So bewahren Ärzte aus OWL Menschen vor dem plötzlichen Herztod

Lübbecke. Ein junger, gesunder Fußballer bricht auf dem Sportplatz zusammen. Unvermittelt und ohne jede Ankündigung stirbt der fitte Athlet noch auf dem Fußballfeld. Mediziner sprechen in solchen Fällen vom plötzlichen Herztod. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Herzmuskelentzündungen können ebenso zum plötzlichen Herztod führen wie unentdeckte Fehlbildungen. Verantwortlich können aber auch genetische Veränderungen sein, die bislang jedoch weitgehend unerforscht sind. Ärzte und Wissenschaftler des Medizin Campus OWL erforschen in einer Studie deshalb mehr über familiär bedingte Ursachen für den plötzlichen Herztod bei jungen Menschen, um Angehörigen dasselbe Schicksal zu ersparen und neue Leitlinien für die Rettungsmedizin zu etablieren. Genetische Ursachen des plötzlichen Herztodes sind weitgehend unerforscht, da mit dem Todeszeitpunkt bei Patienten, die ein Krankenhaus nicht mehr lebend erreichen, meist eine weitere Nachuntersuchung endet. Hier setzen die Studienleiter Jens Tiesmeier, leitender Arzt der Notaufnahme am Krankenhaus Lübbecke, und Henrik Milting, Leiter des Erich und Hanna Klessmann-Instituts für kardiovaskuläre Forschung und Entwicklung am Herz- und Diabeteszentrum NRW, und ihre Mitstreiter in der einzigartigen Untersuchung an. Eine Untersuchung auf Veränderungen in 174 Genen &bdquo;Die Rettungsdienste in den Kreisen Minden-Lübbecke, Herford und Gütersloh melden uns alle Todesfälle sowie Reanimationen, zu denen sie gerufen werden. Diese Meldungen werten wir aus, um herauszufinden, ob Patienten unter 50 Jahren dabei sind, die einen plötzlichen Herzstillstand erlitten haben", erklärt Tiesmeier. Ist das der Fall, bitten Tiesmeier und seine Kollegen die Überlebenden oder die Hinterbliebenen um eine Blutprobe, um diese molekulargenetisch untersuchen zu können. &bdquo;Mit dem Einverständnis der Patienten oder ihrer Angehörigen wird die Blutprobe, die die Notärzte gewinnen, im Herz- und Diabeteszentrum NRW auf Veränderungen in 174 Genen, die mit schweren Herzerkrankungen zu tun haben, zeitgleich untersucht", erklärt Tiesmeier. Die Zustimmungsquote der Patienten oder ihren Angehörigen liegt nach Angaben des Anästhesisten bei über 90 Prozent. &bdquo;Die meisten Patienten und Familien sind dankbar dafür, dass die Ursache des Herzstillstandes weiter untersucht wird, denn genetische Veränderungen können sich in Familien häufen und zu weiteren Todesfällen führen." Genmutationen können sich in Familien häufen Wissen Familien jedoch, dass ein Angehöriger aufgrund genetischer Veränderungen einen plötzlichen Herzstillstand erlitten hat, können auch sie sich weiter untersuchen lassen. &bdquo;Lassen sich genetische Veränderungen bei Patienten nachweisen, bieten wir Familien eine gendiagnostische Beratung an, denn die Veränderungen können erblich sein", erklärt Tiesmeier. &bdquo;Das ist der praktische Vorteil der Studie, denn mit dem Wissen können Familien die erblichen Risikofaktoren in der Vorbeugung von Herzerkrankungen viel besser einschätzen und einem Herzstillstand vorbeugen. So können weitere Familienmitglieder vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt werden." In anderen Fällen kann die Untersuchung bei Familien für Entwarnung sorgen. &bdquo;Die Untersuchung kann auch offenbaren, dass keine genetischen Veränderungen vorliegen oder die genetische Veränderung ausschließlich bei dem Patienten aufgetreten ist und nicht vererbt wurde." "Patient war schwer herzkrank, wusste es aber nicht" So auch im Fall eines jungen, vermeintlich gesunden Patienten, der plötzlich umfiel und starb. &bdquo;Wir konnten nachweisen, dass eine Genveränderung zu einer Veränderung des Herzgewebes geführt hat. Er war schwer herzkrank, wusste es aber nicht", erklärt Tiesmeier. &bdquo;Oft ist es so, dass wenige Zeit später weitere Familienmitglieder am plötzlichen Herztod sterben, weil sie den gleichen Gendefekt in sich tragen." Durch die molekulargenetische Untersuchung konnte genau gezeigt werden, welche Genveränderungen zu der schweren Herzerkrankung geführt haben. &bdquo;Bei den weiterführenden Untersuchungen in der Familie konnten wir allerdings entdecken, dass diese Genveränderung offenbar spontan in dem Patienten entstanden und daher bei keinem anderen Familienmitglied vorhanden war. Für die Familie bedeutete dies eine Entwarnung." Neue Leitlinien im Rettungswesen etablieren Neben der Rettung von Leben zielt die Studie laut Tiesmeier auch auf neue Leitlinien für das Rettungswesen ab. &bdquo;Bislang spielt die Genetik in den europäischen Reanimationsleitlinien nur eine sehr untergeordnete Rolle. Darin steht die sehr schwammige Formulierung, dass in ausgewählten Fällen nach genetischen Mutationen, die mit vererbten Herzerkrankungen assoziiert werden, gesucht werden soll. Wir hoffen, dass wir mit der Studie dazu beitragen können, dass die Genetik künftig eine größere Rolle im Rettungswesen spielt, damit wir mehr über die Gründe für den plötzlichen Herztod bei jungen Menschen erfahren", sagt Tiesmeier. &bdquo;Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Rettungsmediziner eine Blutprobe nimmt, denn wenn eine Obduktion angeordnet wird, ist es meistens zu spät, da die Qualität der Probe bis dahin abgenommen hat." Welche Rolle die Gene bei einem plötzlichen Herzstillstand spielen können, zeigen erste Ergebnisse der Studie. &bdquo;Nach zweieinhalb Jahren können wir sagen, dass bei 20 Prozent der untersuchten Patienten genetische Veränderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum plötzlichen Herzstillstand geführt haben", erklärt Tiesmeier. Untersucht wurden bislang 52 Patienten aus den Kreisen Minden-Lübbecke, Herford und Gütersloh, die einen plötzlichen Herzstillstand erlitten haben, unter 50 Jahre alt sind und sonst keine fortgeschrittenen chronischen Grunderkrankungen haben. Tiesmeier und seine Mitstreiter hoffen, dass sich vor dem Ende der Studie 2022 auch der Rest von OWL an der Studie beteiligt. Interdisziplinär und Kreisübergreifende Teamarbeit in OWL Möglich ist die Umsetzung der Studie laut Tiesmeier jedoch nur, weil verschiedene Disziplinen zusammen arbeiten. Beteiligt sind die Mühlenkreiskliniken mit ihren Krankenhäusern in Minden und Lübbecke sowie das Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen und das Klinikum Herford. Mit dabei sind zudem die Rettungsdienste und die Polizei der Kreise Minden-Lübbecke, Herford und Gütersloh sowie die Staatsanwaltschaft Bielefeld und die Rechtsmedizin Münster. &bdquo;Für die Studie arbeiten wir interdisziplinär und Kreisübergreifend. Diese Teamarbeit ermöglicht uns herauszufinden, welche Rolle genetische Veränderungen bei dem plötzlichen Herztod von jungen Menschen spielen", sagt Tiesmeier.