Unterwegs mit dem Hammer Forum: Tragödien, Tod und Tröstliches

Bünde/Guinea-Bissau. Als Grieche nimmt er den hippokratischen Eid womöglich besonders ernst. Das könnte eine Erklärung für seinen unermüdlichen Einsatz sein. Dafür, dass Theophylaktos Emmanouilidis, bekannt als &bdquo;Dr. Emma", auch mit seinen fast 78 Jahren noch mehrmals jährlich in die ärmsten Regionen Afrikas fliegt, um dort Kinder zu operieren. In Guinea-Bissau sind die Bedingungen besonders schlecht. Exemplarisch für die Lebensumstände in der einstigen portugiesischen Kolonie stehen zwei Tage in der Provinzstadt Gabú. Im dortigen Krankenhaus möchte der Bünder mit der ärztlichen Hilfsorganisation &bdquo;Hammer Forum" in den kommenden Jahren eine Kinderambulanz aufbauen. Er wird dort sehr dicke Bretter bohren müssen. Enge und dunkle Räume, stickige und schlechte Luft, über 40 Grad Celsius, kaputte OP-Tische und Lampen stehen und liegen überall herum. Nichts, was Dr. Emma schocken könnte. &bdquo;Da lässt sich was draus machen", sagt er, als der Direktor des Krankenhauses ihm kurz nach der Ankunft am Abend einen ungenutzten Raum für eine mögliche Kinderambulanz zeigt. Der nächste Morgen: Bei der Visite liegt zwischen Fällen von Malaria, Unterernährung und angeborenen Fehlbildungen auch ein 15-tägiger Säugling in seinem Gitterbett, eingehüllt in ein Tuch. Dr. Emma wickelt das Baby aus. Winzig und abgemagert liegt es da, mit einer Haut wie Pergamentpapier. &bdquo;O Gott", entfährt es dem Mediziner. &bdquo;Das Mädchen ist praktisch tot." Neben dem Bett steht die traurige Oma. &bdquo;Die Mutter ist kurz nach der Geburt gestorben – wie’s aussieht, hat das Kind noch gar keine Nahrung bekommen", schildert ein Arzt den Fall in aller Kürze. Schnell ist man sich einig, dass eine der Mütter, die mit ihren eigenen Babys vorm Krankenhaus sitzen, den Winzling mitsäugen soll. Drei Minuten später taucht eine junge Frau im Zimmer auf, die sich dazu bereit erklärt. Dr. Emma steckt ihr etwas Geld zu. Die winzige Mamadu saugt tatsächlich noch aus eigener Kraft an der Brust. Emmanouilidis ist verhalten optimistisch. Plötzlich rufen einige Ärzte nach ihm. Ein Zwölfjähriger liegt bewusstlos und mit einer Delle im Schädel in der Notaufnahme. Ein Motorradunfall. Blutung im Gehirn. &bdquo;Man müsste die Schädeldecke öffnen, aber das geht nur in Bissau – wenn überhaupt", sagt der Bünder. Die Mediziner verschieben die Entscheidung auf den nächsten Tag. Dann muss Dr. Emma schon wieder los: Er möge bei einem Notkaiserschnitt helfen, bittet ihn ein junger Berufskollege. Nach einer knappen Stunde kommt er zurück. Unter den frühabendlichen Rufen des Muezzins schlurft er verschwitzt über den Innenhof des Krankenhauses und verkündet eine traurige Nachricht: &bdquo;Das Kind ist tot. Heute Morgen hat es noch gelebt. Hätte man den Kaiserschnitt da schon gemacht, wäre jetzt alles gut." Aber die Angehörigen mussten erst die nötigen Mittel für den Eingriff besorgen – die hatte das Hospital leider nicht auf Lager. Der nächste Tag beginnt, wie der vorige aufgehört hat: mit dem Tod. Der 12-Jährige mit der Hirnblutung ist über Nacht gestorben. &bdquo;Das war ein schwerer Fall, wahrscheinlich hätten sie ihn auch in Bissau nicht retten können", sagt Dr. Emma. Es sind mehr die einfachen Fälle, die ihn hier zuweilen ratlos machen. So wie das kleine Mädchen mit dem Vaginaverschluss. Die hiesigen Ärzte hatten eine angeborene Missbildung diagnostiziert – und dann nicht so recht gewusst, wie sie damit verfahren sollten. Dr. Emma hatte nur kurz draufgeschaut und angekündigt: &bdquo;Das ist nur ein dünnes Häutchen, der Eingriff dauert keine Minute." Sieben Kollegen schauen neugierig zu, als er das Kind am nächsten Tag auf den OP-Tisch legt. Und tatsächlich: Der Eingriff selbst dauert kaum 20 Sekunden. &bdquo;Fertig", sagt der 77-Jährige nach einem einzigen Schnitt. Die Kollegen sind sichtlich beeindruckt. Wieder geht’s in die Notaufnahme: Einem jungen Mann mit Leistenbruch ist ein Großteil der Gedärme in den Hodensack gerutscht. Was anderen schon beim bloßen Hinsehen wehtut, ist für Dr. Emma nur ein Handgriff. Ruckzuck sind die Gedärme wieder dort, wo sie hingehören. Die Kollegen staunen abermals, der Patient ist glücklich. Es gibt also auch Tröstliches in diesen aufwühlenden Tagen. Dann die nächste schlechte Nachricht: Die Amme, die sich am Vortag noch bereiterklärt hatte, das halbverhungerte Mädchen zu stillen, weigert sich jetzt standhaft. Eigentlich habe sie schon gestern nicht gewollt, erzählt eine Ordensschwester. Es stellt sich heraus, dass die junge Frau die Tante des Säuglings ist. Offenbar hat sie Angst, dass ihr eigenes Kind sterben muss, wenn sie ihre kleine Nichte mitstillt. Nicht etwa, weil sie nicht genug Milch für zwei Babys hätte. &bdquo;Sie glaubt, dass böse Mächte im Spiel sind, Hexerei", erklärt die Schwester. Vermutlich, so der Verdacht, habe sie in den letzten zwei Wochen nur so getan, als habe sie das Baby gestillt. Mit dem Ergebnis, dass die kleine Mamadu jetzt dem Tod geweiht ist. Auch andere Mütter haben Bedenken – niemand will die Kleine stillen. Dr. Emma gibt der Ordensschwester 50 Euro. Eine Sonde soll gelegt werden, um den Winzling zu retten. Eine halbe Stunde später hat Mamadu einen dünnen Schlauch in der Nase. Eine Krankenschwester soll ihr ein wenig angerührte Babymilch einflößen. Gleich die ersten Tropfen kommen der Kleinen aus Nase und Mund wieder heraus. Ein leises Röcheln ist zu vernehmen. Unter den Blicken von Mamadus weinender Großmutter schüttelt Dr. Emma den Kopf. Ein Kopfschütteln, das mehr sagt als tausend Worte. Noch am Abend schließt Mamadu für immer die Augen.

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