Bielefeld/Hövelhof-Hövelriege. Sie weiß, es geht ihm gut. Und dennoch ist ihr Herz zerrissen. Beinahe zehn Jahre vermisst die Mutter ihren Sohn. Emine Adjinis Zuhause und das ihres Filius Bashkim Renneke sind 2.000 Kilometer voneinander entfernt. Bashkim wächst in Schloß Holte-Stukenbrock auf, spielt bis Sommer 2011 Fußball für den SJC Hövelriege und wechselt dann in die U23 von Arminia Bielefeld. Seine Familie aber lebt in Serbien. Das Schicksal trennt sie. Ein Schicksal, das es gut mit Bashkim meint. Aber das auch sehr viel Kraft kostet, Geduld fordert und Demut lehrt.
Bashkim lacht. Es ist nicht zu übersehen: Der 20-Jährige genießt es, von seiner Mutter umsorgt zu werden. Für ihn ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern Luxus. Er legt nicht viel Wert auf materielle Dinge. Seine kleine Studentenbude in der Bielefelder Altstadt ist zweckmäßig eingerichtet. Sofa, Holzstühle, ein kleiner Fernseher, eine Küche, in der man sich soeben umdrehen kann. Das Bett steht in einer Nische, gegenüber der Schreibtisch. Der ist für den Studenten besonders wichtig.
Viel wichtiger ist ihm, dass ihn seine Mutter zum ersten Mal seit neun Jahren in Deutschland besuchen darf. Und das gleich für drei Monate. "Es ist einfach schön, dass sie da ist. Dass sie mir den Rücken frei hält. Dass ich nicht von der Uni oder vom Training in eine leere Wohnung zurückkehre", sagt der langjährige Spieler des SJC Hövelriege.
Rückblende: Es ist August 2003. Die Familie Adjini lebt seit zehn Jahren in Stukenbrock. Vater Ramadan arbeitet, Emine hat viele deutsche Freunde – ebenso wie ihre drei Söhne Bashkim, Labinot und Driton, damals zehn, neun und sieben Jahre alt. "Wir waren voll integriert", sagt Emine. Und trotzdem: An einem Sonntag werden sie zwangsabgeschoben. Mit 25 Kilo Gepäck verlassen sie Deutschland. Ihr Ziel: das Dorf Ternocë. Das liegt nach Kriegsende in Serbien.
Die Adjinis aber sind Albaner. Die Politik hat die Grenzen gezogen. Für die Jungs ist das neue Zuhause fremd. Bashkim wurde im schwedischen Halmstadt geboren, seine Brüder in Brackwede. "Ich erinnere mich an diesen Geruch, diesen entsetzlichen Geruch. Die Armut, ich konnte sie riechen", sagt Bashkim. Es gibt keine Kanalisation, keine befestigten Straßen, die Häuser sind baufällig. "Bashkim hat viel geweint. Er hat sich nicht wohl gefühlt", sagt seine Mutter Emine. "Alles war neu. In der Schule gab es noch Prügelstrafe. Ich war dem allen nicht gewachsen. Ich wollte nur zurück", erzählt Bashkim.
Dann die Chance: Hubert und Anke Renneke, Freunde aus gemeinsamen Zeiten beim SJC Hövelriege, besuchen die Familie Adjini in Serbien. Sie bieten an, Bashkim bei sich aufzunehmen. Später adoptieren sie ihn. Deshalb heißt Bashkim jetzt mit Nachnamen Renneke. "Ich werde dafür immer dankbar sein", sagt er. Ramadan und Emine lassen ihren ältesten Sohn im April 2004 ziehen. In der Hoffnung, ihm eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Die hat Bashkim bekommen. Er macht Abitur, spielt erfolgreich Fußball, erst beim SJC Hövelriege, seit Sommer 2011 beim Oberligisten DSC Arminia Bielefeld II und studiert Jura. "Ich setze mir immer wieder neue Ziele, die ich dann erreichen möchte", sagt Bashkim. Sein Ehrgeiz treibt ihn an. Als nächstes will er sich als Stammspieler bei Arminia etablieren und versuchen, eine Bindung zur Lizenzmannschaft aufzubauen. Daneben will er sein Studium abschließen und Rechtsanwalt werden.
"Ich bin sehr stolz auf Bashkim", sagt die 45-jährige Mutter: "Aber ich würde ihn nicht noch einmal gehen lassen." Neun Jahre waren einfach zu lang. Natürlich hat Bashkim seine Familie in den Sommerferien stets fünf bis sechs Wochen besucht. Aber das ist nur ein Bruchteil an Zeit, den Emine, Ramadan, Driton, Labinot und Bashkim zusammen verbringen könnten. "Wir haben immer daran geglaubt, nach drei oder vier Jahren nach Stukenbrock zurückzukehren und als Familie zusammenzuleben." Doch bei dem Wunsch bleibt es. Eine Rückkehr ist nicht absehbar.
Für eine Mutter muss es eine Qual sein, ihren Sohn neun Jahre nicht aufwachsen zu sehen. Nicht dabei sein zu können, wenn er seinen ersten Liebeskummer hat, sein Abiturzeugnis überreicht bekommt oder das erste wichtige Tor für seinen Klub schießt. Nachzuholen ist die Zeit nicht. Jetzt liegt die Zukunft vor ihnen. Und Emine ist beruhigt. Denn sie hat es nun endlich mit ihren eigenen Augen gesehen: "Ja, meinem Bashkim geht es gut."