Letzte Chance

Finnischer Psychothriller als packende Mini-Serie: "Zimmer 301"

Eine an sich selbst zerbrochene Familie will herausfinden, ob ihr Hotelnachbar mit dem tragischen Vorfall in der Vergangenheit in Verbindung steht. Brillant!

Als die Kurttis in Griechenland auf Leo (Elias Gould, li.) und Niina (Nika Savolainen, re.) treffen, bereitet Leos Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Nachbarn, der des Mordes beschuldigt wird, allen Unbehagen. | ARTE France / © Warner Bros. International Television Production Finland

Christian Lund
20.10.2021 | 23.06.2022, 09:29

Die Großfamilie Kurtti ist über Mittsommer im Urlaub. Alle - Großvater Risto, seine Söhne Seppo und Mikko sowie deren Frauen und Kinder - treffen sich in ihrem Landhaus fernab der Hauptstadt. Die Stimmung ist offenbar heiter und ausgelassen, bis Seppo, der ein von der Familie totgeschwiegenes und geduldetes Alkoholproblem hat, dem Vater unterstellt, seine verstorbene Ehefrau aus dem Gedächtnis gestrichen zu haben. "Lass gut sein", antwortet der Vater. "Lass gut sein." Deckel drauf, unter den Teppich kehren, weitermachen. Dass das in dieser Familie die Strategie ist, um Problemen und Offensichtlichem zu begegnen, wird bald allzu deutlich.

Im alkoholisierten Zustand schläft Seppo (Jussi Vatanen) auf dem Sofa ein, während sein zweijähriger Sohn Tommi sich die Gummistiefel anzieht und in den Wald läuft. Seppo, der ihn schließlich panikartig sucht, findet die Lok der Brio-Bahn, die Tommi mit in den Wald genommen hat. Dann: ein Schuss. Und Stille. Tommi ist tot, gestorben bei einem tragischen Schießunfall. Oder war es Absicht?

Hervorragend grätzig gespielt

Im Verdacht steht der Nachbarsjunge Elias (hervorragend grätzig gespielt von Viljami Lahti), ein Rumtreiber mit verkniffenen Mundwinkeln, der klaut, fremde Autos zerkratzt und in unbewohnte Ferienhäuser einsteigt, um dort die Vorratskammern zu leeren. Ein Junge, der sich darum reißt, endlich von seinem Vater gesehen, ja, wahrgenommen zu werden. Der aber sieht in seinem Sohn nur einen unbrauchbaren Hänfling, dem das Unglück auf den Fersen ist.

Zwölf Jahre später macht die Familie Kurtti Familienurlaub in Griechenland. Auf der Insel Kos haben alle ihre Zimmer bezogen und treffen sich danach an der Hotelbar. Plötzlich glaubt Großvater Risto (Antti Virmavirta) ein paar Meter entfernt Elias stehen zu sehen. Der mysteriöse Mann, der ein auffälliges Interesse an Ristos Enkel zu haben scheint, wohnt mit seiner Freundin im selben Hotel wie die Kurttis. Im Zimmer 301.

Vor der Abreise hatte Risto noch einen Brief erhalten. In Kinderschrift geschrieben, ohne Absender, ohne Unterschrift: "Keine Blumen am Grab. Denkt Ihr noch an mich?" Von Tommi kann der Brief nicht sein. Tommi ist tot. Aber was ist mit Elias? Und was hat er vor?

Spiel mit der Gewissheit

Die Serie "Zimmer 301", nur noch bis zum 29. Oktober 2021 in der Arte-Mediathek verfügbar (s. unten), ist von der britischen Schauspielerin Kate Ashfield ("Shaun of the Dead") kreiert worden und auf voller Länge brillant. Vor allem glänzen die völlig undurchschaubaren Charaktere, die zwischen Licht und Schatten stehen und mit der sicher geglaubten Gewissheit der Zuschauer spielen.

Die Serie zerlegt Seelen und zerrt jedes noch so tief vergrabene Familiengeheimnis ans Tageslicht. Nach und nach erfahren wir, warum diese ganze Familie so furchtbar traumatisiert ist und zwei Brüder sich spinnefeind sind.

Dabei entwickelt die verwinkelte Geschichte eine seltene menschliche Tiefe, die absolut an die Nieren geht. Das ist wahrlich eine gekonnte Erzählung gepaart mit einer subtilen, aber wirkungsvollen Spannung. Absolut mitreißend! Glauben Sie nicht, dass Sie an einem Abend nur eine Folge sehen werden - Sie werden alle sechs Teile sehen wollen. Sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt!

"Zimmer 301" wurde im Jahr 2020 als allererste finnische Serie auf dem Festival Canneseries vorgestellt. In Großbritannien lief die Serie als "The Man in the Room 301" bei BBC Four. Regie führte Mikko Kuparinen.

"Zimmer 301", Miniserie (Finnland, 2019), 6 x 45 Minuten, bis zum 29. Oktober 2021 in der Arte-Mediathek verfügbar.