Immunsystem in der Pandemie Vitaminpräparate begehrt: Welche helfen und welche schaden eher?

Bielefeld. In der Apotheke, der Drogerie und sogar im Supermarkt, überall gibt es mehr oder weniger gut gefüllte Regale mit Nahrungsergänzungsmitteln - und immer mehr Verbraucher greifen auf das Angebot zurück. Drogerien und Arzneihersteller berichten seit Beginn der Corona-Pandemie von einer verstärkten Nachfrage. Was wird gekauft? Die Bestseller sind Produkte zu Stärkung des Immunsystems, &bdquo;insbesondere Präparate mit Vitamin C, Vitamin D und Zink", berichtete das Unternehmen Rossmann. Ähnliches beobachtet der Konkurrent dm. Auf die gestiegene Nachfrage reagiere man seit vergangenem Herbst mit einem breiteren Angebot. Zahlen zum Absatz der Produkte legten die beiden Unternehmen nicht vor. Schon mit Beginn der Krise im Frühjahr hatten Arzneihersteller eine gestiegene Nachfrage nach Immunpräparaten und rezeptfreien Arzneien wie Nasensprays, Nasentropfen sowie Mitteln gegen Halsschmerzen und Erkältungen verzeichnet. Das bescherte deutschen Pharmafirmen eine Sonderkonjunktur. Jetzt im zweiten Lockdown legte sich das Arznei-Hamstern dann. Gerade die Nachfrage nach Vitaminpräparaten sei aber weiter hoch, berichtete der Leverkusener Pharmakonzern Bayer im Dezember. Warum sind Nahrungsergänzungsmittel gerade so beliebt? Im Zuge der Pandemie kam gerade vor der Fertigstellung der ersten Impfstoffe immer wieder die Frage auf, ob dieser oder jener Zusatz gegen eine Infektion schützt oder zumindest für einen leichteren Krankheitsverlauf sorgt. Eine Studie der Universität Hohenheim zeigte im vergangenen Sommer etwa, dass Grunderkrankungen ebenso wie andere Risikofaktoren mit einem niedrigen Vitamin D-Spiegel einhergehen. Der Zusammenhang zwischen Krankheitsverlauf und Vitamin D ist nicht geklärt, schränkte Helmut Heseker, Professor am Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn, daraufhin ein und ergänzte: "Man kann sein Immunsystem durch Vitamin D-Gaben nicht boostern." Jetzt hat die Diskussion rund um Vitamin D wieder Fahrt aufgenommen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Jakob Linseisen, vertrat Anfang Februar gegenüber dem Tagesspiegel die Meinung, dass eine regelmäßige Einnahme von Vitamin D helfen könne, sich vor einer Infektion mit Covid-19 zu schützen, da es Hinweise darauf gebe, dass es einen schützenden Effekt vor Infektionen vor allem der oberen Atemwege habe. Zwar fehle der ultimative Beweis noch, "allerdings haben wir ja nicht unendlich viel Zeit, auf Ergebnisse zu warten". "Nahrungsergänzungsmittel sind für gesunde Personen, die sich abwechslungsreich und ausgewogen ernähren, in der Regel überflüssig", so das Bundesinstitut für Risikobewertung. Der "unkontrollierte Konsum" könne sogar schaden. Julia Germann von der Ernährungsmedizin des Klinikums Bielefeld rät, einen Arzt aufzusuchen, wenn man sich über längere Zeit unwohl fühlt. "Dieser wird Sie genau untersuchen und mit einer Blutuntersuchung gegebenenfalls einen möglichen Mangel in Ihrem Körper feststellen. Anschließend wird er die passende Behandlung und individuelle Therapie festlegen." Für wen werden Nahrungsergänzungsmittel empfohlen? Für bestimmte Risikogruppen und in Ausnahmesituationen kann die Einnahme von Vitaminen und Mineralstoffen dennoch nützlich sein. "Der Großteil der deutschen Bevölkerung weist einen chronischen Vitamin D-Mangel auf", sagt Germann. "Um Folgeschäden wie Osteoporose zu vermeiden, kann eine Vitamin D-Einnahme sinnvoll sein." Während der Schwangerschaft könne ein erhöhter Bedarf an bestimmten Nährstoffen entstehen. Folsäure könne zum Beispiel das Wachstum des Kindes fördern und Omega-3-Fettsäuren stünden im Verdacht, die Gehirnentwicklung des Kindes positiv zu beeinflussen. Veganer könnten unter einem Vitamin-B12-Mangel leiden und bei Lactoseintoleranz könne eine zusätzliche Einnahme von Calciumpräparaten sinnvoll sein. Welche Nahrungsergänzungsmittel können schaden? Zu viel Vitamin C kann man nicht nehmen, sagt Germann, der überschüssige Anteil wird über den Urin ausgeschieden. Fettlösliche Vitamine werden dagegen nicht über den Urin ausgeschieden, sondern lagern sich im Fettgewebe an und können bei einer Überdosierung zu Folgeschäden führen. Auch die willkürliche Einnahme von Mineralstoffen kann bei einer Überdosierung Schaden an Organen wie Herz, Leber und Nieren anrichten. Eisenpräparate könnten Verstopfungen zur Folge haben und eine zu hohe Aufnahme von Zink das Immunsystem und Blutbild negativ beeinflussen. "Allgemein lässt sich sagen, dass jedes Supplement Nebenwirkungen und Folgen mit sich ziehen kann, sollte die Einnahme nicht mit einer Fachkraft abgesprochen werden", betont die Expertin. Was kann man stattdessen für sein Immunsystem tun? "Eine gesunde vollwertige Ernährung, viel Bewegung an der frischen Luft und eine stabile Psyche sind die besten Voraussetzungen für ein starkes Immunsystem", sagt Germann. Eine ausgewogene Ernährung beinhalte täglich drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst, ein bis zwei Mal pro Woche Fisch und zwei bis drei Mal pro Woche Fleisch oder vegetarischer oder veganer Alternativen, Milchprodukte, Eier und Vollkornprodukte. Auch ausreichend Flüssigkeit sei wichtig. Für die Ausdauer und um das Herz-Kreislauf-System anregen, empfiehlt sie Nordic Walking. Gegen Stress helfe es, ausreichend zu schlafen und sich ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Yoga oder Meditation könnten zur Entspannung beitragen. "Wichtig ist es, auf seinen Körper zu hören und auf die eigenen Bedürfnisse einzugehen", sagt Germann. "Auch ohne Nahrungsergänzungsmittel kann das Immunsystem durch einen gesunden Lebensstil stabilisiert und gestärkt werden Ist der Trend neu? Zwar hat die Pandemie die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln verstärkt - allein im ersten Halbjahr des Jahres 2020 gab es eine Umsatzsteigerungs von acht Prozent - doch auch in den Jahren zuvor griffen immer mehr Menschen zu den Präparaten. Laut einer Studie des Statistikdienstleisters Iqvia aus dem Jahr 2020 stieg der Umsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln aus der Apotheke seit 2015 um sechs Prozent und erreichte im Jahr 2019 einen Wert von 2,2 Milliarden Euro zu effektiven Verkaufspreisen.

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