Bonn (dpa). Dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Jahr für Jahr Mitglieder verlieren, scheint fast gottgegeben. Auch in NRW sinkt die Zahl der Katholiken und Protestanten immer weiter - das belegen neue Statistiken. Ein Grund: die Alterung der Gesellschaft. Ein anderer: grassierende Glaubensmüdigkeit. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Warum gibt es immer weniger Katholiken und Protestanten?
Sie sterben oder sie treten aus. Die Zahl der Taufen und Kircheneintritte kann das nicht auffangen. So gab es zwar 2016 in Nordrhein-Westfalen bei den Katholiken mehr Taufen (49.468) als Austritte (37.505) - im gleichen Jahr wurden aber auch 74.523 Mitglieder bestattet. Auch bei der Evangelischen Kirche im Rheinland, der zweitgrößten deutschen Landeskirche, setzte sich der Mitgliederschwund fort. 2016 gehörten ihr 2,58 Millionen Mitglieder an - 2015 waren es noch 2,63 Millionen. Das deckt sich mit dem bundesweiten Trend. Insgesamt verloren die beiden großen Kirchen inDeutschland gut eine halbe Million Mitglieder.
Warum treten Jahr für Jahr so viele Menschen aus den Kirchen aus?
Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Viele Experten warnen aber davor, allein akutes Entsetzen über Skandale oder das Verhalten von Kirchenfürsten - Stichwort "Protzbischof" Tebartz-van Elst - als Auslöser zu sehen. Es gibt dann zwar mitunter erkennbare Ausschläge, etwa nach dem Missbrauchsskandal 2010. Grundsätzlich verläuft die Abwanderung aber relativ stetig. Das spricht für langfristige Faktoren, eine Entfremdung über Jahre. Und während die Kirchen früher im Leben ihrer Mitglieder durchregierten, sind sie heute noch eine Institution unter mehreren. Nur dass die Leistung, für die man sie bezahlt, oft gar nicht mehr in Anspruch genommen wird.
"Religion steht in Konkurrenz zu Sport, Kunst, Unterhaltung, der Pflege von Bekanntschaften", sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Oder anders ausgedrückt: "Wenn man sich morgens entscheiden muss, ob man ausschläft, sich mit Freunden trifft, etwas für die Arbeit macht oder in den Gottesdienst geht, fällt die Entscheidung häufig zuungunsten des Gottesdienstes aus."
Lässt sich die Entwicklung umkehren?
Schwerlich. Bei den Katholiken gibt der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, etwas aus, das nach Durchhalteparole klingt: "Wir sollten bei den Zahlenwerken nicht unseren eigentlichen Auftrag vergessen: Trotz manchmal stürmischer Zeiten das Evangelium mutig und freudig zu verkünden." Der Bischof von Münster, Felix Genn, will die "schmerzhaft" hohe Zahl an Austritten aber nicht so stehen lassen: "Wir müssen Schritte auf dieMenschen zugehen, um ihnen deutlich zu machen: Wir sind keine Kirche der Ab- und Ausgrenzung."
Wo ließe sich womöglich nachbessern?
Man müsse den Menschen, die der Kirche den Rücken kehren, "aktiv nachgehen", um ihre Beweggründe zu verstehen, sagt Langendörfer. Aus Sicht des Direktors des katholischen "Hauses am Dom" in Frankfurt, Joachim Valentin, gibt es in vielen Bistümern zudem wenig Zuwendung zur Jugend. Junge Menschen würden die Kirche oft nicht mehr als ansprechbare, positiv besetzte Institution wahrnehmen. "Und das sind dann später diejenigen, die auf ihren Gehaltszettel schauen, die Kirchensteuer sehen und sich fragen, warum sie das eigentlich bezahlen."
Ein wiederkehrendes Thema - vor allem bei den Katholiken - ist die Sexualmoral. Würde es der Kirche nützen, liberaler zu werden?
"Wer austritt, für den ist das wenn überhaupt ein Punkt in einem großen Konglomerat im Prozess der Entfremdung", sagt Valentin vom "Haus am Dom". Die katholische Kirche habe sich gegebenermaßen mit ziemlich vielen kleinteiligen Fragen der Sexualmoral beschäftigt und dabei die Lebenssituation der meisten Menschen in Deutschland aus den Augen verloren. "Die Menschen schauen auf ihr Umfeld und sehen, wie Beziehungen gelebt werden und dass Homosexualität einfach normal ist." Er glaube aber nicht, dass man in diesem Punkt die Schlachten gewinne oder verliere. "Wer jetzt noch in der Kirche ist, hat sich mit der katholischen Sexualmoral arrangiert."