Boykott oder Begeisterung? Das halten Bielefelder Sportler von der WM

Bielefeld. Mit dem Eröffnungsspiel des Gastgebers Katar gegen Ecuador beginnt am Sonntag um 17 Uhr die 22. Fußball-WM. Zynischerweise am Totensonntag der evangelischen Kirche. Schließlich sind seit 2010 bei den Bauarbeiten unter anderem der acht WM-Stadien laut Amnesty International rund 15.000 Menschen ums Leben gekommen. Auch die inzwischen nachgewiesene Korruption bei der Vergabe der Weltmeisterschaft in das totalitär geführte Emirat haben zu zahlreichen Boykott-Aufforderungen geführt. Wie gehen Bielefelds Sportler mit dieser fragwürdigen Weltmeisterschaft um? Schließlich gilt die deutsche Nationalmannschaft als einer der aussichtsreichen Kandidaten auf den Titel. Lisa Venrath (22), Torhüterin des Regionalligisten Arminia Bielefeld: &bdquo;Also ich bin jedenfalls keine Supporterin dieser Weltmeisterschaft. Aber ich werde die Spiele der deutschen Mannschaft schauen. Eine Allesguckerin war ich vorher auch nicht. Natürlich sind in erster Linie die zahlreichen Toten im Vorfeld der WM, aber auch die Verstöße gegen die Menschenrechte und die Rechte der Frauen inakzeptabel. Aber die Fehler sind schon bei der Vergabe der WM gemacht worden. Dabei waren schon die meisten Missstände bekannt. Ich kann aber jetzt auch die Fußballer verstehen, die viele, viele Jahre auf ein solches Ereignis hin trainiert haben und deren sportliches Highlight eine Weltmeisterschaft ist.“ Jan Barkowski (47), Trainer des Fußball-A-Ligisten VfL Schildesche: &bdquo;Es ist ekelhaft, was passiert ist, damit diese Weltmeisterschaft stattfinden kann. Allerdings kann ich mich auch nicht vier Wochen lang in den Keller einsperren. Ich schaue auf jeden Fall die Spiele der deutschen Nationalmannschaft und definitiv auch das Eröffnungsspiel. Ich gucke die WM wegen des Sports. Auch habe ich im Vorfeld etliche Dokumentationen darüber gesehen und es ist grausam, was dort passiert ist. So eine Vergabe darf nicht noch einmal passieren. Angeblich gab es 1,5 Millionen Euro pro Stimme. Da war selbst Blatter überrascht – er hat wohl die Rechnung ohne die Korrupten gemacht.“ Max Wehmhöner (18), Oberliga-Basketballer der SV Brackwede: &bdquo;Die WM werde ich nicht ansehen, auch nicht die deutschen Spiele. Auch wenn ich als Basketballer Fußballfan bin, ist im Vorfeld des Turniers einfach zu viel schlecht gelaufen, um mir die Spiele anzuschauen. Einzig ein Finale Portugal gegen Argentinien, also Cristiano Ronaldo gegen Messi bei deren letzten Turnier, könnte mich wie viele Fans vielleicht umstimmen. Insgesamt kritisiere ich die Vergabe an Katar ganz klar, besonders wegen der Missachtung der Menschenrechte bei den Gastarbeitern. Die FIFA hätte für Sicherheit und Ordnung und Einhaltung der Rechte sorgen und das Turnier Katar sonst entziehen müssen.“ Jonas Szymanski (26), Kapitän des Fußball-Bezirksligisten TuS Jöllenbeck: &bdquo;Ich werde mir auf jeden Fall die Deutschland-Spiele anschauen und vermutlich auch die Top-Spiele in der K.-o.-Runde. Ich finde es mittlerweile schwierig, wie sich der Fußball entwickelt. Die Macht, die der Sport hat, das Geld, was dort fließt und dass anscheinend niemand mehr auf die menschlichen Umstände schaut bei solch großen Ereignissen. Aber als Fußballer kann man das Highlight nicht ganz ausblenden, auch wenn die Umstände, unter denen in Katar gespielt wird, sehr beschämend sind. Ich wünsche mir zukünftig , dass die FIFA bei Vergaben Themen wie Menschenrechte berücksichtigt.“ Larissa Vorjohann (20), Oberliga-Handballerin des TuS 97 Bielefeld-Jöllenbeck: &bdquo;Ich will nicht sagen, dass ich kein einziges Spiel schaue. Es kommt auch darauf an, wie erfolgreich Deutschland das Turnier bestreiten wird. Momentan sehe ich noch keinen Grund, gerade in der Anfangsphase der WM Spiele zu verfolgen. Mir tut es für die Sportler leid. Ich glaube schon, dass der Support bei dieser WM niedriger sein wird als sonst. Die FIFA hätte das Turnier nie an Katar vergeben dürfen. Menschenrechte, die eigentlich selbstverständlich sein müssten, sind es in Katar eben nicht. Ich finde es falsch, diese Aspekte beim Fußballschauen einfach auszublenden. Als Sportlerin wünsche ich mir natürlich, dass unsere Elf ein möglichst erfolgreiches Turnier spielen wird.