Bielefeld

„Löw klebt an seinem Stuhl“ - Fußballer zum Verbleib des Bundestrainers

Die Weiterbeschäftigung des DFB-Coaches entzweit das Bielefelder Amateurlager. Eine Seite wirbt um Vertrauen, eine traut ihm nichts zu. Und dann fällt der Name Middendorp

Beharrlich: Joachim Löw sitzt weiter fest im Sattel. Auch wenn das vielen Fans nicht passt. | © AFP

01.12.2020 | 01.12.2020, 18:12

Bielefeld. In einem Schnellverfahren hat der Deutsche Fußball-Bund seinem Cheftrainer Joachim Löw am Montag das Vertrauen ausgesprochen: Der 60-Jährige darf – mindestens – bis zur Europameisterschaft 2021 weitermachen. Dabei war er nach der 0:6-Pleite in der Nations League gegen Spanien 13 Tage zuvor so angezählt wie noch nie. Die Kritik war sogar noch größer als nach dem Ausscheiden des Titelverteidigers bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Auch in der Bielefelder Amateurfußball-Szene wird die Personalie Löw heiß diskutiert. Einigkeit herrscht nicht.

Jobst Hölzenbein: "Löw ist alternativlos"

Fußball-Abteilungsleiter des Westfalenligisten VfB Fichte, ist ein Löw-Anhänger. „Ich begrüße, dass mit Joachim Löw weitergemacht wird. Er ist derzeit alternativlos.“ Der DFB habe sich für den Weg der Verjüngung entschieden. „Wenn man so einen Weg einschlägt, dann muss man ihn auch durchziehen.“ Und bei einem solchen Prozess müsse man auch Niederlagen mit einkalkulieren. Er sieht das Problem nicht bei Löw, sondern in den Vereinen. „Der Bundestrainer muss Spieler nominieren, die in ihren Vereinen nur auf der Bank sitzen. In der Nationalmannschaft sind das aber Stammspieler.

Für Middendorp: VfL-Chef Frank Pietsch. - © Privat
Für Middendorp: VfL-Chef Frank Pietsch. | © Privat

Die Ausbildung junger deutscher Talente hat nachgelassen. Die großen Vereine haben zwar junge Topspieler, die haben allerdings keinen deutschen Pass“, so Hölzenbein, der an Namen wie Haaland, Sancho oder Davies denkt. Geht es nach Hölzenbein, sollte der DFB die Priorität nicht unbedingt auf die anstehende Europameisterschaft legen, sondern weitblickender agieren. Heißt: Weltmeisterschaft 2022. „Ich denke, man sollte die EM dazu nutzen um Spielpraxis zu sammeln, Dinge auszuprobieren und dann sieht man, wie weit man kommt. Das Viertelfinale traue ich der Mannschaft in jedem Fall zu.“

Pro Löw: Theesens Trainer Andreas Brandwein. - © Nicole Bentrup
Pro Löw: Theesens Trainer Andreas Brandwein. | © Nicole Bentrup

Andreas Brandwein: "Trainer aus dem DFB-Nachwuchsbereich"

Westfalenliga-Trainer des VfL Theesen, sieht es ähnlich: „Wenn die Verantwortlichen von dem Trainer grundsätzlich überzeugt sind, ist die Entscheidung nachvollziehbar und richtig“, sagt er. Eine Alternative zu Löw sieht Brandwein zumindest kurzfristig nicht. „Für die Zukunft wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, einem etablierten Trainer aus dem DFB-Nachwuchsbereich das Vertrauen zu schenken. Dem in Bielefeld beheimateten Christian Wück zum Beispiel“, bringt der VfL-Trainer einen Namen ins Spiel, den wohl nicht viele auf dem Zettel haben. Recht machen könne man es nach Brandweins Dafürhalten aktuell weder den zur Abstellung verpflichteten Vereinen, „noch den übrigen 80 Millionen Bundestrainern in Deutschland.“ Brandwein bricht eine Lanze für Löw: „Dass er bei weniger wichtigen Spielen viele Stammspieler schont, finde ich plausibel.“

