Von
Elke Engelhardt
19.11.2018 | 19.11.2018, 21:53
Kultur
Hingebungsvolle Wort-Musik-Collage "Krankenakte Robert Schumann" am Theater Bielefeld
Bielefeld. Robert Schumann, einer der größten Komponisten der Romantik, Ehemann von Clara Schumann, mit der er acht Kinder hat, steht verloren inmitten eines Meers von Notenblättern. Irgendwo im Hintergrund spielt Clara Klavier, die Kinder haben sich an das Schweigen des Vaters gewöhnt.
Als Zuschauer der Wort-Musik-Collage „Krankenakte Schumann", dem aktuellen Projekt von Matthias Brandt und Jens Thomas, sieht man diese Szene nicht nur. Dank des Ineinandergreifens von Musik und Text wird dem Publikum im Stadttheater Bielefeld ein Gefühl für die Situation Schumanns vermittelt.
Je bedrohlicher die Zustände werden, desto mehr schwillt das zunächst ruhige, fast unhörbare Klavierspiel von Thomas an. So werden die Angriffe von Lärm und Geräuschen gegen die Schumann sich nicht wehren konnte, begreifbar, seine Qual, die am Rosenmontag 1854 zu einem Selbstmordversuch führte, regelrecht spürbar. Nach jeder eindringlich gelesenen Textpassage – Brandt scheint die Sätze nicht nur zu lesen, sondern vielmehr wirklich zu erleben – spielt und singt Jens Thomas auf eine ebenso angemessene wie beeindruckende Art. Ebenso wie Brandt hat er sich ganz eng mit der Not Schumanns verbunden. Die Musik lässt den seelischen Aufruhr erahnen, bevor sie sich mit sich selbst beruhigt.
Brandts Mienenspiel und seine Gesten untermauern die Lesung eines Textes, der sich sowohl aus dem 1996 erschienen Buch Peter Härtlings „Schumanns Schatten" als auch aus den 2006 vollständig veröffentlichten Krankenakten und aus Tagebuchaufzeichnungen Schumanns speist. Berührend wie der Pfleger Tobias Klingelfeld, der Schumann zwei Jahre lang, bis zu seinem Tod, in der privaten Irrenanstalt des Arztes und Psychiaters Franz Richarz betreut, nach und nach eine enge Bindung zu dem Kranken aufbaut. Einem ängstlichen Wrack, das ihn häufig beschimpft und schlägt, dann aber auch braucht und vermisst. Einmal noch findet Schumann seine Musik wieder und Klingelfeld hört „den traurigsten Tanz der Welt. Aber einen Tanz."
Sehr eindrücklich war zu erleben, wie zwei Medien eine äußerst gewinnbringende Symbiose eingehen. Das liegt nicht nur an der logischen Folgerichtigkeit, die Wahnzustände eines an den Spätfolgen der Syphilis leidenden Menschen, der immer wieder unkontrollierbaren Angriffen der eigenen Gedanken ausgesetzt ist, durch eine Aufführung mit unterschiedlichen Medien und Stimmen darzustellen. Entscheidend war auch, dass Brandt und Thomas ihr Projekt mit absoluter Hingabe verfolgen.
Da wird kein Genie, das später verrückt wurde, ausgestellt, vielmehr bringen zwei Künstler den Mut auf, selbst in die menschlichen Abgründe hinabzusteigen.
Eine erschütternde Auseinandersetzung mit dem tragischen Schicksal Schumanns, vom Bielefelder Publikum mit langanhaltendem Applaus gewürdigt.
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