“ Volker Wilde (61), Präsident des Stadtsportbundes: &bdquo;Meine ausdrücklich persönliche Meinung ist: Boykott. Keine Spiele im Fernsehen, keine Fan-Artikel, keine sonstige Unterstützung. Nicht die Spiele ansehen, weil das weltweite Schauen auf den Fußball von den Problemen in Katar ablenkt. Keine Fan-Artikel kaufen, weil der Deutsche Fußball-Bund maßgeblich zur Vergabe beigetragen und die Probleme des Emirats über Jahre beharrlich ignoriert hat. Inklusive des Kaisers Franz Beckenbauer, der in Katar keinen Sklaven gesehen hat. Unter der Entscheidung, die WM nach Katar zu vergeben, muss die jetzige Spielergeneration leiden, weil sie ständig damit konfrontiert ist. Alexander Britze (27), Bezirksliga-Schiedsrichter vom DSC Arminia: &bdquo;Ich werde die WM nicht verfolgen. Auch nicht die Spiele der Deutschen. Grundsätzlich bin ich ein Fan von großen, internationalen Turnieren, weil sie unter anderem für die Zusammenführung von Menschen unterschiedlichster Kulturen und Herkünfte stehen. Dieses Gefühl rückt bei mir durch die desolaten Umstände der WM-Vergabe in den Hintergrund und auch die Umstände für diejenigen, die vor Ort das Turnier im Zweifel mit ihrem Leben bezahlt haben, lässt mich die WM nicht mit ruhigem Gewissen verfolgen. Durch die zunehmende Kommerzialisierung im Fußball ist an solchen Umständen wohl kaum etwas zu ändern. Für einen neutralen Fußballfan ist dies schwer nachzuvollziehen.“ Rahman Fazlijevic (34), Stürmer des Landesligisten TuS Dornberg: &bdquo;Die Ausbeutung der Helfer und Arbeiter rund um die Weltmeisterschaft hätte so niemals stattfinden dürfen. Das Schlimmste an dieser Tatsache ist, dass unser Weltverband sich überhaupt nicht zu den Vorwürfen positioniert und alles nur schön redet. Eine WM im Winter anzusetzen ist völlig irre. Grundsätzlich hätte das so niemals vergeben werden dürfen, weil dieses Land überhaupt keinen Bezug zum Fußball aufweisen kann. Wenn es meine Zeit hergibt, werde ich aber trotzdem alle Spiele mit deutscher und serbischer Beteiligung schauen.“ Martin Frenz (37), Regionalliga-Volleyballer beim Telekom Post SV: &bdquo;Ich finde, dass die WM nicht nach Katar gehört. Drei Gründe: Der Fußball ist dort nicht populär, es gibt dort keine richtige Ligenstruktur und zudem werden die neuen Stadien nach der WM nicht mehr entsprechend genutzt. Die Menschenrechtssituation ist nicht nur im jetzigen WM-Gastgeberland schwierig. Zudem ist der Fußball nicht in der Lage, dieses Problem allein zu lösen. Als Fußballfan freue ich mich auf die WM und schaue mir die Spiele der deutschen Nationalmannschaft an. Sportlich betrachtet traue ich unserer Mannschaft das Erreichen des Viertelfinals zu. Der Sprung ins Halbfinale wäre ein großer Erfolg.“ Arian Keller (26), Fußball-Torhüter des Bezirksligisten SC Bielefeld: &bdquo;Grundsätzlich finde ich es schade, dass die WM im Winter stattfindet. Das schadet der klassischen WM-Atmosphäre. Von den Diskussionen im Vorfeld mal ganz abgesehen. Es kann nicht sein, dass Menschen für ein Event sterben müssen, zudem werden die Stadien nach der WM wahrscheinlich ungenutzt bleiben. Dennoch werde ich versuchen, so viele Spiele wie möglich live im Fernsehen zu verfolgen. Unabhängig davon, welche Nationen aufeinander treffen. Fußball ist Fußball. Aber die deutschen Spiele haben Vorrang. Die FIFA hätte und muss transparenter mit der Vergabe von WM-Orten umgehen – oder man entzieht ihr die Vergabe.“ Iven Sielemann (22), Mittelfeldspieler beim Landesligisten VfL Theesen: &bdquo;Ich kann jeden verstehen, der aufgrund der Umstände in Katar die WM nicht schaut. Einfach auch, um ein Zeichen an den Fußball zu setzen. Mein ganzes Leben dreht sich um Fußball, da überwiegt das Interesse am Sport. Ich werde die deutschen Spiele und die Top-Spiele schauen. Ich stehe der WM sehr kritisch gegenüber. Es ist skandalös, wie Katar an die WM gekommen ist und es ist eigentlich noch schlimmer, dass sie sie trotz der zahlreichen Vergehen behalten haben. Die Situation um die Gastarbeiter und Minderheiten ist ein No-Go.“ Christian Butt (34), Tischtennisspieler des Landesligisten TuS Brake: &bdquo;Ich bin zwar begeisterter Fußballfan, doch diese WM holt mich nicht so richtig ab. Ich schwanke noch inwieweit ich mir die Spiele in Katar anschauen werde. Die alten Herren der FIFA haben vor Jahren beschlossen die WM im Winter in Katar auszutragen, aber wegen der momentanen Geschehnisse passen Zeit und Ort nicht in unsere Welt. Ich selbst hätte mir einen anderen Austragungsort und eine WM im Sommer gewünscht, ich weise aber auch auf die sportliche Seite der WM-Teilnehmer hin: Für die Kicker steht der Erfolg an erster Stelle, kritische Äußerungen sind aber wünschenswert“. Sara Kirmes (23), Kapitänin der Bezirksligafußballerinnen des VfL Theesen: &bdquo;Ich werde mir – sofern es zeitlich passt – die deutschen Spiele anschauen. Und die Halbfinals und das Endspiel. Ich bin etwas zwiegespalten. Zum einen verbinde ich mit Katar die schlechten Bedingungen, die vielen Toten, die Homophobie und die eingeschränkten Rechte der Frauen. Andererseits ist die WM nur alle vier Jahre. Es wäre besser, wenn die WM in einem anderen Land stattfinden würde. Wichtig ist, dass aus den Fehlern gelernt wird und die Geschehnisse aus Katar nicht in Vergessenheit geraten. Sonst wird sich in Zukunft in dem Land nichts verändern.“

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