Die Nummer eins beendet Ottes Höhenflug in Halle

Halle. Der Weltranglisten-Spitzenreiter war am Ende eine Nummer zu groß für Gipfelstürmer Oscar Otte. Der vom Haller Publikum seit Tagen gefeierte Überraschungs-Halbfinalist aus Köln musste sich bei den Terra Wortmann Open trotz begeisternder Leistung dem Russen Daniil Medwedew mit 6:7 (3), 3:6 geschlagen geben und verfehlte damit das erste ATP-Endspiel seiner Tenniskarriere. Gut eine Woche vor Beginn des Rasen-Klassikers in Wimbledon bewies der 28-Jährige aber vor allem im ersten Durchgang, als er Medwedew dessen ersten Aufschlagverlust des Turniers zufügte, seine starke Form. Für Medwedew geht die Jagd nach der ersten Turniertrophäe dieses Jahres indes weiter. Der Topgesetzte trifft im Finale am Sonntag (15 Uhr) auf den Aufschlagriesen Hubert Hurkacz. Der Pole rang in einem nicht minder spektakulären Halbfinale den Australier Nick Kyrgios mit 4:6, 7:6 (2), 7:6 (4) nieder. Hukarcz und Kyrgios schlugen insgesamt 57 Asse. Otte setzt Überraschungsmomente und begeistert mit Leidenschaft "Es war ein sehr hartes Match für mich", gibt Daniil Medwedew zu. Nicht nur die glühende Hitze in der ausverkauften OWL-Arena, sondern auch die unkonventionelle Spielweise des letzten deutschen Mohikaners, vor Turnierbeginn an Position 51 der Weltrangliste notiert, machte dem Weltranglistenersten das Leben lange schwer. Da er nicht über die Fähigkeiten eines Roger Federers auf Rasen verfüge, verriet Otte unter der Woche, sei seine Strategie eigentlich immer dieselbe: den Gegner bloß nicht in den Rhythmus kommen lassen und für Überraschungsmomente sorgen. Auf diese Weise hatte der deutsche Daviscup-Spieler zuvor bereits Nikoloz Basilaschwilli (ATP 25) und Karen Katschanow (ATP 23) aus dem Turnier befördert, dabei jedoch jeweils einen Satz gebraucht, um warm zu werden und sich dann noch mit großer Leidenschaft den zwischenzeitlich kaum noch für möglich gehaltenen Sieg zu erkämpfen. Stopp-Lob mit dem Weltbesten Im Halbfinale wählte Otte einen anderen Weg: Er trat die Flucht nach vorn an und spielte gut eine Stunde lang am Limit seines Könnens. Seinen Gegner überraschte er mit unerwartbaren Bällen, spielte gar dreimal Stopp-Lob mit dem knapp zwei Meter großen Russen und erspielte sich im ersten Durchgang insgesamt sechs Breakchancen, von denen er die letzte gar zur 5:3-Führung nutzte. Die Zuschauer, unter denen auch Arminia-Präsident Rainer Schütte und Geschäftsführer Samir Arabi waren, hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen. Der Satzgewinn war plötzlich greifbar. Medwedew zeterte und fluchte in Richtung seiner Box. Helfen konnte ihm jedoch weder seine Frau Daria noch Trainer Gilles Cervara. "Das gehört einfach zu meinem Spiel, ich spiele gerne Stopps. Ich will ihn damit ja nicht ärgern. Aber es war schon witzig, dass das so gut geklappt hat. Er ist immerhin 1,98 Meter groß", sagt Otte schmunzelnd. Doch ein Weltranglisten-Erster zieht auch in brenzligen Situationen den Kopf noch aus der Schlinge. Vor dem Break setzte der Moskauer seine unheimliche Serie von abgewehrten Breakbällen fort. Gegen Roberto Bautista Agut hatte er im Viertelfinale neun von neun Breakchancen zunichte gemacht. Gegen Otte tat er das mit den ersten fünf auch. Dass der Kölner diese Chancen hatte, zeigte aber, wie sehr er seinen Gegner mit Slicebällen, Tempowechseln und spontanen Ideen an den Rand der Verzweiflung trieb. "Ich war schon emotional heute. Gerade wenn es so heiß ist, ist es nicht einfach, immer konzentriert und kontrolliert zu bleiben. Zudem hat Oscar sehr stark gespielt", erklärt der Sieger. "Ich hätte den ersten Satz schon gern gewonnen" Beim Stand von 3:5 aber behielt der 26 Jahre alte Russe einen kühlen Kopf und nutzte seinerseits seine zweite Chance zum Rebreak mit einer mächtigen Rückhand longline genau ins Eck. Dass er aber überhaupt in die Nähe einer Breakchance kam, hatte er der Unkonzentriertheit, vielleicht auch Nervosität des Deutschen zu verdanken. Der nämlich hatte zuvor beim Satzball einen Doppelfehler serviert. "Das war echt blöd. Ich hätte den ersten Satz schon gern gewonnen, um zu schauen, was dann passiert", hadert Otte nach er Partie mit der verpassten Möglichkeit. So aber ging es im ersten Durchgang in den Tiebreak, den der Branchenführer mit der Souveränität eines 13-fachen Turniersiegers und viermaligen Grand-Slam-Finalisten für sich entschied. "Im Tiebreak sind mir endlich die harten Grundlinienschläge wieder gelungen", sagt Medwedew, der im zweiten Satz dominanter agierte und auch besser aufschlug. Oscar Otte hielt die Partie noch fünf Spiele lang ausgeglichen, ein Break zum 4:2 brachte die Vorentscheidung für den US-Open-Siegers 2021, der zum ersten Mal im Endspiel des Haller Rasenturniers steht und schon jetzt ankündigt: "Ich werde gerne im nächsten Jahr wiederkommen." . Eine Stunde nach Spielschluss kann auch der Unterlegene wieder lachen und stolz auf die erfolgreichste Woche seiner Tenniskarriere zurückblicken. "Kurz nach Spielschluss überwiegt natürlich die Enttäuschung, aber jetzt realisiere ich langsam, was in der zurückliegenden Woche passiert ist" erzählt der Spätdurchstarter, der sich in der am Montag erscheinenden Weltrangliste auf Rang 36 wiederfinden wird. "Ich habe unzählige Nachrichten auf allen möglichen Kanälen bekommen. Ich hatte noch gar keine Möglichkeit, mir das alles anzuschauen." Dafür wird er in den kommenden Tagen Zeit haben, bevor es dann Richtung Wimbledon geht.

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