Interview: Konfliktforscher Andreas Zick über Kommerz im Profifußball

Bielefeld. Rekordtransfers, Rekordeinnahmen, Rekordeinschaltquoten – der Fußball scheint sich auf Erfolgskurs zu befinden. Doch viele Fans sehen das anders. Sie werfen den Vereinen hemmungslose Kommerzialisierung vor. Der Bielefelder Forscher Andreas Zick warnt deshalb: &bdquo;Fans kann man nicht kaufen". Das Interview: Herr Zick, warum diskutieren Fans schon seit den 1980ern dasselbe Problem?Andreas Zick: Die Kommerzialisierung ist ein Dauerbrenner unter den Fans. Und die Diskussion nimmt in dem Ausmaß zu, in dem der Fußball als gigantisches Wirtschaftsunternehmen wächst. Man kann sagen: Die Debatte über den Kommerz ist mittlerweile ein Teil von Fankultur. Aber gleichzeitig führt sie auch dazu, dass sich Vereine und Fans voneinander entfernen. Lässt sich die Entfremdung zwischen Fans und Verein wirklich so einfach erklären: Der Kommerz ist Schuld?Zick: Nein, so einfach ist es nicht. Das Verhältnis ist eher ambivalent. Auf der einen Seite haben wir bestimmte Fangruppen, die sich sehr deutlich gegen eine Kommerzialisierung ihres Sportes wenden. Denken Sie an die aktuell hitzigen Debatten um den RB Leipzig oder die Betriebself von Leverkusen und Wolfsburg. Auf der anderen Seite ist die Fankultur selbst ein Teil des kommerziellen Erfolgs, zum Beispiel mit aufwendigen Choreographien der Ultras. Also ist &bdquo;Entfremdung" der falsche Begriff?Zick: Genau. Es geht eher um ein widersprüchliches Verhältnis zwischen einem wirtschaftlichen Fußball und den Fankulturen, die sich weitgehend unkommerziell entwickelt haben. Das führt immer wieder zu Konflikten. Wo viel Kapital im Spiel ist, wird der Fußball enorm beeinflusst. Das führt dazu, dass sich der kommerzielle Fußball von der Fankultur entkoppelt. Dabei werden doch auch die Fan-Aktionen immer teurer.Zick: Das schon. Die Fans wollen aber autonom und nicht Teil eines Marktes sein. Wir haben eine gute Fankultur in Deutschland, weil nach der großen Gewaltwelle der Hooligans in den 1980er Jahren der Fußball kapiert hat, dass man in die Selbstregulierung der Fans investieren muss. Autonome Fanprojekte wurden entwickelt. Die Fans haben sich also selbst professionalisiert. Dabei investieren sie zum Teil auch viel Geld. Aber sie möchten selber entscheiden wie viel sie investieren und was mit dem Geld passiert. Also haben wir mehr Geld auf beiden Seiten, der Profifußball wird dafür aber verurteilt?Zick: Ja, weil die Fans zwar professioneller werden, aber nicht marktförmiger. Es geht um Freiheitsspielräume. Seit den 80er Jahren gibt es einen Kampf um die Stehplätze. Denken Sie an die Aktion &bdquo;Kein Zwanni für ’nen Steher". Es haben sich bestimmte antikommerzielle Normen eingeschlichen. Um die wird auch gekämpft. Mit oder gegen die Vereine?Zick: Die Top-Vereine sind gigantische Wirtschaftsunternehmen. Davon kann aber Fankultur nicht leben. Und das ist doch der Punkt. Unterstützung kann man nicht kaufen. Die Fankultur wird also zwangsläufig an der Kommerzialisierung sterben?Zick: England hat sich schon klar entschieden: Keine Stehplätze mehr. Aber immerhin Sitzplätze die noch erschwinglich sind. Dafür gibt es keine Stimmung im Stadion. Mittlerweile ist es auch in Deutschland schon so, dass Hartz-IV-Empfänger seltener im Stadion zu sehen sind. Das ist ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist, weil die Gesetze des Marktes das entscheiden. Heißt das, die Fans führen einen Kampf gegen Windmühlen?Zick: