Kritik

Tatort "Hardcore" hat genug gezeigt, ohne zu weit zu gehen

Absurde Szenerie: Leitmayr (Udo Wachtveitl) gibt den Pornodarstellern (Martin Bruchmann und Sebastian Fischer) Steuertipps. | © BR/Hagen Keller

Marc Schröder
08.10.2017 | 08.10.2017, 21:45

Der Tatort „Hardcore" funktioniert und das trotz, oder erst recht, wegen des schlüpfrigen Milieus, in dem die Münchener Kommissare ermitteln müssen. Trotz Ekel-Momenten und Sex-Szenen, gleitet diese Folge nicht in Klischees ab. Weder in eine explizite noch in moralisierende Richtung. Die Tätersuche bietet dabei den Rahmen, in dem sich die gesellschaftlichen Aspekte rund um die Porno-Industrie aufspannen.

Bei allen negativen Aspekten, die man Pornofilmen und deren Produktion zuschreiben kann: „Irgendwoher müssen die Millionen Klicks ja kommen." Dieses Tatort-Zitat ist nur einer der gesellschaftlichen Widersprüche, die sich entlang möglicher Tatmotive entwickeln.

Rund um die Tat und das Opfer ermitteln Batic und Leitmayr nicht nur mögliche Tatmotive, sie stoßen auch auf die gesellschaftlichen Gegensätze, die mit Pornos verknüpft werden. Wenige andere Tatort-Teams wären besser dazu geeignet gewesen, in einem solchen Fallkonstrukt zu ermitteln. Über die distanzierte Art der alten Ermittlerhasen, die mit aktuellen Szene-Fakten von Assistent Kalli versorgt werden, und der Ruhe mit der sie in dieser Folge weitestgehend ermitteln, auch durch die abstrusen Momente, funktioniert die gesamte Episode.

Leitmayr und Batic beobachten Oberstaatsanwalt Kysela (Goetz Schulte) bei der Identifizierung des Mordopfers, seiner Tochter. - © BR/Hagen Keller
Leitmayr und Batic beobachten Oberstaatsanwalt Kysela (Goetz Schulte) bei der Identifizierung des Mordopfers, seiner Tochter. | © BR/Hagen Keller

Bis hin zum Finale, in dem sich die Tatmotive in einer neuen Eskalationsstufe hätten entladen können. Doch indem Schlimmeres verhindert wird und auch der Täter sich freiwillig stellt, schließt sich die Krimihandlung stimmig. Der Schwerpunkt von „Hardcore" bleibt zur Diskussion offen: dem Aufzeigen der gesellschaftlich widersprüchlichen Aspekte rund um die Porno-Industrie und den Konsum ihrer Produkte.

Kommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) liefert Recherchen und hält die Vorgesetzten auch sonst auf dem Laufenden. - © BR/Hagen Keller
Kommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) liefert Recherchen und hält die Vorgesetzten auch sonst auf dem Laufenden. | © BR/Hagen Keller

Gesellschaftskritik ohne Moralisierung

Über die Personenkonstellationen, die sich rund um den Tod von Marie „Luna Pink" Wagner entspinnen, entwickeln sich die gesellschaftlichen Kritikfelder, auf die Regisseur Koch ganz bewusst abzielt. Die Porno-Produzenten, deren wirtschaftliche Existenz es ist, Sexfilme zu drehen, zu produzieren, vermarkten und zu verkaufen. Darsteller, deren (Neben-)Job es ist, Sex vor der Kamera zu haben und so zum Teil ihre Sexualität auszuleben. Doch die ebenso Aspekte des Selbigen ablehnen: „Die beste Art sich Sex abzugewöhnen, ist die beim Porno zu arbeiten", so Darstellerin Nikki zu den Kommissaren, während diese am Porno-Set ermitteln.

Die Teilnehmer der Massenszene, die aus der Rolle des Porno-Konsumenten heraustreten, jedoch wegen der gesellschaftlichen Ächtung ihre Identität nicht preisgeben wollen. Die Eltern des Opfers, der Vater konsumiert heimlich Pornos, deren größte Angst der Verlust des eigenen Renommees durch den geächteten Nebenjob der Tochter ist.

Doppelmoral einer offenen Gesellschaft

Der angedeutete Umbruch durch den Wandel von der alten Video-Vertriebswelt zu den schnellen digitalen Wegen des Internets, zwischen Lederhosen-Filmen und „Fickflix". All das und die Anmerkungen zu den Hintergründen der Szene, die eingestreut werden, sie machen das Gesamtbild des „Hardcore"-Tatorts schlüssig.

Drehbuchautor und Regisseur Philip Koch fasst seine Intention so zusammen: „Hier wird die Doppelmoral unserer Gesellschaft besonders deutlich, die im Film klar kritisiert werden soll: Porno zu konsumieren ist moralisch legitim, Porno zu machen hingegen unmoralisch, schmutzig und beschämend." Die Widersprüchlichkeiten einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft zum tabuisierten Feld der Pornographie, darauf zielte Koch ab und es ist ihm gelungen.