Interview

Liz Mohn und Brigitte Fassbaender über die Zukunft der Oper und die Neuen Stimmen

„Mehr am Netzwerk für Sänger stricken“

Liz Mohn, Präsidentin der Neuen Stimmen. | © Kai Uwe Oesterhelweg

Stefan Brams
27.10.2018 | 27.10.2018, 08:00

Frau Mohn, Sie haben einmal gesagt, die neuen Stimmen, die Sie bei Ihrem gleichnamigen Gesangswettbewerb immer wieder entdecken, sind „Rohdiamanten". Ist der Meisterkurs, zu dem Sie jetzt zwölf junge Talente nach Berlin und Gütersloh eingeladen haben, dann so etwas wie die Veredelungswerkstatt?                                                                               

Liz Mohn: Das ist schön formuliert, denn die zwölf Talente aus zehn Ländern bekommen hier in der Tat die Chance, eine Woche lang ihre Stimmen intensiv weiter zu entwickeln, zu netzwerken, aber sich auch in Karrierefragen beraten zu lassen. Wir stellen ihnen dazu Dozenten von einer solchen Qualität zur Seite, an die sie ohne uns nicht so leicht herankommen würden.

Sie haben dieses Jahr mit der Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender, dem Bariton Wolfgang Brendel und dem Tenor Rolando Villazón drei Weltstars als Dozenten gewinnen können. Was versprechen Sie sich von dem Staraufgebott?

Mohn: Von Menschen, die etwas Großes geschaffen und geleistet haben, können wir ja generell viel lernen. Ich bin mir sicher, dass die jungen Sängerinnen und Sänger im direkten Kontakt mit diesen großartigen Vorbildern für ihre Zukunft profitieren können. Sie sind auch Beispiele dafür, wohin Fleiß und Disziplin führen.

Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender. - © Kai Uwe Oesterhelweg
Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender. | © Kai Uwe Oesterhelweg

Frau Fassbaender, was hat Sie bewogen, hier dabei zu sein?                                                                                                              

Brigitte Fassbaender: Ich habe sofort begeistert zugesagt, denn die Meisterkurse der Neuen Stimmen sind etwas sehr Besonderes. Zudem ist es mir eine Herzensangelegenheit, junge Sängerinnen und Sänger zu fördern. Das kann ich hier optimal tun.

Was möchten Sie vermitteln?                                                               

Fassbaender: Sehr wichtig ist es, die jungen Menschen immer wieder darauf hinzuweisen, wie diszipliniert man mit seiner Stimme umgehen muss, und wie man an seiner Technik arbeiten kann, um sein Handwerkszeug immer besser in den Griff zu kriegen. Nur wenn die Sängerinnen und Sänger ihr Handwerk wirklich beherrschen, werden sie den großen Anforderungen gewachsen sein, die auf sie heutzutage im Musikbetrieb immer früher und schneller zukommen.

Frau Mohn, Sie haben einmal formuliert, dass die Oper ein „hartes Business geworden ist besonders für die Berufsanfänger". Unterschreiben Sie das, Frau Fassbaender?                                                                                   

Fassbaender: Wir haben in Deutschland eine einmalige Theaterlandschaft, aber die Ensembles gerade im Musiktheater sind in den vergangenen Jahren aus Kostengründen enorm verkleinert worden. Normalerweise sollte ein Opern-Ensemble eines mittleren Hauses 20 Mitglieder haben. Heute sind sie aber auf sieben bis acht abgeschmolzen worden. Diese Sänger müssen nun, ergänzt um Gäste, den ganzen Betrieb tragen. Dadurch haben gerade junge Sänger überhaupt keine Chance mehr, sich in Ruhe zu entwickeln und sich zu regenerieren. Regeneration ist aber sehr wichtig, denn Singen ist Hochleistungssport und eine junge Stimme ist erst ab Ende 20 belastbar. Ich sehe es als meine Aufgabe an, auf diese Gefahr das Verschleißens hinzuweisen. Ich sehe aber auch die Intendanten in der Verantwortung. Und noch etwas ist mir ein Anliegen, ich möchte, dass die jungen Menschen Künstler und nicht nur Sänger werden.

