Kultur

Stille und Sturm

Gern gehörter Gast: Die Band Motorpsycho spielte im Forum

Eine Erfahrung: Motorpsycho in Bestform. Foto: Bernd Kuhn | © Bernd Kuhn Photographic Art

14.11.2018 | 14.11.2018, 13:00
Achim Borchers

Bielefeld. Leise gezupfte Gitarrenakkorde, eine kleine Melodie in Schleife, Zeit vergeht, unmerklich lauter dann, eine fragile Stimme gibt den Klängen Kontext, tja, und irgendwann bricht das erste Mal die Hölle los. Motorpsycho eröffnen mit zwölf Minuten „Year Zero“. Und alle im Forum wissen sofort, warum sie heute Abend (wieder) da sind.

Motorpsycho aus Trondheim/Norwegen sind kreative Workaholics. Fast jedes Jahr ein Album seit dem Debüt 1991. Den Abend gestalten Bent Sæther, Hans Magnus Ryan und Tomas Järmyr mit Reine Fiske als Unterstützung an Gitarre und Keyboards knapp zur Hälfte mit Tracks aus dem letztjährigen Album „The Tower“, das in den USA etwa zur Zeit der Trump-Wahl entstand und mit seinem Babel-Turm-Cover die Themenwelt in Wort und Sound andeutet und bestimmt.

Gern auch quer verknüpft, gern auch mit neuem Gesicht

Ein zweiter Fokus gehörte dann den Mitt-90ern mit Stücken von „Timothys Monster“ und „Blissard“. Gern auch quer verknüpft, gern auch mit neuem Gesicht. Das neue „Intrepid Explorer“ wird eingebettet in einen Beginn und ein Finale aus „Manmower“ zu einer Suite, die hier mit vertrackten Harmonien und perkussiven Drums den Geist von Can beschwört, die nach der nächsten Wende aber in den Anker geht, wenn kleine akustische Blasen von Gitarre/Synth verloren in den Raum tröpfeln als wären sie Floyd‘sche „Echoes“.

„In Every Dream Home“ etwa rollt als bluesiger, schwerer Riffrocker daher, für Motorpsycho-Verhältnisse ausgesprochen straight. Moment, nicht vergessen, die ausgedehnte introspektive Improvisation zwischendurch, das posenfreie Gitarrensolo. Zwischenapplaus, wie es ihn sonst nur bei Jazzkonzerten gibt.

Ist 60/70er Progressive Rock heute noch Prog oder längst Retro?

Das Geheimnis dieser Band liegt in der Leichtigkeit, mit der sie die Dinge für sich reklamieren. Ist 60/70er Progressive Rock heute noch Prog oder längst Retro? Egal vielleicht, wenn die Haltung stimmt. Motorpsycho sind hochmusikalisch, aber nicht verkopft akademisch und selbstverliebt wie viele ihrer Einflüsse. Sie zitieren durchaus, sind aber längst schon wieder woanders, bevor man drüber nachgedacht hat. Yes! Motorpsycho hat eine Seele.

Egal ob Bent auf den tiefen Saiten geradeaus begleitet oder mit seinen Effekten irre Klangwelten erzeugt. Egal ob Tomas filigrane Klangteppiche webt oder Beton anrührt. Egal ob Hans sich in Jazzimprovisationen verliert oder ein Wall Of Sound fast erdrückt und den Atem raubt. Motorpsycho sind bei aller Vertracktheit und Hang zum Jam, zur ausgelebten ausgedehnten Improvisation und Dekonstruktion dem Song verpflichtet. Ein Trip. Eine Erfahrung. Mal wieder.