Die Krupps existieren seit 45 Jahren. Ihre Art von Musik wird wahlweise Industrial, Elektro, EDM-Metal oder Neue Deutsche Härte genannt. Wo ordnen Sie sich ein?
JÜRGEN ENGLER: Wir besitzen einen sehr eigenen Nischen-Sound. 1981 traten wir mit unserer „Stahlwerk Sinfonie“ das Genre Industrial mit los. Zusammen mit DAF sind wir Pioniere der Electronic Body Music. Und 1989 haben wir den Industrial Metal angestoßen – mit unserem Album „Metal Machine Music“. Wir sind eigentlich überall zu Hause, weil wir das alles kreiert haben.
Die Krupps haben sich über die Jahre einen Sound mit hohem Wiedererkennungswert angeeignet. Hört man das auch auf dem nächsten Album?
Absolut. Vor allen Dingen haben wir mit Patrik Majer einen super Produzenten mit an Bord. Er hat zuvor mit Wir sind Helden, Rosenstolz, Element of Crime, Nick Cave und Nina Hagen gearbeitet.
Wir leben in sehr chaotischen Zeiten. Wird das Album die Gegenwart widerspiegeln?
Absolut. Wir haben immer relativ politische Texte gemacht. Diese Haltung stammt noch aus meiner frühen Punk-Zeit. Im Prinzip haben wir uns seitdem nicht sehr verändert.
Vor 50 Jahren gründeten Sie in Düsseldorf die Band Male. Haben Sie damals schon richtige Punk-Songs gespielt?
Wir haben zur der Zeit Nummern von den Rolling Stones, The Who oder The Kinks nachgespielt, aber eben viel schneller und aggressiver als die Originale. Wir liefen rum in löchrigen Jeans und aufgerissenen Jacken wie die Ramones, aber natürlich mit nicht ganz so langen Haaren. Wir wussten überhaupt nicht, dass das Punk war. Und dann habe ich mir die erste Ramones-LP gekauft und gedacht, das klingt wirklich so ähnlich wie wir. Also fingen wir an, bewusst in dieser Richtung weiterzuarbeiten und nicht mehr Cover-Versionen zu machen, sondern eigene Songs. Der Drehpunkt war ungefähr im Oktober 1976.
ZK, die Vorläuferband der Toten Hosen, ist damals in Ihrem Vorprogramm aufgetreten.
Das waren Freunde von unserem Drummer Claus Ritter. Sie waren Fans von uns und haben irgendwann beschlossen, auch eine Band zu gründen. Das war 1978. Die konnten damals noch keine drei Akkorde spielen, haben sich aber bemüht. Irgendwann hatten sie einen Sänger, und das war Campino, mit dem ich mich schon vorher angefreundet hatte. Wir haben uns im Rock-On-Plattenladen kennengelernt, wo Male unten im Keller probten. Der Rock-On-Laden hat dann später unsere LP finanziert.
Wann hat man in Deutschland die ersten Punks gesehen?
Der erste Punk, den ich gesehen habe, war Peter Hein (Fehlfarben) auf unserem Debütkonzert. Wir sind in unserer Schulaula aufgetreten, die war relativ groß, und da war so ein Typ, der vielleicht fünf Meter vor der Bühne stand, mit Sonnenbrille und Stachelhaaren. Und ich dachte, da haben wir echt einen Punk im Publikum! Zu der Zeit waren Pink Floyd und Genesis angesagt, aber wir spielten eben rotzigen Rock ’n’ Roll.
Welche waren Ihre frühen Einflüsse?
Ich bin groß geworden mit Glamrock, Punk und Heavyrock. Nur am Rande habe ich mich für Krautrock à la Can und Guru Guru interessiert. Erst viel später wurde mir bewusst, dass Bands wie Cluster 1971 mit „Stahlfabrik“ die Industrial-Musik vorweggenommen haben. Unsere eigene Musik war wesentlich aggressiver und härter, es war True Industrial. Sie kam noch vor den Einstürzenden Neubauten raus. 1978 spielten Pere Ubu im Ratinger Hof in Düsseldorf. Ich weiß noch, wie deren Sänger David Thomas mit einem Hammer auf einen Amboss schlug. Ich fand diese Musik genial. Zu der Zeit spielte ich noch bei Male, wollte aber lieber etwas ganz Neues machen, sozusagen das Rad neu erfinden. Wir hörten immer „Metal Machine Music“ von Lou Reed. Dieses Krachwerk war die erste echte Industrial-Platte. Und unsere Single „Wahre Arbeit, wahrer Lohn“ und DAFs Stück „Der Mussolini“ waren 1981 der Anstoß für EBM. Später haben wir den Industrial Metal mitbegründet, und ich fing an, Bands zu produzieren.
