Wie Mitch Kniat vom Fensterbauer zum Trainer von Arminia Bielefeld wurde

Bielefeld. Eine gewisse Grundskepsis haben neue Trainer bei Arminia Bielefeld dieser Jahre beim Großteil der eigenen Fans gepachtet. Erst recht, wenn sie außerhalb der Fußballbranche ziemlich unbekannt sind. Mitch Kniat, 37 Jahre, tut schon dieser Tage vieles, sich Vertrauen zu erarbeiten und eine sechsstellige Ablösegebühr zu rechtfertigen. Die hatten schwer überzeugte DSC-Verantwortliche um Sport-Geschäftsführer Michael Mutzel vor zwei Monaten für ihre Wunschlösung zum SC Verl überwiesen. Mit dem Weiterkommen im DFB-Pokal gegen Bundesligist Bochum ist die Transfersumme doppelt und dreifach eingespielt. Und mehr noch als das wog die Art und Weise, mit der das neue schwarz-weiß-blaue Arrangement seinen Fans gegenübertrat: hungrig, willig, identifiziert mit der Sache. Dabei angetrieben von einem selbsternannten Fußballverrückten an der Seitenlinie, der ihre Sprache spricht. Und der notfalls auch durchgreift, wenn sein oberstes Mantra - "Immer 100 Prozent, und wenn du in der 60. Minute platt bist" - missachtet wird. "Als Cheftrainer bin ich nicht zum Schönreden da", sagt er. Und verspricht, dass bei ihm schnell Klartext gesprochen wird. Seine Bilanz als Spieler liest sich erstmal unscheinbar. Es ist die eines Fußballtalents, das in einem Bundesligaklub sein Handwerk lernt, ohne den Sprung in den Profibereich nachhaltig zu schaffen. Ein halbes Jahr verbrachte der in Alsdorf aufgewachsene DSC-Coach zwar bei den Profis von Alemannia Aachen, zu mehr als einem Sparringspartner im Training reichte es nicht. Beim KFC Uerdingen und den Kickers Emden sammelte er zwischen 2004 und 2006 einige Dutzend Spiele in der damals dritthöchsten Spielklasse, der Regionalliga Nord. Auswärtsspiele in Düsseldorf oder beim FC St. Pauli waren Highlights seiner Laufbahn. In zehn Jahren als Teil der Bundeswehr-Nationalelf, beim Heer hatte Kniat nahe Aachen einst seinen Grundwehrdienst absolviert, wurde er Militär-Europameister. Als Aktiver ist Kniat ein Wandervogel Im Vereinsfußball tingelte Mitch Kniat munter durchs Land: SV Straelen, Gladbach II, Goslarer SC, SC Wiedenbrück, FC Oberneuland. An der Schwelle vom bezahlten Fußball zum ambitioniert verfolgten Hobby reichte das Geld zum Überleben, für viel mehr nicht. Aber Kniat war damit so glücklich, wie er es heute ist. Er sei ein Überzeugungstäter, meint er. Warum immer wieder absichern, wenn man von einer Idee besessen ist? Ob mutig oder naiv: Kniat jedenfalls vertraute sich und seinen Karrierezielen in der Fußballbranche. "Ich habe meinen Realschulabschluss, aber keine Ausbildung oder Ähnliches", sagt er. Gedanken, wie es finanziell weitergeht, gab es mehr als einmal in der Karriere. Bei seiner finalen Adresse als aktiver Spieler, dem Blumenthaler SV in Bremen, ergriff Kniat eine unverhoffte Chance. Vorgänger und Klubchef Peter Moussalli legte im Sommer 2014 sein Zepter in die Hände seines Innenverteidigers. Empfohlen hatte sich Kniat bei den C-Junioren des Bremenligisten. "Er war als Spieler ein kleiner Wandervogel, hat ein großes Netzwerk. Und die Jungs sind schwer begeistert von ihm", zitierte der "Weser-Kurier" Moussalli damals. Kniats Tage wurden nun lang - und in Arbeit und Fußball zweigeteilt. Als Zeitarbeiter schraubte er an Windkraftanlagen, werkelte in einem Kraftwerk, baute Fenster ein. "Für nichts zu schade" sei