
Hannover. Mittelscheitel, zurückgekämmte Haare, abstehende Ohren, große Nase, näselnde Stimme, hochgezogene Augenbrauen und große Gesten – so wurde Theo Lingen in seinen mehr als 200 Filmen zu einem der beliebtesten deutschen Komiker.
Doch der 1903 in Hannover geborene Franz Theodor Schmitz, der als Schauspieler den Geburtsort seines Vaters als Nachnamen annahm, war zunächst ein gefeierter Charakterdarsteller und Kabarettist. Das Sprengel Museum Hannover erinnert derzeit mit einer Ausstellung an diese heute weitgehend unbekannte Seite Lingens.
1923 spielt er am Stadttheater Halberstadt in dem zu dieser Zeit modernen expressionistischen Stil. "Wir sprachen abgehackt, standen schief oder auf dem Kopf, schminkten uns Dreiecke oder Quadrate ins Gesicht, ganz wie wir die ,Revolution des Theaters verstanden. Was haben sich die armen Halberstädter gefallen lassen müssen!", erinnert sich Lingen später.
Bei der Premiere von Bertolt Brechts "Mann ist Mann" dabei
Als er bei einem Engagement im ostwestfälischen Bad Oeynhausen in einer Nebenrolle in der Operette "Gräfin Mariza" ebenfalls seine akrobatische Spielweise und seinen übersteigerten Ausdruck einsetzt, da reagiert das Publikum plötzlich ganz anders als bisher: Es lacht. Für Lingen ein Schlüsselerlebnis: "Lauthals geäußerte Reaktionen eines Auditoriums – in diesem Falle Lachen – ist ein Gift und kann wie Opium sein. Auf mich wirkte es jedenfalls so. Ich wurde süchtig."Anfang der 30er Jahre spielt er in den Filmklassikern "M" und "Das Testament des Dr. Mabuse" von Fritz Lang mit. Er steht in der Premiere von Bertolt Brechts "Mann ist Mann" auf der Bühne, wird als Mackie Messer in der "Dreigroschenoper" am Berliner Theater am Schiffbauerdamm umjubelt und gehört fortan zu Brechts Lieblingsschauspielern. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlässt Brecht mit Lingens Hilfe Deutschland.
Lingen bleibt. Und übernimmt nur noch komische Rollen. In 107 Spielfilmen tritt er bis 1945 auf, mit denen die Nazis das Volk bei Laune halten wollen. Lingen braucht eine Sondergenehmigung: Er ist seit 1928 mit der Ex-Frau Brechts, Marianne Zoff, verheiratet, die er bei seinem Theaterengagement in Münster kennengelernt hatte. Zoff gilt als Halbjüdin. Lingen macht sich im Film unentbehrlich, um seine Familie zu schützen und wahrt ansonsten Distanz zu den politischen Machthabern, so die These der Ausstellung.
Kommentar mit ironischem Unterton
Der Düsseldorfer Fotokünstler Hans-Peter Feldmann hat die Objekte im Raum der Fotografie im Sprengel Museum zusammengestellt. Er präsentiert Fotoalben der Familie Lingen hinter Vitrinen, Theaterplakate an den Wänden, Filmfotos an einer über den Ausstellungsraum gespannten Leine.Die Bilder werden durch Äußerungen Lingens oder seiner Zeitgenossen kommentiert – nicht selten mit ironischem Unterton. So findet sich das Lenin-Zitat "Für uns ist heute die Filmkunst die wichtigste der Künste" in direkter Nachbarschaft mit einer Szene aus der 60er-Jahre-Klamotte "Wir hauen die Pauker in die Pfanne", in der Lingen die Rolle des Paukers Dr. Taft spielt. Für Kurator Feldmann ist Lingen sich letztlich treu geblieben: "Seine groteske Spielweise war für ihn der einzige Weg, auf eine groteske Welt mit Millionen von Toten aus den beiden Weltkriegen zu antworten."
- Bis 12. Juni im Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz. Di. 10-20 Uhr, mi-so 10-18 Uhr.