Mobbing und Körperverletzung Mehr Gewalt durch Kinder: Was viele Eltern falsch machen

Bielefeld/Düsseldorf. Der Mord an der 12-jährigen Luise in Freudenberg lässt die Menschen sprachlos zurück – und verunsichert. Denn so außergewöhnlich der Fall ist, scheint er sich einzureihen in eine besorgniserregende Entwicklung von Gewalt bei jungen Menschen. Wie aber können Eltern ihre Kinder vor dieser Gewalt schützen? Eine Expertin aus dem Kinderschutz gibt Ratschläge. Wichtig ist in den Augen von Lucie Tonn, Fachberaterin im Kompetenzzentrum Kinderschutz beim Kinderschutzbund NRW, vor allem eins: "Eltern dürfen jetzt aus Unsicherheit nicht anfangen, ihre Kinder überzubehüten." Wichtig sei vor allem, dass Kinder selbstständig und allein unterwegs sein könnten. "Sie haben ein Recht darauf. Und natürlich mag jetzt der Impuls sein, das Kind überall hinzufahren, zu begleiten, um auf Nummer sicher zu gehen. Das ist aber genau der falsche Schritt." Bereits in der Pandemie sei es Kindern viel zu wenig möglich gewesen, selbstständig und auf eigene Faust loszugehen. "Dabei ist das ein ganz wichtiger Moment für die Entwicklung: Das Gefühl, sich allein den öffentlichen Raum zu erschließen, macht Kinder stark, sie wachsen daran, sind auch stolz darauf." Spürten Kinder aber, dass die Eltern ängstlich und verunsichert seien, übertrage sich das schnell. Betrachtet man die Statistik, wird zudem klar, wie außergewöhnlich der Fall Freudenberg ist. Denn dass Kinder unter 14 Jahren Verbrechen gegen das Leben begehen, ist sehr selten. 2021 gab es in diesem Bereich bei 8,5 Millionen BRD-Einwohnern unter 14 Jahren 19 tatverdächtige Kinder. In NRW gab es in den vergangenen fünf Jahren nur einen einzigen Verdachtsfall wegen Mordes. Laut des Bielefelder Konfliktforschers Andreas Zick würden zudem meist traumatisierte Kinder zu Tätern, die Gewalt oder Missbrauch erfahren haben. Auch Kinder mit Entwicklungsdefiziten, die sich massiv missachtet und ausgegrenzt fühlten, hätten eine höhere Wahrscheinlichkeit, Gewaltfantasien auszuleben. Jeder dieser Fälle müsse jedoch für sich betrachtet werden. Kinderschutzexpertin hat klaren Rat für Prävention Andererseits zeigen Statistiken zur Kinderkriminalität, dass Gewalt durch Kinder und unter Kindern durchaus ein Thema ist. Einfache Körperverletzung ist eine der häufigsten Straftaten nach Diebstahl, insgesamt ist die Zahl der Tatverdächtigen hier von 2021 auf 2022 stark angestiegen. Dieser Anstieg ist für Tonn allerdings auch Anlass, genauer hinzuschauen. "Wenn im Zusammenhang mit der zunehmenden Gewalt unter Kindern etwas problematisch ist, dann, dass diese Gewalt immer noch marginalisiert und abgetan wird. Da gibt es wenig Sensibilisierung für. Hier hat sich höchstens im Bereich Mobbing in den vergangenen Jahren etwas getan. Die Statistik zeigt, dass insgesamt mehr Fälle von Gewalt zur Anzeige gebracht werden. Und das ist ein wichtiger Schritt." >>> Luise (12) erstochen - zwei Mädchen unter Verdacht Allerdings ist es in Tonns Augen auch wichtig, dass diese Gewalt auch zuhause thematisiert werde. "Die beste Prävention ist, dem eigenen Kind gut zuzuhören, um wirklich einschätzen zu können: Wie geht es ihm? Was erlebt es? Fühlt es sich wirklich wohl in der Schule oder an anderen Orten im Außen." Vielen Erwachsenen würde es schwerfallen, sich wirklich in Kinder hineinzuversetzen. "Sie betrachten Vorfälle oder Erzählungen oft nur aus der Erwachsenenperspektive und reden Konflikte klein. Da steht oft die Sicht dahinter: 'Das war bei mir früher auch so, da muss man halt durch, das ist ganz normal.' Und das stimmt so nicht." Kritisch betrachten sowohl Tonn als auch Gewaltforscher Zick die Debatte um eine frühere Strafmündigkeit. "Es ist gefährlich, Kinder im Übergang zum Jugendlichendasein durch Gesetze bereits zu Jugendlichen zu machen. Das würde bedeuten, ihnen Strafen aufzubürden, die sie vielleicht nicht verstehen, und die ihnen auch nicht helfen", erklärt Zick. "Der Ruf nach Strafe sollte nach dem Verstehen der Tat kommen und nicht umgekehrt." Kinderschutz-Expertin Lucie Tonn fordert vor allem bessere Strukturen zur Prävention, statt Strafen. "Wir brauchen dringend mehr Angebote in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Stattdessen gibt es hier immer weniger Gelder. So gibt es aber auch immer weniger Strukturen, um Kinder im Blick zu haben. Schule allein kann das nicht leisten – vor allem angesichts des Lehrermangels und der fehlenden Kräfte im Ganztag."

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