Gefährliche Masernausbrüche

Warum es immer noch Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen

Selbst der Ärztepräsident spricht sich für eine Impflicht aus. Die Gründe, warum Menschen sich nicht impfen lassen, sind vielfältig. Und eine Pflicht heftig umstritten

Masern könnten eliminiert werden - aber nur mit einer entsprechend hohen Impfrate. | © picture alliance/KEYSTONE

Angela Wiese
30.03.2019 | 30.03.2019, 21:24

Bielefeld. Masern könnten eigentlich längst Geschichte sein. Ausgerottet. Und doch bricht die gefährliche Krankheit auch in Nordrhein-Westfalen immer wieder aus. Denn um Masern zu eliminieren, müssen 95 Prozent der Bevölkerung langfristig dagegen geschützt sein. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Immer noch gibt es Menschen, die nicht gegen Masern geimpft sind. Die Ursachen sind unterschiedlich. Ob eine Pflicht helfen würde, ist umstritten.

Die "Kinderkrankheit" ist hochgefährlich

Masern treten überwiegend im Kindesalter auf und sind hochansteckend. Wer sie einmal hatte, entwickelt eine Immunität gegen sie. "Das Wort Kinderkrankheiten wirkt harmlos, doch sie sind das genaue Gegenteil. Masern sind hochgefährlich", erklärt Walter Koch, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Herford. "Masern können im Erwachsenenalter zu Lungenentzündung, Herzentzündung oder sogar zu einer langfristig tödlichen Erkrankung des Gehirns führen." Diese Gefahr ist nicht jedem bewusst, weil gerade wegen Impfungen die Krankheit kaum noch sichtbar ist, sagen Experten.

Fünf Gründe fürs Nicht-Impfen

Ein Forscherteam der Universität Erfurt und der RWTH Aachen um die Psychologin Prof. Cornelia Betsch haben ein Instrument entwickelt, das messbar machen soll, warum Menschen sich nicht impfen lassen. Betsch beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Impfen. Die Forscher haben fünf Gründe für die Entscheidung pro oder contra Impfung ausgemacht:

- Das Vertrauen in Impfungen, das Gesundheitssystem und die Motive derjenigen, die Impfungen empfehlen.

- Wie jemand das Krankheitsrisiko einschätzt und eine Impfung als notwendig betrachtet.

- Praktische Hürden wie Alltagsstress und Zeitnot.

- Die eigenständige Suche nach Informationen über die Impfung. Menschen, die viele Infos suchen, haben möglicherweise auch mehr Falschwissen angehäuft und somit eine geringere Impfbereitschaft.

- Das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl. Menschen lassen sich impfen, um andere zu schützen. Oder sie glauben, sie müssten sich nicht impfen lassen, weil genug andere schon geimpft und sie selbst geschützt sind.

Studien haben gezeigt, dass in Deutschland besonders oft das Argument Alltagsstress und eine übermäßige Suche nach Informationen dazu führen, dass Menschen die Masernimpfung auslassen.

Die Argumente der Impfgegner - entkräftet

Hartnäckig halten sich Argumente von Impfgegnern, die zum Beispiel im Internet verbreitet werden. Drei Beispiele mit Gegenargumenten:

1) "Impfungen können Krankheiten wie Autismus auslösen." Ein Zusammenhang konnte nie bewiesen werden. Im Gegenteil: Eine aktuelle dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder, die in Dänemark nicht gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft werden, genauso häufig oder selten an Autismus erkranken wie geimpfte Kinder.

2) "Impfungen verursachen die Erkrankungen, gegen die sie schützen sollen": Das Robert Koch-Institut (RKI) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) entgegnen diesem Argument mit dem Beispiel der sogenannten "Impfmasern". Der Masernimpfstoff enthalte ein abgeschwächtes Masernvirus. Bei rund 5 Prozent der Geimpften komme es deshalb nach etwa einer Woche zu einem masernartigen Ausschlag und zu Fieber. Dabei entwickle der Körper in der Regel eine gute Immunität gegen Masern. Die voll ausgeprägte Masernkrankheit trete aber nicht auf. Die gefürchtete Masern-Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, trete nach einer Masernimpfung nur in Ausnahmefällen auf. Solche Einzelfälle seien aufgetreten, wenn die Masernimpfung während einer unerkannten Erkrankung zum Beispiel des Immunsystems verabreicht worden sei.

3) "Für die normale Entwicklung eines Kindes ist das Durchmachen von Krankheiten wichtig. Das ist ein besserer Schutz als das Impfen": Keine wissenschaftliche Studie konnte bislang belegen, dass sich nicht geimpfte Kinder besser entwickeln als geimpfte, erklären das RKI und das PEI. Die Impfung richte sich gegen wenige besonders gefährliche Erreger. Das Immunsystem des Kindes müsse sich mit hunderten weiteren Erregern auseinandersetzen. Auch die Impfung selbst trainiere das Immunsystem.

Hilft eine Masern-Impfpflicht?

Eine Impfpflicht hat derzeit starke Fürsprecher. Der Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sagte dem Spiegel: "Eine Impfpflicht in Deutschland wäre aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht absolut sinnvoll." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürwortet eine Masern-Impfpflicht für Kinder, die eine Gemeinschaftseinrichtung wie Kita oder Schule besuchen. "Wir müssen versuchen, die Eltern mit Argumenten zu überzeugen. Ich bin eigentlich kein Freund einer Pflicht. Aber in diesem Fall befürworte ich eine Pflicht für Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas", sagt auch Mediziner Koch.

Psychologin Betsch sagt dagegen: "Bevor man eine Impfpflicht einführt, müssen wir uns fragen, ob wir in Deutschland alles getan haben, um die Impfraten auf freiwilliger Basis zu erhöhen. Die Antwort lautet nein." Studien zeigten, dass bei einer Impfpflicht gegen Masern die Bereitschaft für freiwillige Impfungen sinken würde. "Das hat auch psychologische Gründe. Die Betroffenen handeln aus Ärger wegen des Eingriffs in ihre persönliche Entscheidungsfreiheit."

Forscher fordern stattdessen den Abbau von praktischen Hürden. Impfsprechstunden sollten zum Beispiel auch abends oder am Wochenende möglich sein. Erinnerungskarten vom Arzt könnten an die Auffrischung erinnern und Impfungen zum Beispiel auch beim Arzt oder im Gesundheitsamt stattfinden. Der Deutsche Ethikrat arbeitet derzeit an einer Stellungnahme zu der Frage "Impfen als Pflicht?".