er sich gewesen, resümiert Kniat. Der Gedanke an den Abend, wenn Blaumann gegen Ball getauscht wurde, motivierte ihn. Einen Computer könne er heute kaum bedienen, berichtete Kniat bei seiner Vorstellung in Bielefeld. Generation Laptoptrainer? So wirklich passt das nicht zu einem, der im Handwerklichen seine Stärken hat und der kurz vor dem Beginn seiner Trainerlaufbahn ein Jahr nach Berlin zog, um noch schnell sämtliche Fitnessscheine bis zur A-Lizenz zu absolvieren. Eine Stunde Sport am Morgen ist heute noch regelmäßiges Ritual, "da setze ich meine Kopfhörer auf und alles andere wird mal kurz unwichtig". In Bremen legt Kniat den Grundstein für seine Spielidee Zweieinhalb Jahre coachte Kniat Blumenthal als Spielertrainer, dann noch ein halbes Jahr nach der aktiven Karriere. Wurde plötzlich zum regelmäßigen Torschützen (21 Treffer in 72 Spielen), was er heute allen voran mit dem niedrigen Niveau der fünftklassigen Bremenliga erklärt. Doch dies war der ideale Nährboden, um sich als Trainer auszuprobieren - und den Grundstein für einen Spielansatz zu legen, der über die Station SC Paderborn II (2017 bis 2022) schließlich beim SC Verl in der 3. Liga zum Markenzeichen wurde. Als der heute in Wewer bei Paderborn lebende Kniat Bremen mit dem Ziel Ostwestfalen verließ, hatte er den Stadtteilklub zu einem sportlichen Spitzenteam geformt. "In Bremen konntest du noch jede Menge Fehler machen, es wirkte sich kaum aus", resümiert Kniat. "In Paderborn wurden Fehler hinterfragt, aber so schlimm war's noch nicht. In Verl konntest du auch noch Sachen falsch machen, aber die Fehler mussten minimiert werden, denn das Ziel war klar: Du musst die 3. Liga halten." Das gelang im Frühjahr 2022 mit großer Mühe, ein Jahr darauf sehr souverän. Und bei Arminia Bielefeld? "Hier wird jede Entscheidung des Cheftrainers genau unter die Lupe genommen und bewertet. Auch wenn ich sicherlich Fehler machen werde: Genau das spornt mich an." Umgang mit Spielern liegt Kniat im Blut Kniat, der zu Juniorenzeiten in Aachen den heute in Magdeburg Ballbesitzfußball zelebrierenden Christian Titz in dessen Anfängen als Trainer kennenlernte, nennt noch lieber Thomas Stratos als Inspirator - weil Arminias Jahrhundert-Verteidiger in Wiedenbrück einen sehr gepflegten Ball spielen ließ. Auf einen Ansatz versteifen will sich Kniat dabei nicht: "Es gibt so viele gute Trainer da draußen, von denen man Ideen aufnehmen kann. Gute Trainer passen sich von Klub zu Klub an." Kern seiner Idee bleiben das mutige Angriffspressing und viele spielerische Elemente. Als Spieler wäre er an seiner Trainerphilosophie wohl krachend gescheitert, erzählt Kniat und grinst. "Zweikämpfe, lange Bälle, Kopfballduelle - das war eher mein Talent." Der Umgang mit Spielern liegt ihm dagegen im Blut. "Menschen mitzuziehen, authentisch zu sein, das lässt sich kaum trainieren. So etwas kann man oder man kann es nicht." Kniat beherrscht den Mix aus legerer Kollegialität und nötiger Konsequenz, aus Zuckerbrot und Peitsche. Was Arminias Neuer bei allen Vorschusslorbeeren einzig noch nachweisen muss: Dass er dem Trubel in einem Klub dieser Größe dauerhaft gewachsen ist. "Du kannst dein Leben in der Komfortzone weiterleben oder sie verlassen", sagt Mitch Kniat dazu. Sich für Ersteres zu entscheiden, sei ihm nicht eine Sekunde in den Sinn gekommen.

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