Bielefeld

Eine Partynacht für die Zweitliga-Aufsteiger

Mein emotionalster Moment im Sport: Basketballer Ilijas Masnic erlebte im März 2007 mit dem TSVE Besonderes. Erst einen historischen Sieg, dann eine lange Feier.

Aufsteigerbild mit Trainer: Ilijas Masnic stellte sich links an den Rand, seinen Anteil am 99:91-Sieg über Bochum und dem damit praktisch perfekten Aufstieg in die offizielle 2. Liga des deutschen Basketballs ist unbestritten. | © Uwe Kleinschmidt

11.12.2020 | 11.12.2020, 22:00

Bielefeld. 3. März 2007. Es laufen die letzten Minuten des Heimspiels gegen Verfolger Südpark Bochum. Der Gast hat soeben die lange, so sicher wie die Auftritte der gesamten Regionalliga-Saison wirkende TSVE-Führung auf 87:85 für sich gedreht. Ilijas Masnic, Trainer des TSVE-Teams, das als „Dolphins“ antritt, macht sich Gedanken, ob er noch taktisch eingreifen soll. „Doch in dem Moment habe ich auf meine Spieler vertraut“, sagt Masnic mehr als ein Dutzend Jahre später: „Ich habe gespürt, dass wir dieses Spiel gewinnen werden.“ Der TSVE siegt 99:91 und hat drei Spieltage vor Ende der Saison 2006/07 sechs Punkte Vorsprung auf die Zweitplatzierten Bochumer. „Auch wenn es rechnerisch noch nicht perfekt war, brachen die Emotionen durch“, erzählt der heute 63-jährige Masnic.

Gefeiert wurde der größte Erfolg nämlich trotz eines minimalen Restrisikos „volle Lotte“ und bis zum Morgengrauen. Erst mit den Fans und mit Sekt, über dessen Reinigung der Masnic gut bekannte Hallenwart in der Carl-Severing-Sporthalle noch heute mit einigem Schaudern denke. Danach mit einer legendären Partynacht im Café Europa, wo Anwohner Ilijas Masnic mit seinen TSVE-Seriensiegern quasi Hausrecht besaß.

So gut wie unverändert: Ilijas Masnic heute. - © Uwe Kleinschmidt
So gut wie unverändert: Ilijas Masnic heute. | © Uwe Kleinschmidt

Bielefeld als Zweitliga-Gründungsmitglied

Eine Woche später war der Aufstieg dann auch formal besiegelt, seit dem folgenden Spätsommer 2007 darf sich der TSVE 1890 Bielefeld Gründungsmitglied der damals neuen zweiten Liga im Basketball nennen. Neben den fünf Jahren der Lady Dolphins am Stück in der 2. Bundesliga ist dies der größte sportliche Erfolg eines Bielefelder Basketballteams.

Der Coach und einer seiner Nachfolger: Ilijas Masnic gibt Spieler David Bunts letzte Aufsteiger-Tipps. - © privat
Der Coach und einer seiner Nachfolger: Ilijas Masnic gibt Spieler David Bunts letzte Aufsteiger-Tipps. | © privat

Der Weg in die Zweitklassigkeit trug damals maßgeblich die Handschrift von Headcoach Ilijas Masnic: „Dieser Aufstieg in die damals neu geschaffene Pro B war mein emotionalster Moment im Bielefelder Sport“, stellt der ehemalige bosnische Nationalspieler mit bewegter Lebensgeschichte (siehe Zweittext) heute klar.

"Wir sind damals als David gestartet"

Eine einzigartige Saison sei diese 1.-Regionalliga-Spielzeit 06/07 gewesen, in welcher der TSVE in souveräner Manier den Meistertitel nach Bielefeld brachte. Am Ende standen 22 Siegen lediglich vier Niederlagen gegenüber. Masnic sagt im Rückblick: „Wir hatten damals große Konkurrenz aus dem Ruhrgebiet und sind als David in die Spielzeit gestartet.“ Es lief allerdings vieles gleich von Beginn der Serie zusammen, und so stemmte sich der TSVE nicht nur erfolgreich gegen die Übermacht aus dem Westen, sondern dominierte die Liga über weite Strecken. Masnic: „Wir hatten in der Saison eine sehr gute Mischung an Charakteren in unserer Mannschaft, das war der Schlüssel zur Meisterschaft.“

Eine vergleichbare Teamchemie habe er in seiner langen Basketball-Karriere als Aktiver und Trainer selten erlebt. Regisseur der Truppe war der spätere TSVE-Coach und heutige Herforder David Bunts. Dem US-Amerikaner zur Seite standen Nordin Chaddadi, Emre Atsür (die erste volle Saison des heutigen TSVE-Abteilungsleiters in Bielefeld), Mario Rondas und Center Jordan Sabourin. Diese „Starting Five“ harmonierte prächtig und wuchs als Team kontinuierlich zusammen.

