TV & Film

Tatort aus Bremen: Grausam, aber richtig gut

TV-Kritik zur Folge "Nachtsicht" (Mit Spoilern)

Im Tatort "Nachtsicht" ging es vor allem um eine Frage: Wer ist der Mann unter der Maske? | © Radio Bremen/Michael Ihle

Angela Wiese
12.03.2017 | 13.03.2017, 12:30

Der Tatort aus Bremen gehört ganz und gar in die Kategorie "mittelmäßig". Was die Kommissare Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) und Inga Lürsen (Sabine Postel) da in den vergangenen Jahren abgeliefert haben, hat jedenfalls die Autorin dieser Zeilen in den seltensten Fällen vor Begeisterung von der Couch gerissen. Diesmal war das anders. Der Bremer Tatort "Nachtsicht" war das Beste, was dieses Tatort-Jahr bislang zu bieten hatte.

Die Begeisterung hob bereits in den ersten Minuten des Tatorts an. Eine Hand wäscht ein mit Blut völlig besudeltes Auto, die Bewegungen passend zum großartigen Tocotronic-Song "Ich öffne mich". Fantastischer Einstieg. Was kommt da noch? Einiges! Auch Erschütterndes.

Eine ungewöhnliche Tatwaffe

Die Morde werden mit dem Auto begangen. Der Täter überfährt nicht einfach nur. Er zerschmettert. So brutal, so erbarmungslos und grausam, dass sogar der versierte Rechtsmediziner mit dem starken und geübten Magen eben diesen entleeren muss. Ein Mensch steckt schwer verletzt zappelnd in einer Windschutzscheibe fest, ein angefahrener Jogger bettelt am Boden liegend "Bitte nicht", das auf sich zurasende Auto im Blick. Schwer erträgliche Szenen. Zu brutal? Geschmackssache.

Ermittlungen im Tatort "Nachtsicht": Spuren am Tatort deuten darauf hin, dass das Opfer gezielt mit einem Auto überfahren worden ist. - © Radio Bremen/Michael Ihle
Ermittlungen im Tatort "Nachtsicht": Spuren am Tatort deuten darauf hin, dass das Opfer gezielt mit einem Auto überfahren worden ist. | © Radio Bremen/Michael Ihle

Dass der Zuschauer die Augen schließt, sich wegdreht, weil er die blutigen Szenen nicht erträgt, schafft doch der Tatort normalerweise gar nicht mehr. Es sei denn, er setzt auf unnötige Gewaltexzesse. Das tut "Nachtsicht" nicht. Der Folge gelingen solche Szenen, wie sie guter Kriminalliteratur gelingen. Das ist stark.

Auch die Mordwaffe ist ungewöhnlich. Ein matt-schwarzes Auto mit lautlosem E-Motor und einem im Unterboden eingelassenen Fenster, das dem Täter freie Sicht auf die von ihm überfahrenen Opfer lässt. Während der Fahrt trägt der Mörder ein Nachtsichtgerät. So kann er im Dunkeln ohne Licht und Geräusch, aus dem Nichts, auf seine Opfer losrasen. Wieder so ein spannendes Detail. Vergleichbares kennt das Publikum jedenfalls nicht aus anderen Tatorten.

Finster und pervers

Die Ermittlungen des Tatort-Teams ziehen sich zur Freude des Zuschauers nicht ewig hin. Für die Ermittler ist nach mehreren, kurz aufeinanderfolgenden Morden klar: Es handelt sich um einen Serienmörder. Der Verdächtige ist ein ehemals drogenabhängiger Maler und Lackierer.

Im Tatort "Nachtsicht" werden Menschen grausam mit dem Auto getötet. Kein leichter Fall für Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel). - © Radio Bremen
Im Tatort "Nachtsicht" werden Menschen grausam mit dem Auto getötet. Kein leichter Fall für Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel). | © Radio Bremen

Dass der finster blickende und gleichzeitig eingeschüchtert wirkende Mann tatsächlich der Täter ist, ist nicht nur dem Publikum schnell klar. Der Vater des Mannes weiß es, seine Freundin ahnt es, die Ermittler sowieso. Und wieder ein Detail, das diesen Tatort so gut macht: Die Frage ist nicht nur, wer ist der Mörder. Vielmehr erzählt "Nachtsicht" die Geschichte einer von Dramen fast zerstörten Familie.

Der Vater möchte seine sterbenskranke Ehefrau schonen. Koste es, was es wolle. Und sein Sohn, der Täter, tötet nicht ohne Grund. Es ist sein blutiger Trieb, mit dem er schon immer gehadert hat und von dem auch sein Vater weiß. Schauspieler Moritz Führmann spielt den in der eigenen Perversion gefangenen Täter grandios. Eine weitere Wendung, die "Nachtsicht" zu einem starken Film macht.

Selbst ohne die beschriebenen Details wäre "Nachtsicht" ein guter Tatort. Schon deshalb, weil sich der Film schnörkellos auf eines konzentriert: auf die spannende Jagd nach einem Mörder und seinen perversen Antrieb. Bravo! Mehr davon!

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