Bielefeld

Hermannslauf: Sturz auf abschüssiger Strecke

Nachdem Reiner Giersch mit dem Kopf aufgeschlagen ist, kümmern sich zahlreiche Helfer um ihn. Nur wenig später besteht er darauf, weiterzulaufen

07.05.2019 | 07.05.2019, 07:30
Tatort Teuto: An dieser Stelle stürzte Reiner Giersch beim jüngsten Hermannslauf am Sonntag, 28. April, gegen 13.20 Uhr schwer. Dank vieler Anrufe konnte die Sportredaktion die näheren Umstände des Unfalls klären. - © Gregor Winkler/Thomas Grundmann
Tatort Teuto: An dieser Stelle stürzte Reiner Giersch beim jüngsten Hermannslauf am Sonntag, 28. April, gegen 13.20 Uhr schwer. Dank vieler Anrufe konnte die Sportredaktion die näheren Umstände des Unfalls klären. | © Gregor Winkler/Thomas Grundmann

Bielefeld. Es ist frisch an diesem Montagmorgen im Teutoburger Wald, kein Sonnenstrahl erhellt die Szenerie, und der Wind pfeift um die Ecken. Der Waldboden wölbt sich rechts und links hoch über dem Weg, so dass man geneigt ist, Schillers Wilhelm Tell mit seinem berühmten Satz "Durch diese hohle Gasse muss er kommen!" zu zitieren. An dieser Stelle, etwa mittig auf der Strecke zwischen Osningstraße und Bodelschwinghstraße, muss Reiner Giersch beim Hermannslauf vor gut einer Woche gestürzt sein.

Der 58-Jährige hatte seinen 35. "Hermann" nach dem Unfall beendet, ohne eine Erinnerung an die letzten Kilometer zu haben, und war anschließend mit einem Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus gebracht worden. "Ich will natürlich gerne wissen, was mir da passiert ist", hatte Giersch dieser Zeitung gesagt. Mittlerweile haben Läufer und Zuschauer, die die Szene beobachtet haben, Licht ins Dunkel gebracht, so dass die Ereignisse gut nachvollziehbar geworden sind.

»Keine Reaktion zur Sturzvermeidung«

Ganz dicht dran war Reinhold Fillies, der als Zuschauer das dramatische Geschehen genau im Blick hatte. "Herr Giersch ist ins Torkeln geraten und dann, da er nicht mehr in der Lage war, sich mit den Armen abzufangen, voll mit Schulter und Kopf auf den Boden geschlagen", sagt Fillies - eine Wahrnehmung, die auch Christian Degner bestätigt: "Von Seiten des Läufers gab es keine Reaktion zur Sturzvermeidung", erklärt Degner, der zuvor schon andere Teilnehmer ins Straucheln hatte kommen sehen. "Dieser Abschnitt ist aber wirklich recht steil und durch viel Geröll auf dem Weg extrem schwer zu laufen, so dass es dort immer wieder Stürze gibt", erläutert Ralf Niemann, der an jenem Tag seinen zehnten Hermann absolvierte und kurz nach Gierschs Sturz an der besagten Stelle vorbeikam.

Fillies und Norbert Piwek, der als Läufer unmittelbar hinter Giersch unterwegs war und ohne Rücksicht auf seine Zeit sofort anhielt, waren als Erste zur Stelle. Sie drehten den Gestürzten um, trugen ihn gemeinsam mit Degner und weiteren Helfern erst einmal aus der Laufspur und setzten ihn etwas weiter unten am Rand der Strecke ab. Giersch sei zu diesem Zeitpunkt nicht ansprechbar gewesen und habe die Frage, wie er denn heiße, nicht beantworten können, berichten Fillies und Piwek übereinstimmend.

»Ich hätte nie gedacht, dass der Mann noch weiterläuft«

Ein paar Minuten später kam Reiner Giersch aber scheinbar wieder zu sich. "Wir haben ihm dann zugeredet, doch sitzen zu bleiben und auf die von uns schon informierten Sanitäter zu warten", erzählt Degner: Bei allem sportlichen Ehrgeiz sei es ein möglicher Zieldurchlauf doch nicht wert, seine Gesundheit zu gefährden, so die Argumentation der Helfer.

Glücklich im Ziel: Reiner Giersch weiß mittlerweile, was ihm beim Hermannslauf passiert ist. - © Gregor Winkler
Glücklich im Ziel: Reiner Giersch weiß mittlerweile, was ihm beim Hermannslauf passiert ist. | © Gregor Winkler

Doch Giersch habe höflich, aber durchaus bestimmt darauf bestanden, "dass das schließlich meine Entscheidung ist", und habe sich mit den Worten: "Ich muss weiter" schließlich wieder auf den Weg gemacht. "Für uns war nicht auszumachen, dass Herr Giersch tatsächlich wohl noch nicht ganz bei sich war, deshalb haben wir ihn auch laufen lassen", sagt Christian Degner.

"Ich hätte nie gedacht, dass der Mann in dem Zustand, in dem er sich befand, noch weiterläuft", wundert sich Jan Schierkolk, der die Rettungsaktion und den Zustand des Gestürzten im Vorbeilaufen beobachtet hatte, aufgrund der Vielzahl der sich bereits um Giersch kümmernden Helfer aber nicht angehalten hatte.

Doch ob Helfer oder Zuschauer, in einem Punkt sind sich alle Beteiligten am Ende einig: Gut, dass die Geschichte für Reiner Giersch noch einigermaßen glimpflich ausgegangen ist.

INFORMATION


Neue Hermann-Schlüsselstelle: die Giersch-Kuhle

Es gibt die Panzerbrücke und die Lämershagener Treppen. Doch nach den Ereignissen des vergangenen Wochenendes wird wohl eine neue Schlüsselstelle beim Hermannslauf eingeführt werden müssen: die Giersch-Kuhle. Jener steile Abschnitt also, auf dem Läufer Reiner Giersch stürzte, sich dank der Unterstützung vieler Helfer wieder aufrappelte und schließlich weiter lief, ohne allerdings zu wissen, wie er die letzten Kilometer zurückgelegt hat.

Der Hermannslauf würde sich damit in der Tradition des berühmten Lauberhorn-Abfahrtsrennens in Wengen bewegen: Dort gibt es, seit es 1965 den Schweizer Jos Minsch unterhalb des Hundschopfs so zerbröselte, dass er sich das Becken brach, eine Minsch-Kante.