
Mit "Altered Carbon – das Unsterblichkeitsprogramm" liefert Netflix eine Science-Fiction-Serie ab, deren düstere Zukunftsvisionen an jene in Serien wie "Black Mirror" erinnern. Das Erschreckende ist: Der Zuschauer hat nicht selten das Gefühl, Teile der Geschichte könnten bittere Realität werden. Das ist nur ein Punkt, der die neue Netflix-Serie so faszinierend macht. Übrigens nicht nur für Science-Fiction-Fans.
"Altered Carbon" basiert auf dem 2002 erschienen gleichnamigen Roman von Richard Morgan. So viel vorneweg: Es wird nicht die Story sein, die Zuschauern der ersten Staffel im Gedächtnis hängen bleibt. Einprägsam und beeindruckend ist stattdessen die Vision der Gesellschaft in der Welt der Zukunft, die Morgan in seinem Roman entworfen hat und die nun von Serienschöpferin Laeta Kalogridis in eine Serie übersetzt wurde.
Das Bewusstsein im Nacken
Die Geschichte spielt im 24. Jahrhundert. Das Bewusstsein von Menschen lässt sich mittlerweile digitalisieren und auf Disks, sogenannte Stacks, speichern. Solange die Disk intakt ist, kann ein Mensch theoretisch ewig leben. Sie muss eben nur in einen funktionierenden Körper, in der Serie Sleeve genannt, eingesetzt werden. Und zwar am Halswirbel.
So ergeht es Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman). 250 Jahre nachdem der Sölnder und Rebell erschossen wurde, wacht er in einem neuen Körper auf. Laurens Bancroft (James Purefoy) hat Kovacs' Disk in einen neuen Körper gesteckt und bietet ihm ein Leben in Freiheit an. Dafür muss Kovacs nur eines tun: den Mord an Bancroft aufklären. Denn Bancroft wurde erschossen und weiß nicht vom wem. In seinem digitalen Bewusstsein, das in einen neuen Körper gesteckt wurde, gibt es keine Erinnerungen an die Stunden rund um den Mord.
Kleine Schwächen, große Stärken
Diese Einführung in die Geschichte dürfte Menschen ohne Sci-Fi-Hang reichen, um die Serie nicht einzuschalten. Wir raten: Habt etwas Geduld. In der Tat verlangt die Story dem Zuschauer einiges ab, weil der Krimi-Thriller-Mix an einigen Stellen schwächelt und etwas verworren wirkt. Auch Stereotype sind dabei: Es gibt brutale, starke Männer und hübsche Frauen. Und wenn die Frauen nicht nur hübsch sein sollen, dann sind sie ebenfalls brutal und stark. Dazu kommen Nackt- und Sexszenen, die wirken, als hätte der Regisseur während der Dreharbeiten einfach manchmal gesagt: "Ey, jetzt muss mal wieder jemand nackt sein. Einfach so." Irgendwie unpassend eben.
Diese Schwächen dominieren die Serie aber nicht. Sie schaffen ein paar Momente des Kopfschüttelns. Wirklich fesseln aber kann die Staffel mit der Idee von der zukünftigen Gesellschaft und der Darstellung einer neuen Welt, die der Zuschauer Folge für Folge entdecken kann.
Das Smartphone im Auge
"Altered Carbon" spielt in Bay City, früher mal San Francisco. Das UN-Protektorat ist für das Recht auf den Planeten zuständig. Ansonsten gilt ein striktes Kastensystem. Die kleine Oberschicht lebt in Gebäuden über den Wolken, besitzt einen Großteil des verfügbaren Vermögens, kann sich immer neue Körper leisten und lebt deshalb ewig. Die Mittelschicht lebt in Eigentumswohnungen und kann ein Stück des Himmels sehen. Die Unterschicht, die Grounders, lebt im düsteren, dreckigen Keller der Welt. Der Aufstieg nach oben ist praktisch unmöglich.
Statt normaler Werbung werden die Bewohner in dieser Zukunft von aufdringlichen künstlichen Intelligenzen behelligt. Selbst das Absperrband der Polizei ist digital. Menschen tragen ihre Smartphones in den Augen und haben so ständig alle Informationen und Kontakte im Blick.
Der Körper ist nichts wert
"Altered Carbon" dreht sich letztlich um die Frage, was Menschen anfangen würden mit einem unendlichen Leben und der Austauschbarkeit von Körpern in einer hochtechnisierten Welt. Die pessimistische Antwort: Nur die Reichen würden profitieren. Die Moral würde sich auflösen. Es gäbe kein eindeutiges Gut und Böse. Nicht einmal bei Mord.
Wie um die Wertlosigkeit von Körpern noch zu unterstreichen, gehen die Macher der Serie mit ihnen auch hart ins Gericht. Gewalt spielt in den zehn etwa einstündigen Folgen der Serie eine große Rolle. Es fließt viel Blut, die Kampfszenen sind brutal.
Dass "Altered Carbon" nicht zu einem einzigen Gemetzel verkommt, ist neben der spannenden Darstellung der "neuen Welt" unter anderem dem starken Hauptdarsteller zu verdanken. Joel Kinnaman (The Killing, House of Cards) gelingt es ausgezeichnet, den emotionalen Zwiespalt der Hauptfigur darzustellen, ist nicht nur stumpfe Kampfmaschine.
Poe und das Einhorn
Und schließlich halten die Macher noch ein paar liebevolle Details bereit, die es ebenfalls schaffen, den Kampfstumpfsinn aufzusprengen. US-Schriftsteller Edgar Allan Poe als künstliche Intelligenz und ziemlich viel Witz gehört ebenso zu diesen Details wie ein rosafarbener Einhornrucksack.
Es gibt eben viel zu entdecken in "Altered Carbon". Nicht nur für Science-Fiction-Fans.
Altered Carbon - Das Unsterblichkeitsprogramm ist seit dem 2. Februar 2018 bei Netflix verfügbar.