Neue Debatte über Fußgängerzonen

Bielefeld. Viele Stadtplaner dürften erschrocken sein, wenn sie die Thesen von Einzelhandelsexperten wie Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein hören: &bdquo;Wir haben in Deutschland zu viele Fußgängerzonen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler aus Mönchengladbach. Er gibt kontroverse Ratschläge: Leerstehende Geschäfte sollten zu Wohnungen umgebaut werden können, unbeliebte Fußgängerzonen sollten wieder für den Verkehr geöffnet werden, um Frequenz zu schaffen. Der Rückbau von Einkaufsstraßen sei (noch) tabubeladen, vermutet er. Doch er steht mit seinen Ansichten absolut nicht allein. Auch Michael Reink, Bereichsleiter Standortpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE) in Berlin, ist davon überzeugt, dass die Fußgängerzonen in vielen Städten früher oder später verkleinert werden müssen. &bdquo;Wir werden wesentlich mehr Geschäfts-Leerstände haben", prognostiziert er. Irgendwann, wenn die Fluktuation der Ladeninhaber immer schneller werde und das Niveau der Angebote sinke, werde die Notwendigkeit eines Rückbaus offenbar: &bdquo;Denn wenn es ringsum Leerstände gibt, sind weitere leerstandsinduzierte Leerstände die Folge", so Reink. In eine Geisterstraße geht am Ende niemand mehr gern. Schwierige Standorte komplett in Frage gestellt Boris Hedde, Geschäftsführer am Institut für Handelsforschung in Köln (IfH), verweist darauf, dass es in allen Regionen und allen Ortsgrößenklassen erfolgreiche und wenig erfolgreiche Standorte gebe. Eine pauschale Aussage sei schwer zu treffen. Doch an Standorten, &bdquo;die nachweisbar keine Zukunftsperspektive ausweisen", sei nicht nur der Rückbau von Fußgängerzonen zu diskutieren, sondern es sei &bdquo;vielleicht sogar der gesamte Standort aus Handelssicht in Frage zu stellen". Grund für das drohende Drama ist der Vormarsch des Onlinehandels. Gerade erst hat das Beratungsunternehmen Oliver Wyman in einem Branchenreport vor einem Kahlschlag im Einzelhandel gewarnt: Jedes zweite Filialunternehmen werde in 10 bis 15 Jahren vom Markt verschwunden sein, so die Vorhersage. Zahl der Arbeitsplätze droht zu sinken Auch der bisher noch sehr stationär ausgerichtete Lebensmittelhandel mit seinen niedrigen Margen könne schnell betroffen sein: Wenn dort &bdquo;drei oder vier Prozent des Geschäfts ins Internet abwandern, drohen sehr schnell Verluste", so Wyman-Handelsexperte Sirko Siemssen. Die Zahl von derzeit rund drei Millionen Arbeitsplätzen im Einzelhandel werde sich nicht halten lassen, orakelt der Report. Die Experten sind sich einig: Unpopuläre Maßnahmen könnten notwendig werden. Widerstand wird von Umweltschützern erwartet, die Autos grundsätzlich nicht mehr in den Innenstädten sehen wollen, aber auch von Immobilienbesitzern, die durch den Rückbau von Fußgängerzonen auch Rückgänge bei Mieteinnahmen und Gebäudewerten befürchten. Ostwestfalen und Lipper zuversichtlich Betroffen sein könnten vor allem die Randlagen großer Fußgängerzonen, und jedermann ahnt, welche Bereiche seiner Stadt von Leerständen bedroht sein könnten. Vor allem die mittelgroßen Städte, die als echte Einkaufsstädte heute zu geringe Einzugsbereiche haben, könnte es treffen, fürchtet Michael Reink. Auch in OWL gibt es schwierige Lagen: Ob die Obermarktpassage in Minden oder die Radewigstraße in Herford und selbst einige Züge in der Großstadt Bielefeld – völlig sorgenfrei sind wenige Städte. Doch Ostwestfalen und Lipper lassen sich nicht ins Bockshorn jagen. &bdquo;Ja, die Länge der Fußgängerzone in Minden ist seit Jahren ein Thema", räumt Susann Lewerenz als Sprecherin der – wegen ihrer schönen Altstadt eigentlich besonders attraktiven – Stadt Minden ein. Die Zone zwischen Bäckerstraße und Obermarktstraße sei tatsächlich weitläufig. Doch das lange leerstehende Hertie-Haus sei modernisiert worden, und durch neue Pflasterung werde die Fußgängerzone aufgewertet. Eine Öffnung für den Verkehr habe nie zur Debatte gestanden.

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