Als der Arminia-Geschäftsführer mit einem Koffer voller Geld nach Zagreb flog

Bielefeld. Es war ein heißer Herbst 1986. Trotz zahlreicher Proteste wurde das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe als erstes deutsches Kraftwerk nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in Betrieb genommen. Wenige Tage später zogen in diesen politisch aufgeladenen Oktobertagen mehr als 100.000 Menschen in den Hunsrück, um in Hasselbach gegen die Stationierung von US-amerikanischen Marschflugkörpern zu protestieren. Auch in Bielefeld brannte der Baum. Auf der Alm. Lichterloh. Für Feuer sorgte ein Drehbuch, das so ganz nach dem Geschmack für das Münsteraner Tatort-Team gewesen wäre: skurril, verrückt und vor Ironie und Naivität strotzend. Oder einfacher formuliert: Arminia Bielefeld blamierte sich in einem Wirtschaftskrimi. Stein des Anstoßes war ein Koffer, der mit 120.000 Mark gefüllt war. Bar, in großen Scheinen. Diese wertvolle Fracht hatte an einem sonnigen Tag im Juni der damalige DSC-Geschäftsführer Siegfried Kuntze per Flugzeug nach Zagreb transportiert. Der Top-Angestellte des Vereins wurde im Ankunftsbereich schon sehnsüchtig erwartet. Milan Milanovic, ein europaweit agierender Spielervermittler, nahm den Koffer voller Geld in Empfang. Es sollte die Ablösesumme für Boris Ticic sein. Als Gegenleistung erhielt Kuntze ein Dokument, das die Spielberechtigung des Liberos bestätigte. Der Profi von HNK Rijeka war der Wunschkandidat von Trainer Horst Franz, um die Abwehr zu verstärken. Jochen Willmann um das Wohl des DSC Arminia besorgt Auf dem Rückflug machte Kuntze einen Zwischenstopp in Frankfurt/Main, um den korrekt abgewickelten Deal beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu legitimieren. Die 100-minütige Reise verging für den Geldboten buchstäblich wie im Fluge, hatte er mit der langjährigen Freundin von Boris Ticic doch eine charmante Begleiterin an seiner Seite. Sie sollte in den Wochen danach für Wirbel sorgen. Jochen Willmann gehörte damals zum Präsidium um Gisela Schwerdt. Der Bielefelder Kaufmann war um das Wohl des Vereins besorgt. Er ging offensiv einem hartnäckigen Gerücht nach, das in Bielefeld die Runde machte. Der Transfer von Boris Ticic soll sehr undurchsichtig verlaufen sein, wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Nachfragen bei seinen Vorstandskollegen beziehungsweise -kolleginnen blieben ergebnislos. Transparenz war nicht erkennbar und gewünscht. Willmann suchte den Kontakt zur Freundin des jugoslawischen Spielers. Sie sprach perfekt deutsch. Er erhielt eine Antwort, die ihn erschaudern ließ. Der ehemalige Klub ihres Freundes habe keine finanziellen Ansprüche erhoben, berichtete sie dem verdutzten Willmann. Ticic hätte somit ohne Ablöse wechseln dürfen. Der Klub aus Rijeka bestätigte Willmann Mitte Juli und Mitte September gleich zweimal per Fax diese gravierende Vertragsklausel. Willmanns recherchierte Erkenntnisse stießen bei den übrigen Entscheidungsträgern jedoch auf taube Ohren. Niemand zeigte Interesse, auf diese neuen Sachverhalte einzugehen. Ein Fall für die Bielefelder Staatsanwaltschaft Frustriert von diesem Prozess der unerwünschten Wahrheitsfindung zog Willmann Konsequenzen und trat am 7. Oktober 1986 von seinem Vorstandsamt zurück. Einige Tage später gab das Präsidium eine öffentliche Erklärung ab mit dem Inhalt, dass der Spieler Boris Ticic aus einem Vertrag, der bis 1987 in Rijeka gültig gewesen sein soll, herausgekauft werden musste. Eine Woche später landete der Fall Ticic bei der Bielefelder Staatsanwaltschaft. Ein Ermittlungsverfahren gegen Arminia Bielefeld wurde eingeleitet, um zu prüfen, ob bei der Transferabwicklung in Sachen Boris Ticic Vereinsgelder veruntreut worden seien. Ein Mister X hatte zuvor in der Bielefelder Polizeiwache Nord eine Strafanzeige gegen unbekannt zum Nachteil für den DSC Arminia gestellt. Als Mitbringsel stellte er der Polizei Unterlagen zur Verfügung, die Hinweise auf Mauscheleien geben sollten. Für die Bielefelder Polizei blieb Schlüsselfigur Milanovic nicht auffindbar. Siegfried Kuntze hatte dagegen mehr Erfolg. Lesen Sie auch: Gerry Weber: Der Modezar mit dem großen Herz für Arminia Bielefeld Im beschaulichen St. Goar am Rhein hatte ausgerechnet der Geschäftsführer des mit 3,5 Millionen Mark verschuldeten Zweiligisten die gesuchte Person ausfindig gemacht. Kuntze traf am 25. Oktober 1986 Milanovic. Dieser entlastete den Vorstand. Er habe das Geld bekommen und damit die erforderliche Freigabe für Ticic besorgt, sagte er. Im Ostblock müsse man viel durch finanzielle Zuwendungen erledigen, sonst sei nichts zu machen, lautete seine Rechtfertigung. Auf Deutsch übersetzt: Schmiergelder sind geflossen. Die Namen seiner Geschäftspartner hat er nie verraten. 120.000 Mark sind somit in unbekannte Kanäle geflossen. Milanovic war sich übrigens keiner Schuld bewusst, wie aus seinem Berufsverständnis deutlich wurde. &bdquo;Manche handeln mit Immobilien. Ich eben mit Fußballprofis. Da ist nichts Kriminelles dabei.“ Ticic spielt nur neun Mal für Arminia Bielefeld Eine Woche später stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Arminia ein. &bdquo;Es gibt keine Anhaltspunkte, dass beim Transfer von Boris Ticic strafbare Handlungen vorgelegen haben könnten“, lautete die Begründung. Der Schwerdt-Vorstand trat wenig später zurück – nach nur 266 Tagen im Amt. Dem Nachfolgevorstand um Präsident Wolfgang Walkenhorst, Rainer Kempa und Michael Jährling gehörte auch Jochen Willmann an. Ihre fast vierjährige Amtszeit war geprägt durch ein hohes Maß an Transparenz bei Entscheidungsprozessen. Boris Ticic bestritt für Arminia nur neun Einsätze, da er nach einer Verletzung monatelang ausfiel. Er verließ 1987 Arminia mit unbekanntem Ziel. 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