Löhne. Das Prozedere war jeden Morgen gleich: Aus einem großen Teigklumpen wurden zwölf kleine. Die schob Karl Krüger in den Steinofen, holte sie als fertige Brote wieder heraus und verkaufte sie. Jeden Tag genau ein Dutzend. Was so im Jahr 1934 begann, ist inzwischen zu einem mittelständischen Betrieb mit 160 Mitarbeitern und 30 Filialen gewachsen. Geblieben sind der Name "Karlchens Backstube" und die Inhaberfamilie Krüger. Jetzt feiert die Firma 75-jähriges Bestehen.
Der Vergleich zwischen den Anfängen in einer winzigen Backstube auf dem Gelände des Becker Krugs und den heutigen Zahlen zeigt, dass die Krügers längst ein Schwergewicht im regionalen Markt sind. Allein von ihrer meistverkauften Brotsorte "Schräger Otto" gehen pro Jahr rund 200.000 Stück über den Tresen. Pro Tag also 548 Brote auf eine Sieben-Tage-Woche gerechnet. Wohlgemerkt – von einer Sorte.
"Wir wollen weiter wachsen", sagen die geschäftsführenden Gesellschafter Karsten Krüger und Simone Böhne, geborene Krüger. Sie sind die dritte Generation in Karlchens Backstube und lenken die Geschicke seit 2005. Die Fußstapfen, in die die Geschwister getreten sind, erscheinen gewaltig: Opa Karl gründete das Unternehmen, Vater Karl-Heinz baute das komplette Filialnetz aus.
Doch die Visionen der Enkel stehen längst. Vison 1: Neue Gebiete erobern. "Wir strecken die Fühler Richtung Lübbecke, Herford und Bielefeld aus und wollen zwischen Bad Oeynhausen und Stadthagen das Netz dichter machen", kündigt Karsten Krüger an. Jährlich entstünden rund 20 neue Arbeitsplätze im Unternehmen.
Vision 2: Den Spagat zwischen Massenproduktion und sauberer Handwerksarbeit schaffen. "Das ist unser Erfolgsgeheimnis", sagt Simone Böhne. Dann nennen die Geschwister Beispiele für die allgegenwärtige Tradition in der Firma. Noch immer wird zum Teil in Steinöfen gebacken. Noch immer wird ein Teil des Getreides erst bei Karlchen gemahlen und sofort verarbeetet. Noch immer ist die Brotherstellung das Herzstück. Noch immer verzichtet man auf Konservierungsstoffe.
Eigens zum Jubiläum hat die Familie ein neues Brot kreiert. Es trägt den Erwartungen schürenden Namen "Nummer 1". "Dieses Brot wird komplett in Handarbeit hergestellt.", sagt Karsten Krüger. Man habe den Wasseranteil angepasst, um es besonders lange frisch zu halten. "Denn die Kunden entscheiden heute zwischen zwei Varianten: Billiges Industriebrot, von dem man die Hälfte wegschmeißen muss, weil es schlecht wird. Oder das teurere Brot traditioneller Herstellung, das man jedoch in Ruhe ganz aufessen kann."
Anders gesagt: Die große Menge, die früher das Ziel der Bäcker war, kann heute schnell zur Schwachstelle des Produkts werden. Das gilt besonders für ein relativ neues Projekt der Krügers. Sie beliefern fast alle Autobahntankstellen in Deutschland mit Ciabatta-Brot. Da ist eine hohe Stückzahl gefragt, schmecken soll es aber trotzdem.
Karsten Krüger und Simone Böhne war früh klar, dass sie das elterliche Gewerbe übernehmen. Er absolvierte eine Bäckerlehre, sie arbeitete im Verkauf. Heute ergänze sich das perfekt, sagen sie. Doch könnte der Chef, der die Produktentwicklung leitet, noch einspringen, wenn ein Bäckermeister ausfällt?
"Na ja, ich könnte noch helfen", sagt Krüger und schmunzelt. Und doch – er ist Bäcker durch und durch: "Er muss immer einmal den Teig fühlen, wenn er durch die Backstube geht", verrät Mutter Hannelore.
Sie hat mit Ehemann Karl-Heinz noch die klassische Bäckerzeit erlebt, denkt jedoch längst modern. "Die Kinder können sich den Veränderungen heute doch viel besser anpassen als wir." Sagts und nimmt einen Schluck Kaffee aus einem Pappbecher mit Deckel. "To go" wie das neudeutsch heißt. "Undenkbar vor 20 Jahren", sagt Hannelore Krüger. So wie 200.000 "Schräge Ottos" vor 75 Jahren.