Die Kommerzialisierung kann man nicht bremsen, denn der Markt sieht keine Bremse vor. Das ist ein Teil des Problems, das sich auch immer weiter nach unten verlagert. Die Vereine der 2. und 3. Liga müssen sich verschulden, um mithalten zu können. Verschuldete Vereine gehören zur Marktlogik. Was können also Fans überhaupt noch tun?Zick: Es gibt kleine Gruppen von hoch identifizierten Fans, die Konflikte schüren, die gehen rein ins Stadion und legen sich an. Die machen bewusst Sicherheitsprobleme, um zu zeigen, wer eigentlich diesen Raum Stadion beherrscht. Das sind etwa vier Prozent der Fans. Der überwiegende Teil geht eher auf Distanz zu Gewalt. Die machen immer stärker kluge Aktionen. Zum Beispiel?Zick: 20 Minuten lang der Mannschaft den Rücken kehren, sich in der Kurve ruhig verhalten. Wie im Januar beim Spiel Dortmund – Stuttgart. Die Fans hatten wegen der hohen Eintrittspreise protestiert. Solche Aktionen gelangen in die Medien, in die Vereine. Was kümmert die Bilanz, ob die Kurve laut ist?Zick: Man darf nicht vergessen: Dortmund genießt einen Marktvorteil durch die Attraktivität der Südkurve. Das weiß auch ein Verein wie Arminia, der vorbildliche Unterstützung aus der Fankurve bekommt. Der Verein wird sich deswegen nicht vorschnell Gedanken um eine Erhöhung der Stehplatzpreise machen. Der Fan ist also das Kapital?Zick: Die Fans zu verärgern kann zu Konflikten und Gewalt führen, was den Fußball unattraktiv macht. Für jeden Verein ist es das worst case, wenn Hundertschaften ins Stadion kommen müssen. Das ist ein Marktnachteil und wirkt sich sofort aus. Die Vereine müssen eine Gratwanderung zwischen Gewinn und Wahrung schaffen. Was passiert, wenn sich die Vereine doch gegen die Fankultur und für die Bilanz entscheiden?Zick: Im Moment etablieren sich rein kommerzielle Vereine wie RB Leipzig. Ähnliche Entwicklungen kennt man vom Eishockey. Dann gibt es unterschiedliche Zukunftsszenarien. Zum Beispiel, dass der RB Leipzig eine erfolgreiche Fankultur beleben kann. Dann könnte es noch teurer werden, ins Stadion zu gehen. Man ist an Familien als Zuschauer interessiert, man investiert Geld, um ein riesiges Erlebnis zu schaffen, ein Event. Die klassische Fankultur ist dann am Ende. Warum ist das noch nicht passiert?Zick: Es wäre die falsche Lösung. Der DFB ist der mitgliederstärkste Verein der Welt. Anders als beim Eishockey haben wir Millionen von Menschen, die selbst aktiv Fußball spielen. Fußball ist ein Sozialisationsfaktor. Nehmen wir Dortmund: Da hängt eine ganze Region vom Verein ab. Die Fußballkultur ist eingebettet in eine regionale Kultur. Fans kann man nur begrenzt kaufen. Zur deutschen Fankultur gehört, dass man sich identifiziert, ohne an das Geld zu denken. Das lässt doch hoffen – und zwar auch diejenigen, die dem Sport schon abgeschworen hatten.Zick: Am Ende hat den längeren Atem immer das Geld. Aber: Wenn die Gewinnspannen zwischen Spitzenclubs, wenn also die ökonomische Kluft weiter auseinandergeht, dann stößt auch die Expansion an ihre Grenzen. Das ist ein wesentlicher Faktor und das wissen auch die Vereine. Und Ihre persönliche Sicht auf die Dinge?Zick: Ich gucke mittlerweile lieber untere Ligen. Die Bundesliga ist durch die überbordende Dominanz der Bayern langweilig geworden. Bielefeld ist immer spannend, weil man nie weiß, schaffen sie es, oder nicht. Das macht Fußballkultur doch erst interessant: Wenn auch mal die Underdogs es schaffen.

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