für dieses Frühjahr. Wer auf richtige Rennsimulationen aus ist, sollte aber lieber noch ein paar Tage warten und es dann mit "Gran Turismo" versuchen.
"Grid Legends" ist am 25. Februar 2022 für PC, PS4, PS5, Xbox One und Xbox Series X/S erschienen und kostet rund 60 Euro.