"600, 700 Zuschauer haben ordentlich Lärm gemacht"

„600, 700 Zuschauer in der Spitze in der Carl-Severing-Halle haben damals ordentlich Lärm gemacht“, erinnert sich Masnic an goldene Zeiten des heimischen Basketballs. Auch mit dabei als personifizierter Masnic-Glücksbringer: sein damals siebenjähriger Sohn Neil. Im zu Ende gehenden Jahr 2020 blickt der in Bielefeld längst heimisch gewordene Bosnier Ilijas Masnic wehmütig zurück. Denn damals sei von verschiedenen Seiten eine Chance verpasst worden, den Basketball in Bielefeld zu etablieren: „Ich glaube, es wäre ein ähnlicher Schub wie Ende der 90-er mit der TSG Altenhagen-Heepen im Handball möglich gewesen.“ Dabei denkt Masnic auch an Spiele in der Seidensticker-Halle mit einer Infrastruktur für höherklassigen Basketball. Doch der TSVE stieß nach dem Aufstieg an (finanzielle) Grenzen: der kanadische Center Sabourin, mit seinen 2,13 Metern ein entscheidender Faktor für den Aufstieg, verließ den TSVE direkt vor Saisonbeginn in Richtung Bremen.

"Wir haben uns danach verschlechtert"

Ilijas Masnic erklärt: „Gleichwertigen Ersatz gab es kurzfristig nicht, wir haben uns damals personell verschlechtert.“ Außerdem konnte Shooter Nordin Chaddadi kaum noch trainieren. Grund: er fing einen Job in der Spätschicht bei der Post an. „Ich habe ihn damals teilweise Freitagabend von der Arbeit abgeholt, damit er wenigstens zur Abschlussbesprechung bei der Mannschaft sein konnte“, zeigt Masnic die Umstände des Abenteuers Zweite Liga auf. Da hatte die Konkurrenz mit damaligen Talenten wie Elias Harris (Speyer) und Karsten Tadda (Breitengüßbach) – heutige BBL-Stars – ganz andere Möglichkeiten. Der TSVE trennte sich im Januar von Ilijas Masnic, weil der Verein mit einem neuen Impuls versuchen wollte, in der Pro B den Klassenerhalt zu schaffen. Zu vier Hinrunden-Siegen kamen jedoch nur noch zwei weitere hinzu – der Wiederabstieg. Der erfahrene Coach kehrte aber Jahre später zu den Dolphins zurück, ist dem Verein heute freundschaftlich verbunden. Masnic meint: „Ich bin dankbar, was ich damals mit dem TSVE erleben durfte. Die positive Stimmung in unserer Mannschaft, im Verein und dem Umfeld bleibt unvergesslich.“

Auch wenn es bei dem einen Jahr in der zweiten Liga blieb und die Dolphins zwischenzeitlich bis in die Oberliga zurückfielen – der breitensportorientierte TSVE steht für immer in der Liste der Gründungsmitglieder der damals eingleisigen zweiten deutschen Profiliga Pro B.

INFORMATION


Bei der Europameisterschaft 1993 vom bosnischen Team abgesetzt

Eine ganz andere Emotionalität hatte Ilijas Masnics Weg an den Teutoburger Wald. Denn der Bosnier floh 1993 vor dem Krieg in seinem Heimatland. Während sich das ehemalige Jugoslawien in Einzelstaaten aufteilte, begann für Masnic ein neuer Lebensabschnitt in der Bundesrepublik – auch dank des Basketballs.
22. Juni 1993: Auftakt in die Basketball-EM in Deutschland. 

Es war die erste Teilnahme eines bosnischen Nationalteams an einer Europameisterschaft und Masnic feierte mit dem achten Platz den bis heute größten Erfolg seiner Nation. „Wir haben damals als bosnische Nationalspieler die Chance genutzt, in Deutschland beziehungsweise der EU zu bleiben" hat Masnic die Umstände noch heute vor Augen. 

Denn gemeinsam mit einem guten Freund schaute er sich noch als Aktiver das Finalspiel zwischen dem Turniersieger Deutschland und Russland an. Doch schon am nächsten Morgen verabschiedete sich Masnic von seinen Kameraden und fuhr unbemerkt mit seinem Freund gen Herford. Es folgte eine Saison als Liga-Topscorer in der Pro B in Karlsruhe. Danach zog es den Metallbauer jedoch auch wegen Aufenthaltsrechten zurück nach Ostwestfalen, wo er ab 1995 bei der SV Brackwede sehr erfolgreich in der Regionalliga Basketball spielte. Bei der Firma Goldbeck ist Masnic seit rund 25 Jahren tätig und nach zweieinhalb Jahrzehnten in Bielefeld fest verwurzelt.

Während seine 38-jährige Tochter seit dem Studium in Stockholm lebt, kam Sohn Neil Masnic 2000 in Bielefeld zur Welt und wurde im ostwestfälischen Basketball groß. Mit 2,06 Metern übertrumpft dieser den Vater mittlerweile um sechs Zentimeter. Nach teils gemeinsamen Jahren beim TSVE ging der Sohnemann 2019 in die Akademie der Baskets Oldenburg. 

Dieses Jahr begann Neil im niederländischen Maastricht ein Studium und spielt in der ersten Liga für die Basketballakademie Limburg. „Er hat dort beste Bedingungen", hat sich Ilijas Masnic bereits vor Ort einen Eindruck verschafft.