
Bielefeld. Dieser verdammte Bremspunkt, er bringt mich zur Weißglut. Es ist kein Rennen, kein Gegner auf der Strecke. Nur mein knallroter Ferrari SF 90, der Autodromo Hermanos Rodriguez - auf dem in jedem Herbst der Große Preis von Mexiko ausgetragen wird - und ich. Mit gut 340 Kilometern pro Stunde hetzen wir die endlose Start-Ziel-Gerade hinab, und je länger die Vollgasphase andauert, desto nervöser werde ich. Zu früh bremsen bedeutet eine Schleichfahrt durch die Kurve. Verpasse ich den Zeitpunkt, jage ich mit Dampf durch die grüne Wiese, beides wird meine Rundenzeit zerstören. Letzteres passiert. Und ich fange wieder von vorne an.
F1 2019 - so heißt der neueste Ableger der Rennsportsimulation. Sie erscheint jährlich, in diesem Jahr aber erstmals schon im Frühsommer und damit deutlich zeitiger als in den Vorjahren. Das begrüßen viele Fans des faszinierenden Formelsports, die so einen Großteil der aktuellen Rennsaison an ihren Konsolen (PS4 & Xbox One) oder dem Computer begleiten, ihre eigene Renngeschichte schreiben können.
Der Storymodus hat seine Schwächen
In meinem Fall beginnt die Geschichte im Karrieremodus als Nobody. Neu implementiert, aber allenfalls ein Gadget für echte Fans, ist die Formel-2-Serie, in der sich virtuell wie auch in der Realität die vielversprechendsten Fahrer der Zukunft tummeln. Allerdings ist meine Story vorbestimmt: Ich soll mich in drei verschiedenen Rennsituationen beweisen, zum Beispiel mit beschädigtem Auto ins Ziel fahren oder eine späte Aufholjagd starten. Ganze Rennen fahre ich zum Karrierestart noch nicht, habe aber mit Devon Butler einen fiesen Rivalen, der mir das Leben schwer macht und am Ende wie ich selbst in die Formel 1 aufsteigt.
Leider scheint dieser Aufstieg völlig unabhängig von der fahrerischen Leistung einzutreten: Wir rammen, mogeln und driften uns irgendwie durch die Szenarien hindurch und schneiden allenfalls unterdurchschnittlich ab. Dass wir dennoch Angebote von einer ganzen Reihe von Rennställen bekommen und sogar die Qual der Wahl bei der Entscheidung haben, erscheint nicht realistisch.
Die Autos erfordern stetig unsere Aufmerksamkeit
Vorweg: Die Karriere selbst testen wir in den ersten drei Rennen nur an. Ein einzelnes Rennwochenende besteht aus drei Trainingseinheiten, einer Qualifikation und dem Rennen selbst - das kann schon ein oder zwei Stunden in Anspruch nehmen. Die Practice Sessions lassen sich zwar überspringen, dann aber verzichtet man auf wertvolles Eingewöhnen mit den Strecken. Zudem gibt es für absolvierte Trainingsaufgaben, die sehr realitätsnah erscheinen - zum Beispiel das Reifen- und Spritmanagement - zusätzliche Punkte, mit denen sich Upgrades für unseren weiß-roten Flitzer von Rennstall Sauber/Alfa Romeo freischalten lassen. Und die sind wichtig: Nur so lässt sich Aerodynamik, Chassis und Motorenleistung verbessern. Weil auch die Konkurrenz nicht schläft, ist das unerlässlich.

Zwei Erkenntnisse stellen sich rasch ein. Die erste: Die Konkurrenz ist viel zu schwach, ist zu Beginn aber auch nur auf 20 von 100 möglichen KI-Stärkepunkten eingestellt. Ich drehe hoch auf 40, 50, 55 Punkte. Schon besser, das Kräfteverhältnis passt, der Computer ist mir ebenbürtig und ermöglicht spannende Rennen. Aber die zweite Erkenntnis betrübt: Im Vergleich mit den tatsächlichen Bestzeiten, die Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Co. beim Großen Preis von Australien in den Asphalt brannten, fehlen mir keine Zehntel, sondern acht bis neun Sekunden. Das ist mehr als ein Klassenunterschied, das sind zwei verschiedene Welten.
Unachtsamkeiten werden sofort bestraft
Fortan nehme ich mir Zeit, alle Strecken kennenzulernen. Der Zeitfahr-Modus wird in den folgenden zwei Wochen zum wichtigsten Trainingsobjekt. Jedes Land, jede Fahrbahn, jede Wetterlage wird ausgetestet. Schnell und eigentlich viel zu früh stelle ich Ideallinie, Brems- und Schalthilfen ab. Das hievt die Qual auf ein neues Level, doch ich lerne hinzu. Ich merke, wann ich den Fuß vom Vollgas nehmen muss, damit das Heck das Fahrzeugs nicht unkontrolliert ausbricht. Ich spüre, in welcher Kurve ich noch später bremsen, noch früher beschleunigen kann. Regelmäßige Ausritte ins Grün gehören dazu. Noch mehr ärgert mich aber, dass die Spielintelligenz beim (kurzfristigen) Überschreiten der Streckenbegrenzung keine Gnade kennt: Die Runde ist sofort ungültig, auch wenn der Vorteil minimal bis nicht vorhanden ist.
Was ich feststelle: Selbst mit der Steuerung am Controller kommt durch das "Force Feedback", also das teils starke Vibrieren des Controllers beim Ausreizen von schnellen Kurven und Schikanen das Gefühl auf, ein echtes Fahrzeug zu bedienen. Der Nebeneffekt ist, dass das Spiel stetig die volle Konzentration erfordert. Unachtsamkeiten werden sofort bestraft. Flüssige und äußerst detailreiche Grafiken runden das Spiel ab. Besonders tricky ist der Übergang von trockenen zu nassen Bedingungen, der in einigen Kurven früher eintritt und für ein schlagartig völlig anderes Fahrverhalten sorgt.
Achso: Einen Multiplayer-Modus gibt es in F1 2019 natürlich auch. Bis zu 20 verschiedene Fahrer treten dort gegeneinander an, ein durchaus reizvolles Format. Gut beraten ist man dort aber, ein starkes Nervenkostüm zu haben. Statt heißer Duelle überbieten sich zahlreiche Fahrer darin, andere von der Strecke zu rammen und mit unsportlichen Mitteln den Rennfluss rasch zu zerstören. Einfacher gestaltet sich der Modus, gegen ausgewählte Freunde zu fahren. Bis dahin fehlen mir aber noch mindestens vier bis fünf Sekunden. Pro Runde.