Jörg Pundmann: "Löw bis zur EM"

sportlicher Leiter beim Bezirksligisten TuS Brake, ist in der Causa Löw hin- und hergerissen. Sein Fazit ist letztlich: „Bis zur EM sollte man Joachim Löw die Möglichkeit geben, Struktur in die Nationalmannschaft zu bringen.“ Allerdings ist Pundmann kein Fan der Nationalelf. „Ehrlich gesagt, war ich schon vor Corona kein Anhänger des DFB-Teams und jetzt interessiert es mich erst recht nicht mehr so richtig“, sagt der TuS-Sportchef. Man könne testen und probieren, „aber was sich aktuell alles so deutscher Nationalspieler schimpfen darf, ist mir wirklich ein kleines Rätsel“, sagt Pundmann, der die Arbeit Löws nicht bewerten möchte. „Dafür bin ich viel zu weit weg, mir fehlt der Einblick in seine genauen Tätigkeiten. Vorgestern habe ich nur gelesen, er sei der teuerste Nationaltrainer der Welt.“

Clemens Bachmann: "Es gab Zeitpunkte, das Zepter zu übergeben"

Topscorer des Bezirksligisten VfR Wellensiek, hatte sich einen Wechsel auf der Trainerposition gewünscht. „Ich halte nicht viel davon, dass Jogi Löw weiterhin Trainer bleiben darf.“ Sicherlich sei es etwas anderes, wenn man von außen auf die Dinge schauen würde, aber für Bachmann wirkt es nicht so, als könne es mit Löw einen Fortschritt geben. „Sein Handeln wirkt eingefahren, und man hat den Eindruck, als könne der Bundestrainer die Spieler nicht mehr motivieren. Das hat man in dem Spiel gegen Spanien deutlich gesehen. Gerade was Körpersprache, Kommunikation und Motivation angeht.“ Bachmann fordert frischen Wind. „Und genau deswegen braucht es auch einen neuen Trainer“, sagt er. Schade findet Bachmann, dass Löw den Absprung nicht von sich aus geschafft hat. „Es gab genug gute Zeitpunkte, um das Zepter zu übergeben.“ Problematisch sieht Bachmann die potenziellen Alternativen zu Löw. „Die, die jeder möchte, kommen alle aktuell nicht infrage: Hansi Flick, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel.“ Der DFB müsse sich trauen, einem jungen Trainer die Verantwortung zu übergeben, denn „Jogi Löws Auftreten empfinde ich als arrogant und abgehoben, was aber völlig unberechtigt ist“.

Ali Kemal Calisan: "Ich würde Kuntz gut finden"

sportlicher Leiter des Bezirksligisten FC Türk Sport, ist bekennender Fan der deutschen Nationalmannschaft – aber kein Fan von Joachim Löw. „Seine Zeit ist abgelaufen“, stellt Calisan fest. Er kann es – aus der Distanz – beurteilen, schaut er doch jedes Spiel des deutschen Teams. „Auf die Bank gehört frischer Wind. Stefan Kuntz würde ich gut finden, weil er die Strukturen beim DFB kennt“, meint Calisan. Das Manko bei Kuntz wäre allerdings, dass „er noch nicht so lange im Trainergeschäft ist und wenig Erfahrung im Umgang mit erfahrenen Spielern hat“. Als Alternative zu dem ehemaligen Arminen-Profi Stefan Kuntz käme für Calisan auch der derzeit beschäftigungslose Ralf Rangnick infrage. „Er hat viele Erfolge aufzuweisen, hat etliche No-Name-Spieler zu etablierten Topfußballern gemacht.“ Für die EM bleibt Calisan positiv gestimmt: „Deutschland ist und bleibt eine Turniermannschaft, die sehr weit kommen wird.“

Frank Pietsch: "Ich hätte Rangnick installiert"

Fußballobmann beim A-Ligisten VfL Ummeln, hatte auf einen Wechsel auf der Trainerposition gehofft: „Ich halte von der Entscheidung pro Löw gar nichts und sehe es als absolut falsches Signal. Gemeinsam mit Oliver Bierhoff hätte Löw bereits nach der verkorksten WM 2018 zurücktreten müssen.“ Beide würden aber an ihren Stühlen kleben. Darum traut er der Mannschaft bei der EM nicht viel zu: „Mit Ach und Krach kann sie die Vorrunde überstehen.“ Ein Löw-Nachfolger? „Ich bin zwar kein Freund von ihm, aber ich hätte Ralf Rangnick installiert. Er kann aufbauen und mit jungen Spielern arbeiten“, weiß Frank Pietsch, der augenzwinkernd hinterherschiebt: „Ich persönlich würde natürlich Ernst Middendorp als Bundestrainer favorisieren.“