Frau Mohn, die Bertelsmann- Stiftung arbeitet an einer Studie über den Arbeitsmarkt für junge Opernsänger. Ist das auch eine Reaktion auf den stärkeren Wettbewerb und den zunehmenden Druck, den die jungen Sänger ausgesetzt sind?                                                                                                               

Mohn: Die Neuen Stimmen gibt es ja seit mehr als 30 Jahren, so dass wir die Veränderungen des Arbeitsmarktes deutlich miterlebt haben. Mit der Studie, die im kommenden Jahr veröffentlicht wird, wollen wir diese Veränderung nun wissenschaftlich genauer analysieren lassen und Verbesserungsvorschläge vorlegen.

Seit einigen Jahren drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Stimmen im Opernbetrieb immer weniger vorkommen – auch hier bei den Neuen Stimmen. Müssen wir uns Sorgen machen um den deutschen Gesangsnachwuchs?                                                                  

Fassbaender: Das glaube ich nicht, ich entdecke immer wieder starke neue deutsche Stimmen, aber es ist eben ein harter Job und ein starker Wettbewerb, in dem es nur die Besten bis ganz nach oben schaffen. Wichtig finde ich es, dass Sänger an den deutschen Musikhochschulen viel stärker im Fach Gesang unterrichtet werden, zusätzlich zu allen anderen Dingen, damit sie konkurrenzfähig werden. Die Konzentration sollte auf dem Gesangsunterricht liegen.

Mohn: Wir müssen bereits in den Kindergärten und Schulen einen viel besseren Musikunterricht etablieren, um das Singen zu fördern und Talente hervorzubringen. Deshalb engagieren wir uns als Bertelsmann-Stiftung auch in diesem Bereich sehr intensiv.

Mehr als 30 Jahre Neue Stimmen, über 20 Jahre Meisterkurs. Muss sich der Wettbewerb in den nächsten Jahren auch wandeln, wenn sich der Opernmarkt durch Internationalisierung und Digitalisierung so sehr verändert hat?                                                                                                         

Mohn: Ja, wir werden noch viel mehr an einem Neue-Stimmen-Netzwerk stricken, in das wir alle an der Oper Tätigen miteinbeziehen. Ein reiner Gesangswettbewerb wäre auf Dauer zu wenig, um den jungen Menschen eine Sänger-Zukunft zu eröffnen. Für das Netzwerk sollten wir gerade auch die sozialen Medien nutzen.

Heißt es, dass es den Sänger-Wettbewerb in seiner jetzigen Form nicht mehr geben wird?                                                    

Mohn: Nein, der bleibt zentraler Bestandteil des Netzwerks Neue Stimmen.

Gustav Kuhn hat als künstlerischer Leiter seit Jahrzehnten die Neuen Stimmen mitgeprägt. Weil ihm jetzt bei den Tiroler Festspielen in Erl unter anderem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, lässt er seine Tätigkeit auch bei den Neuen Stimmen ruhen. Gibt es schon Ersatz für ihn, denn 2019 steht ja bereits eine neue Ausgabe des Wettbewerbs in Gütersloh an?                                                                                            

Mohn: Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Profis wie dem Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, zusammen. Er sitzt der Neue Stimmen-Jury vor, mit deren Expertise und Erfahrung ein hochkarätiger Wettbewerb stattfinden kann. Alles Weitere werden wir zu gegebener Zeit bekanntgeben. Im Januar beginnt nun erstmal in gewohnter Weise die Bewerbungsphase für den Wettbewerb.

Können Sie schon einen ersten Ausblick auf den Wettbewerb 2019 geben?                                                                                               

Mohn: Es wird bestimmt wieder ein sehr internationaler Wettbewerb. Ich bin mir sicher, dass wir noch mehr Stimmen aus Afrika erleben werden als bisher. Und so viel sei gesagt: An Ideen mangelt es uns nicht.