Von
Rainer Schmidt
04.02.2016 | 04.02.2016, 06:00
Kultur
Nah dran: Ines Reinisch stellte in der Kamera ihren Dokumentarfilm „Wenn ein Garten wächst“ vor. Filmemacherin stellt sich der Diskussion mit den Zuschauern
Bielefeld. Ein Rasenviereck mit drei Birken und unauffällig darunter drapierte Blumenrabatten erstreckt sich zwischen Reihenhäusern einer Nachkriegswohnsiedlung. Eine karge, gesichtslose Fläche. Weiter oben am Hang steht eine neoklassizistische Stadthalle. Ein banales Detail, das sich noch unvorteilhaft ins Geschehen schieben wird.
Das Bild in Ines Reinisch Film, „Wenn ein Garten wächst“, zeigt nun diskutierende Bewohnerinnen auf dem Rasen, die Kamera ist nah dran. Hier ist etwas im Busch, eine Veränderung scheint anzustehen. Wie von einer solchen Zusammenkunft in Deutschland zu erwarten, überwiegen skeptische Stimmen. Eine Sitzgruppe auf dem Platz dürfte nächtliche Ruhestörer und Ordnungsverweigerer anziehen? Das Plan sieht die Aneignung öffentlichen Raums am Kasseler Hutterplatz vor, ein von der Nachbarschaft gemeinsam angelegter und gepflegter Garten soll entstehen, auch Lebensmittel angebaut werden, im Sinne des „Urban Gardening“. Der Gedanke hier ist ressourcenschonendes Wirtschaften im Angesicht einer wegen Landschaftsverbrauchs, ausufernder Transportlogistik und Verschwendung zunehmend problematisch wahrgenommenen Agrarproduktion.
Rasch, in Schlaglichtern abgehandelt ist die Saison in Ines Reinischs Filmdokumentation „Wenn ein Garten wächst“, dabei gelingt es der Regisseurin sogar, Lachyoga und Strickguerilla mit in Szene zu setzen. Der Zuschauer mag es belächeln. Doch auch „Urban Gardening“ gefällt nicht jedem, wie in der lehrreichen letzten halben Stunde des Films gezeigt wird. Der Wunsch, den Garten weiter zu führen, erfordert eine neue Genehmigung der Lokalpolitik, für die die Bewohner im Bezirksbeirat werben müssen. Schließlich wird stattgegeben – mit gestaltungshemmenden Auflagen der Denkmalschutzbehörde, die eine Sichtachse zur Stadthalle gewahrt wissen will. Man müsse zwischen der Politik, die bürgerschaftlichem Engagement dieser Art zunehmend wohlwollend begegne, und der Verwaltung trennen, die den Bürgern nicht zutraue, mit dem öffentlichen Raum verantwortungsvoll umzugehen und institutionelle Rückversicherungen einfordere. Diese Erfahrung haben auch die mitveranstaltenden Aktivisten der Bielefelder Transition-Town-Initiative gemacht, welche Gemeinschaftsgärten betreibt und ein frei zugängliches Projekt im Ostmannturmviertel angestoßen hat. Die Kasseler hatten das Glück, eine Projektgruppe der Uni als Kooperationspartner zu behalten. Dort steht Ines Reinisch, die vorher ein Kommunikationsdesign-Studium absolvierte, kurz vor dem Abschluss. Es sei ihr nicht leicht gefallen, den gemeinschaftlichen Prozessen als bloße Beobachterin beizuwohnen, so die Filmemacherin beim Gespräch über ihren Film in der Kamera. Ihr Film ist äußerst sympathisch ausgefallen.
Anstelle von Personen mit Sendungsbewusstsein und gestelzter Expertenmeinung kommen „unbeschlagene“ Bürger zu Wort, zugleich überrascht und befriedigt von der Wirkung des Abenteuers, mitten in der Stadt einen unumzäunten Garten zu haben.
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