Kommentar

Beamtenrecht verpflichtet

Der Europäische Gerichtshof weist die Klage mehrerer Lehrer ab und bestätigt ein Streikverbot für deutsche Staatsdiener. Nun stellt sich die Frage, ob Lehrer Beamte sein müssen. 

Das Streikverbot für verbeamtete Lehrer in Deutschland ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) rechtmäßig. | © Sebastian Willnow

Thomas Seim
14.12.2023 | 14.12.2023, 18:37

Europa schützt das deutsche Beamtentum – wer hätte das gedacht? Es gibt nur wenige Länder auf dem alten Kontinent - für den spricht der Europäische Gerichtshof Recht -, die über ein so besonderes Recht für Staatsbedienstete verfügen. Nun ist dort entschieden worden, dass mit diesen Rechten auch Verpflichtungen verbunden sind. Dazu gehört neben einer Treuepflicht gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen auch der Verzicht auf ein allgemeines Streikrecht. Insofern bestätigten die Europa-Richter nun disziplinarische Maßnahmen gegen drei Lehrerinnen und einen Lehrer, die 2009 und 2010 ihre Arbeit für bessere Arbeitsbedingungen niedergelegt hatten, und die Urteile der deutschen Verfassungsrichter.

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Man ist als Außenstehender gerade angesichts der aktuellen Zustände an deutschen Bildungseinrichtungen durchaus geneigt, den Pädagogen besondere Belastungen zu bescheinigen. Daraus ließe sich auch ein gewisses Verständnis dafür ableiten, dass sie mit wirksamen Maßnahmen auf ihre Sondersituation aufmerksam machen wollten.

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Ein allgemeines Streikrecht allerdings lässt sich daraus nicht ableiten. Das gilt auch dann, wenn ein solches Recht grundgesetzlich verbürgt ist, und zwar ganz vorn in Artikel 9. Ihm entgegen steht im Berufsbeamtentum, im Grundgesetz deutlich später, in Artikel 33, eine besondere Treuepflicht der Beamten gegenüber dem Staat. Der Staat wiederum honoriert das mit gleicher Treue und guter Versorgung seiner Diener als Gegenleistung. Leistung gegen Leistung also. Selbst wenn ein allgemeines Streikrecht als Menschenrecht reklamiert werden kann und ein Verbot dies in Frage stellen könnte, bleiben den Beamten auch so genügend Optionen, für ihre Rechte zu kämpfen und ihre Interessen zu vertreten, sagen die Richter. Zu Recht.

Zurück zu den – auch aktuellen – Bildern aus deutschen Klassenzimmern und den gelegentlich unlösbaren Aufgaben in den aktuellen Lehrerberufen. Die Frage ist selbstverständlich berechtigt, ob Pädagogen den Beamtenstatus unbedingt benötigen. Damit verbunden ist auch der kritische Blick darauf, dass der Staat sich mit der Verbeamtung der Lehrer zwar teure Sozialabgaben in die Rentenversicherung aktuell spart – damit aber hohe Verpflichtungen in die Zukunft verschiebt.

Eine Debatte über einen Verzicht auf die Verbeamtung an deutschen Schulen könnte ganz neue Optionen für das Verhältnis von Staat und Angestellten befördern. Sie könnte auch die Lage für beide Seiten und dazu für Schüler und gar Eltern erleichtern. Aber der Streit darüber ist ein weites Feld. Oder, wie der bedeutendste Vertreter des deutschen Realismus, Theodor Fontane, vermutlich urteilen würde: ein zu weites Feld.