NRW-Schulministerin: „Ich setze auf die Freiheit der Schulen“

Yvonne Gebauer (FDP), die neue NRW-Schulministerin, spricht im Interview mit der Neuen Westfälischen über die Abkehr vom Turbo-Abi, die Errichtung von 30 Talentschulen in sozial schwierigen Stadtteilen und über die Organisation von inklusivem Unterricht.Frau Gebauer, worin unterscheidet Sie sich von ihrer Vorgängerin Sylvia Löhrmann?Yvonne Gebauer: Ich vergleiche mich nicht mit ihr, weil ich andere inhaltliche Schwerpunkte setze: Ich setze mehr auf die Freiheit und die Eigenverantwortung der Schulen und auf Gespräche mit den Beteiligten. Wie weit sind Sie mit Ihren Plänen für die Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit?Gebauer: Wir haben nicht so viel Zeit, aber Qualität geht vor Tempo. Wenn wir die Rückkehr zu G 9 mit der Wahlmöglichkeit, auch bei G 8 zu bleiben, bis zum Schuljahr 2019/2020 realisieren wollen, müssen wir die neuen Bestimmungen bis zum Anmeldetermin für dieses Schuljahr, also im Herbst 2018, stehen haben. Das bedeutet, dass wir unseren G-9-Gesetzentwurf zum Jahresbeginn 2018 in den Landtag einbringen müssen. Wie viele zusätzliche Lehrer müssen Sie dafür einstellen?Gebauer: Am Anfang gar nicht so viele, weil es ja erst Schritt für Schritt mehr werden müssen. Mehr Klassen am Gymnasium bedeuten zusätzlichen Raumbedarf. Trägt das Land die Kosten dafür oder müssen sich die Kommunen beteiligen?Gebauer: Die Rückkehr zu G 9 ist ein gemeinsames landespolitisches Projekt von CDU und FDP. Wenn das Land so eine grundsätzliche Entscheidung trifft, muss es auch Verantwortung für die Folgen übernehmen und im Zweifelsfall mit den Kommunen über die Kosten für den zusätzlichen Raumbedarf verhandeln. Um wie viel Geld geht es?Gebauer: Eine genaue Summe kann ich Ihnen noch nicht nennen. Aber die Umstellung auf G 9 wird sicher insgesamt mehrere 100 Millionen Euro kosten. Die Zahl der Schüler, die in der Erprobungsphase des Gymnasiums scheitern, steigt. War die Verabsolutierung des Elternwillens bei der Entscheidung, auf welche Schule Kind nach der Grundschule geht, ein Fehler?Gebauer: Der Elternwillen hat für mich große Bedeutung. Gleichwohl müssen wir uns diese Entwicklung genauer anschauen. Der Trend zum Gymnasium ist ja ein gesellschaftliches Thema. Wir haben inzwischen eine Übergangsquote zum Gymnasium von durchschnittlich 45 Prozent, in manchen Städten sogar deutlich höher. Unternehmen haben häufig nur noch Abiturienten eingestellt, da sie zu oft bei anderen Bewerbern Qualifikationen vermissten. Ein Schritt in diesem Zusammenhang muss sein, das Leistungsniveau in Schulen grundsätzlich wieder anzuheben. Dann haben auch Absolventen anderer Schulformen wieder mehr Chancen und es könnten andere Schulen als das Gymnasium für Eltern attraktiver werden. Sie wollen 30 Talentschulen in sozial schwachen Stadtteilen einrichten. Wann wird die erste Talentschule eröffnet, und vor allem, wo?Gebauer: Wir werden im kommenden Jahr einen Wettbewerb ausloben, an dem sich Schulen in Stadtteilen mit großen sozialen Herausforderungen beteiligen können. Zurzeit bereiten wir das vor, auch in Zusammenarbeit mit Stiftungen, die das Talentschulprogramm unterstützen und mitfinanzieren sollen. Ich hoffe, dass es zum Schuljahr 2018/19 die ersten Talentschulen geben wird. Bereits jetzt haben die ersten Schulen Interesse signalisiert. Und wann kommt das Schulfreiheitsgesetz, von dem im Koalitionsvertrag die Rede ist?Gebauer: Wir können nicht alles auf einmal bewerkstelligen, deshalb steht das für das kommende Schuljahr noch nicht auf dem Programm, sondern erst später, denn dies bedarf noch einer intensiven Diskussion mit allen Beteiligten. Bei diesem Vorhaben geht es um mehr personelle, finanzielle und pädagogische Freiheit. Wir möchten aber den Schulen nichts überstülpen, sondern es gemeinsam erarbeiten. Hauptkritikpunkt an der Inklusion à la Löhrmann war, dass die Lehrer sich allein gelassen fühlten. Im Koalitionsvertrag ist jetzt von Qualitätsstandards die Rede, die gesichert sein müssten. Was meinen Sie damit?Gebauer: Nicht jede Schule wird zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund fehlender Ressourcen inklusiv arbeiten können. Stattdessen soll es verteilt über das Land ein breites Förderschulangebot sowie Regelschulen mit Inklusionsschwerpunkten oder Förderschulgruppen geben. Bei den Qualitätsstandards geht es beispielsweise um Doppelbesetzungen in inklusiven Lerngruppen, um die fachliche Qualifizierung von Personal und eine angemessene Ausstattung. Parallel dazu haben wir die Voraussetzungen für den Erhalt möglichst vieler Förderschulen in NRW geschaffen. Wahlmöglichkeit für die Eltern von Kindern mit Behinderungen heißt, dass sie zum Wohle ihres Kindes wählen können zwischen den verschiedenen Angeboten.

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