„Wir wollten dem Image von David Hasselhoff etwas Gutes tun.“
In Texas wurden Sie Hausproduzent beim Indie-Label Cleopatra Records. Wissen Sie genau, was Amerikaner hören wollen?
Ich glaube schon. Bei Cleopatra produziere ich, was mir vorgegeben wird. Die letzten sechs Monate habe ich zum Beispiel nur Reggae aufgenommen von Johnny Clark über Eek-a-Mouse bis zu General Levy. Ich spiele immer die Backings ein, egal, ob das nun Reggae ist oder Hip-Hop. Ich habe hier für Onyx, DMX und Tha Alkaholiks gearbeitet, aber auch vier Alben für Nick Turner von Hawkwind produziert, bei denen ich selbst mitgespielt habe. Auch mit Iggy Pop habe ich gearbeitet. Bis heute komme ich auf rund 10.000 Produktionen.
Ihre Vielseitigkeit ist beeindruckend. Sie haben sogar David Hasselhoff produziert und ihn mit dem legendären Ex-Iggy & The Stooges-Gitarristen James Williamson zusammengebracht.
Das war das Album „Open Your Eyes“ mit 80s-Wave-Sachen. Also Songs von Echo and the Bunnymen oder Lords of the New Church. Sehr interessant, weil wir David Hasselhoff einen ganz anderen Touch gegeben haben. Wir wollten seinem Image etwas Gutes tun. Wir kümmern uns hier auch um Sixties-Geschichten. Ich habe zum Beispiel Pink Floyd- und King Crimson-Tribute-Alben realisiert. Mit Leuten wie Martin Barré und Ian Anderson von Jethro Tull, Steve Howe von Yes, Ian Paice von Deep Purple und Pat Mastelotto von King Crimson. Ich kann für jede Produktion die richtige Schublade aufziehen. Das heißt, die entsprechende Gitarre und den entsprechenden Amp, damit es auch authentisch klingt. Da ich selbst Musikfan bin, weiß ich, wie Sachen klingen müssen. Das ist meine Spezialität, und deswegen beschäftigt Cleopatra mich auch seit 15 Jahren als Hausproduzent. Und es geht weiter. Ich bin mit dem Chef von Cleopatra befreundet. Ihr Hauptoffice war immer in L.A. Und jetzt gibt es einen zweiten, noch größeren Branch hier in Austin. Weil das der Dreh- und Angelpunkt der US-Musikszene ist. In Austin sind mehr Live-Clubs als in jeder anderen Stadt auf der Welt. Das ist cool.
Wie ist es, mit Iggy Pop zusammenzuarbeiten? Sie sind wahrscheinlich der einzige Deutsche, der jemals mit ihm gearbeitet hat.
Iggy ist super. Wir saßen noch nie gemeinsam in einem Raum, haben aber bereits drei oder vier Nummern zusammen gemacht. Wenn er mir eine E-Mail schreibt, dann tut er immer so, als käme die von seinem Manager. Aber er ist super nett. Als er hier in Austin auf einem Festival spielte, hat er mich auf die Gästeliste gesetzt. Ich bin der einzige Deutsche, der mit vielen von diesen Musikern jemals etwas gemacht hat. Welcher Deutsche kann von sich schon behaupten, eine Single produziert zu haben, auf der der Rapper DMX, Steve Howe von Yes, Bootsy Collins, Ian Paice von Deep Purple und Jürgen Engler drauf sind. Ich finde toll, dass ich heute mit den Leuten arbeite, die ich früher selbst gehört habe. Zum Beispiel mit Musikern von Hawkwind. Deren „Silver Machine“ war die dritte Single, die ich mir jemals gekauft habe. Ich stand mit denen auch auf der Bühne als Gitarrist und Keyboarder. Das alles bereitet mir großen Spaß.
Hintergrund
Die Krupps ist eine deutsche Band aus Düsseldorf, die sich 1980 gegründet hat und sich nach der Industriellenfamilie Krupp benannt hat. Ihr Debütalbum „Stahlwerksynfonie“ (1981) war eine experimentelle Mischung aus Krautrock, Dub und Jazz, in der sie neben Musikinstrumenten auch Werkzeuge wie Bohrmaschinen und Hämmer einsetzten. Die Band war ein Pionier der Kombination von elektronischer Musik und Industrial-Sounds und prägte dabei die Neue Deutsche Welle. Ab 1992 wandten sich die Krupps dem Metal zu, was zu einer Neuerfindung des Industrial Metal führte. Nach einer Auflösung kehrte die Band 2005 zurück und ist bis heute aktiv, wobei sie nach wie vor Alben veröffentlicht.
Die Krupps live in Herford
Sonntag, 31. August, 18 Uhr, Kulturwerk, Herford;
Karten (44,05 Euro): NW und hier.