DFB-Präsident Niersbach: "Ich halte mich für sehr geerdet"

Interview mit dem neuen Chef des Deutschen Fußball-Bundes

28.05.2012 | 28.05.2012, 13:00

Spüren Sie denn nicht, dass Sie stärker unter Beobachtung stehen als früher?
NIERSBACH: Nein, das empfinde ich bisher noch nicht. Es fällt mir leicht, auf die Menschen zuzugehen und mit ihnen zu reden. Das einzige, woran ich mich erst noch gewöhnen muss, sind die Autogrammkarten.

Aber es gibt die ganz schweren Themen. Die politische Debatte um die Frage der Menschenrechtsverletzungen im EM-Gastgeberland Ukraine – war das nicht gleich zu Beginn der Amtszeit eine ziemliche Herausforderung?
NIERSBACH: Das ist eine Herausforderung, ganz klar. Und zwar eine, die ich nicht allein bestehen kann, sondern nur im Team. Allerdings ist es kein Thema, das man delegieren kann, da muss der Präsident Position beziehen. Meine Haltung war und ist eindeutig: Von einem Boykott halte ich gar nichts, da hat mich die Debatte 1980 geprägt, als die westliche Welt unter Führung der USA die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert hat. Das hat politisch nichts gebracht, eher im Gegenteil. Und Hunderte von Athleten sind um die Chance ihres Lebens gebracht worden. Ich bin sehr froh, dass sich meine Meinung deckt mit der der Bundesregierung. Wenn einige Politiker aus den hinteren Reihen, die womöglich noch nie im Stadion waren, einen Boykott fordern, dann ist für mich der Schulterschluss mit der Bundesregierung entscheidend. Aber glauben Sie mir: Ich hätte diese grundsätzliche Haltung auch so klar eingenommen, wenn es an führender Stelle eine andere Auffassung gegeben hätte.

Und jetzt ermuntern Sie sogar die Nationalspieler, sich politisch zu äußern und sagen, große Sportereignisse könnten eben auch dazu dienen, den internationalen Blick auf eventuelle Missstände im Gastgeberland zu richten.
NIERSBACH: Das stammt ja nicht von mir, diese Einstellung ist ja schon vor den Olympischen Spielen in China verbreitet worden. Außer Olympia hat wohl nur der Fußball diese Kraft, ein Land derart in den Fokus der Weltöffentlichkeit zu rücken. Und darin liegt natürlich auch eine Chance. Wobei wir bitte nicht vergessen dürfen, dass zum Zeitpunkt der EM-Vergabe die Verhältnisse in der Ukraine ganz andere waren – damals war die Hoffnung da, dass ein sportliches Großereignis dem Land einen weiteren Schub in Richtung Demokratie und Europa geben könnte.

Der Eindruck ist: Die beiden Organisationskomitees haben wenig miteinander zu tun, tauschen sich schlecht aus. Wahrscheinlich finden im Sommer zwei Europameisterschaften statt – eine in Polen, die andere in der Ukraine. Ist das ein spezielles Problem oder ein grundsätzliches des Co-Gastgeber-Modells?
NIERSBACH: Solche Co-Konstruktionen, bringen natürlich Probleme mit sich. Selbst bei Ländern wie den Niederlanden und Belgien musste man 2000 jedes Thema zwei Mal lösen – Visa, Polizei, Zoll, Sicherheit. Aber man muss den politischen Willen der UEFA sehen, die auch kleinere Länder als Ausrichter haben will. Für 2016 hatten wir ja sogar eine skandinavische Bewerbung, da wären es sogar vier Länder gewesen.

Aber es wird ja noch schwerer für ein einzelnes Land, die EM auszurichten, wenn ab 2016 statt wie bisher 16 Länder 24 teilnehmen.
NIERSBACH: Die großen Fußball-Nationen werden das natürlich hinkriegen, aber auch Portugal hat es zum Beispiel 2004 geschafft. Und Russland kommt als potenzieller Ausrichter dazu. Unabhängig davon bin ich kein großer Freund von 24 Teilnehmern. Die Qualifikation wird an Spannung erheblich verlieren. Und im Turnier selbst muss man nach einem Modus spielen, bei dem man eine Logarithmentafel braucht, um feststellen zu können, wer denn nun die besten Gruppendritten sind. Auf der anderen Seite muss man sagen: Das sind demokratische Entscheidungen, die gefallen sind, weil der Druck von Ländern wie Norwegen, Schottland, Finnland oder Belgien auf die UEFA so groß war, die unbedingt wieder teilnehmen wollen an einer Endrunde. Auch dafür kann man Verständnis haben.