Gefährliche Ungewissheit

Mediziner und Spitzensportler werben im HDZ für mehr präventive Untersuchungen

(v.l.) Volker Broy, Heiko Striegel, Klaus-Peter Mellwig, Martin Heuberger, Eberhard Figgemeier, Andreas Thiel, Herbert Czingon, Frank van Buuren und Paul Meier. | © FOTO: EIKE J. HORSTMANN

16.11.2011 | 16.11.2011, 00:00

Bad Oeynhausen. Der Schock saß tief. Im März 2009 starb mit Sebastian Faißt eines der größten deutschen Handball-Talente bei einem U21-Länderspiel an Herzversagen. Die Konsequenzen, die aus seinem Tod gezogen wurden, gehen den Sportmedizinern vom Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) Bad Oeynhausen jedoch nicht weit genug.

In einem prominent besetzten Diskussionsforum forderten der Direktor der Kardiologischen Klinik, Prof. Klaus-Peter Mellwig, und Oberarzt Dr. Frank van Buuren erheblich bessere Kontrollen - vor allem im Breitensport. Denn im Bereich des Hochleistungssportes haben inzwischen viele Vereine und Verbände erkannt, wie wichtig die Gesundheit ihrer Aktiven und somit auch präventive Untersuchungen sind.

Die Möglichkeiten zwischen den einzelnen Sportarten sind jedoch völlig verschieden. Handball-Bundestrainer Martin Heuberger, der bei dem tragischen Tod von Faißt als Juniorentrainer dabei war, lauschte gespannt, als der Vereinsarzt des VfB Stuttgart, Prof. Heiko Striegel, von den medizinischen Möglichkeiten eines Fußball-Bundesligisten berichtete.

Information

Aktion: "Sport mit Herz"

Schon eine einfache Erkältung kann ausreichen, dass Sportler bei hoher Belastung eine lebensbedrohliche Herzmuskelentzündung erleiden können.

Statistisch ist das Risiko eines plötzlichen Herztodes bei Sportlerinnen und Sportlern um das Zwei- bis Dreifache erhöht.

Das HDZ bietet daher unter dem Schlagwort "Sport mit Herz" eine Untersuchung an.

Bei diesem Screening werden etwaige Erkrankungen in der Familie protokolliert, ein Elektrokardiogramm (EKG) gemacht sowie eine körperliche Untersuchung durchgeführt.
www.sportmitherz.de

Dort sei selbst bei jedem Training ein Arzt anwesend, mehrmals im Jahr würden die Profis mit moderner Diagnostik genauestens untersucht. "Dies dient auch der Talentsichtung", sagt Striegel. Die Ärzte könnten den Trainern anhand der Laktatleistungskurve Hinweise geben, für welche Position ein Spieler in Frage kommen könnte. "Ein potenzieller Innenverteidiger hat da ganz andere Werte als ein Stürmer", so der in Tübingen arbeitende Mediziner.

Von solchen Möglichkeiten können Leichtathletik-Bundestrainer Herbert Czingon und Zehnkämpfer Paul Meier nur träumen. Dies scheitere jedoch nicht am Willen - gleichwohl auch hier selbst Kadersportler oftmals recht nachlässig seien - sondern vor allem am Geld. "Wenn der Fußball in Sachen Finanzen der Himalaya ist, ist Handball etwa der Westerwald", so Meier. "Und die Leichtathletik ist Holland."

Czingon beklagt, dass aufgrund mangelnder Untersuchungen streckenweise ein Viertel der besten Athleten aufgrund von Erkrankungen oder Verletzungen außer Gefecht seien. "Da sind wir darauf angewiesen, mit erzieherischen Maßnahmen zu disziplinieren." Sanktionsmöglichkeiten wie im Mannschaftssport habe der Verband jedoch nur wenige.

"Da fehlt uns der Zugriff", so Czingon. Andreas Thiel, Torwartlegende und derzeit Trainer sowie Justitiar der Handball-Bundesliga, sieht aber auch in seinem Sport Mängel. "Natürlich kann man sagen: Entweder du lässt dich untersuchen, oder du spielst nicht", so der "Hexer". "Aber wenn der Spieler richtig gut ist - wird er tatsächlich draußen bleiben? Ich glaube nicht." Daher will die HBL in Zukunft die Lizensierung von Spielern an Untersuchungen koppeln.

Während sich die Profisportler somit eher über die Möglichkeiten einer präventiven Diagnostik austauschten, stellte Mellwig beim Breitensport fest, dass praktisch überhaupt kein sportmedizinisches Bewusstsein vorhanden sei. "Dabei kann man schon mit minimalem Aufwand ein Screening durchführen", so der Mediziner, der für eine Basis-Untersuchung etwa 30 Euro veranschlagt. Diese werden jedoch nicht von den Krankenkassen übernommen - was Ewald Lienen, Ex-Trainer von Arminia Bielefeld, die Zornesröte ins Gesicht trieb.

"Es ist ein Skandal, dass wir es in einem der reichsten Länder nicht schaffen, die nötigen Mittel für die Prävention aufzuwenden." Man werde fast immer erst aktiv, wenn bereits etwas passiert sei. "Und da will ich nicht wissen, welche Rolle da die Pharma-Industrie spielt." Es müsse deutlich mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden, um auf die Gefahren fehlender Untersuchungen hinzuweisen. Hier könnten wiederum auch die Profis für den Breitensport etwas tun: "Sie haben Vorbildwirkung", sagt Frank van Buuren.